Ein offenes Haus
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Die neue Unilever-Zentrale in Hamburg ist eines der Gebäude, das vor allem wegen seiner Innenräume in Erinnerung bleibt. Das siebengeschossige Bürohaus von Behnisch Architekten empfängt Mitarbeiter und Besucher mit einem öffentlich zugänglichen, ungemein großzügigen Atrium – ein Raum, der das abgenutzte Attribut „lichtdurchflutet“ wirklich verdient hat. Der Blick geht unwillkürlich nach oben zum gefalteten Glasdach und bleibt an den Treppen, Brücken und Stegen hängen, die den immensen Luftraum durchkreuzen. Dazwischen schweben zwei große LED-Leuchtringe. Passanten ist der Zugang zu den oberen Etagen zwar verwehrt, sie können sich aber im Café und in den Läden im Erdgeschoss ein Bild vom breiten Produktsortiment des Mischkonzerns machen.
Auch die Lage des Unilever-Hauptquartiers ist nicht zu verachten: Es steht in Hamburgs Stadtentwicklungsgebiet Nummer eins, der Hafen City. Und zwar nicht irgendwo in zweiter Reihe, sondern prominent direkt am Fluss und zugleich am Ende der großen Achse, die die Innenstadt mit dem neuen Quartier verbindet. Bis Herzog & de Meurons Elbphilharmonie einmal fertig sein wird, dürfte das Haus für die rund 1200 Unilever-Mitarbeiter der architektonische und städtebauliche Bezugpunkt der Hafen City sein, denn an dem unregelmäßig geformten Gebäude mit der gefalteten ETFE-Folienfassade kommt man kaum vorbei. Und da liegt auch das Problem, denn der Baukörper wirkt eher massig und ungeschlacht. Zudem steht das Gebäude städtebaulich buchstäblich im Weg und versperrt den Ausblick auf den Hafen, wenn man von der Innenstadt her kommt.
Ausgezeichnetes Energiekonzept
Als besonders bemerkenswert stellen Bauherr und Architekturbüro das nachhaltige Gebäudekonzept heraus: Kürzlich wurde das Haus mit dem neu aufgelegten Umweltzertifikat der Hafen City in Gold ausgezeichnet. Die Planer rechnen damit, dass der jährliche Energiebedarf pro Quadratmeter Fläche bei etwa 100 Kilowattstunden liegen wird. Das ist ein vergleichsweise niedriger Wert, denn konventionelle Bürogebäude liegen bei 600 bis 800 Kilowattstunden. Es gibt aber bereits Bürogebäude, die einen Wert deutlich unter hundert schaffen. Das Thema Licht war ein wichtiger Aspekt, als es darum ging, den Energieverbrauch zu reduzieren: Der ringförmige Gebäudegrundriss mit dem großen Atrium ist so konzipiert, dass möglichst viel Tageslicht einfallen kann und somit weniger Kunstlicht gebraucht wird. Die nach innen gerichteten Arbeitsplätze sollen deshalb kaum weniger hell sein als die an den Außenfassaden.
Alles LED
Wenn aber doch Kunstlicht eingeschaltet werden muss, dann zumindest vergleichsweise sparsam, denn praktisch das ganze Gebäude wird mit Leuchten auf LED-Basis erhellt – da ist der Bau ein echter Vorreiter. Der Leuchtenhersteller Nimbus lieferte verschiedene LED-Modelle sowohl für die Arbeitsplätze als auch für Flure, Bäder, Küchen oder Foyers. Einige Leuchten wurden eigens für Unilever entwickelt, wie etwa die beiden Ringe im Atrium. Dazu kommt ein intelligentes Lichtmanagement – das Licht schaltet sich automatisch aus, wenn es nicht gebraucht wird, und die nötige Menge an Kunstlicht wird anhand des vorhandenen natürlichen Lichts dosiert.
Inseln in der Bürolandschaft
Auf dem aktuellen Stand der Büroplanung sind auch die Grundrisse der Etagen. Bei der Aufteilung der Flächen legten Bauherr und Architekt Wert darauf, Offenheit, Nähe und Austausch zwischen den Mitarbeitern zu fördern. Die alte Konzernzentrale von 1963 war von kleinteiligen, abgeschotteten Arbeitseinheiten geprägt, eine Struktur, die sich als nicht mehr zeitgemäß erwiesen hat. Im neuen Haus dominiert der open space, also große, fließende Räume, in denen die Arbeitsplätze, Besprechungsboxen und anderen Einrichtungen wie Inseln verteilt sind. Zudem lassen sich in weitläufigen Bürolandschaften natürlich auch mehr Mitarbeiter auf weniger Fläche unterbringen als in an langen Fluren aufgereihten Zellenbüros. Und eine Firma kann flexibler reagieren, wenn sich die Zahl der Angestellten ändert oder die Arbeit anders organisiert werden soll.
Möbel mit Schalldämpfer
Es ist kein Geheimnis, dass offene Büroetagen auch ihre Tücken haben. Die größte ist die Geräuschkulisse. Kaum etwas empfinden Menschen also so störend wie Gespräche oder Lärm, den sie unfreiwillig mit anhören müssen. Es war also ein zentrale Aufgabe des mit der Ausstattung beauftragten Büromöbelherstellers Steelcase, die Arbeitsplätze so zu gestalten, dass die Akustik angenehm ist und dabei eine gute Nachbarschaft gewahrt bleibt. Die Allzweckwaffe in so einem Fall, die Akustikdecke, kam nicht in Frage, da im Unilever-Haus die Kühlung des Gebäudes in die Betondecken integriert ist. Die Planer von Steelcase mussten also eine andere Lösung finden: Nun wird der Schall unter anderem von Schränken aus der Serie „3OH“ mit sogenannten „Akustikrücken“ und „Partito“-Aufsatzwänden auf den Schreibtischen gedämpft. Zum Einsatz kamen außerdem Tische aus der „FrameOne“-Familie.
Inspirierender Ausblick
Neben den im offenen Raum verteilten Arbeitsplätzen zeichnet sich das Innenleben der Konzernzentrale vor allem durch die locker im Haus verteilten informellen Plätze aus. Das sind Aufenthaltsorte und Treffpunkte wie Sitzgruppen, Stehtische oder die sogenannte „Lümmelbretter“: filzbezogene Minitischplatten, die an den reichlich vorhandenen Geländern im Haus aufgehängt sind und einladen, sich bequem aufzustützen, den Kaffeebecher abzustellen und ein Schwätzchen zu halten. Denn, auch das ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, die besten Ideen entstehen meist nicht am Schreibtisch, sondern zufällig zwischendurch. Und wer auf einem der Sessel auf der hauseigenen, aber öffentlichen Elbterrasse mit wirklich atemberaubendem Blick über Fluss, Containerschiffe und Hafenanlagen keine Inspiration bekommt, der bekommt sie wohl nirgendwo.
FOTOGRAFIE Adam Mørk
Adam Mørk
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