Projekte

Eine demokratische Geste

von Katharina Horstmann, 31.08.2010


Wer die 1.600 Meter hoch gelegene Hauptstadt Guadalajara im mexikanischen Bundesstaat Jalisco mit ihrem alten Namen „Perle des Westens“ beschreibt, erweckt einen falschen Eindruck. Die Stadt ist eine Millionenmetropole, die der deutsche Schriftsteller Karl Reiche bereits in den 1930er Jahren als „glänzende moderne Großstadt“ beschrieb. Zu jener Zeit setzte sich auch der Club Deportivo Guadalajara gegen seinen großen Rivalen, den Club Atlas, als „der“ Fußballverein der Stadt durch. Heute zählt der Club zu den beliebtesten Mannschaften Mexikos, was in diesem Sommer mit einem neuen Stadion, dem Estadio Chivas, belohnt wurde. Der Entwurf, der Teil eines öffentlichen Parks ist, stammt von dem französischen Architekten und Designer Jean-Marie Massaud und erinnert in seiner Form und seiner feuerroten Bestuhlung an einen Vulkankrater. Diesem Eindruck setzen die Badbereiche einen spannenden Kontrast entgegen.

 
 
Eigentlich hätte Jean Nouvel das Gebäude bauen sollen, doch durch Zufall – und seine große Überzeugungskraft – kam Massaud zu dem Projekt. „Als mich ein Auftraggeber von der Firma Omnilife besuchte, um ein Hotelprojekt mit mir zu besprechen, erzählte er mir, dass er gerade bei Jean Nouvel gewesen sei, um ein Fußballstadion in Auftrag zu geben. Es solle ein Tempel für die Chivas werden, die derzeitig beliebteste Mannschaft in Mexiko“, erzählt Massaud. „Daraufhin erklärte ich ihm, dass die geplante Architektur nicht die richtige Lösung für einen Fußballverein sei. Ein Stadion wird nur zweimal die Woche bespielt, den Rest der Zeit verbringt es als leerer Körper und wird zum Niemandsland für das Leben und die Gegend, in die man es implantiert hat.“
 
Leicht und immateriell
 
Jean-Marie Massaud hingegen wollte ein positives Symbol für die Landschaft abseits des Großstadtrummels der Millionenmetropole Guadalajara schaffen. Sein Entwurf sieht eine Multifunktionsarena vor, die Teil eines öffentlichen Parks ist. Eine große Rasenfläche umschließt den kraterähnlichen Betonbau und überdeckt die Parkplätze. „Man kann darauf eine Videowand aufstellen und dort die Spiele und Konzerte übertragen, die im Stadion stattfinden. So können auch die Menschen davon profitieren, die nicht das Geld haben, um sich eine Karte zu kaufen“, sagt der Franzose. „50.000 Plätze sind nicht viel für eine Stadt von knapp 20 Millionen Einwohnern. Das ist doch eine demokratische Geste.“ Anstatt nur während der Spielzeiten ist der Park nun täglich geöffnet, auch für diejenigen, die sich nicht für Fußball interessieren. Damit erhält der Ort eine übergeordnete Bedeutung. „Er wird leicht und immateriell, da er nicht als Gebäude, sondern als Teil des Parks wahrgenommen wird“, erklärt Jean-Marie Massaud.
 
El Volcán
 
Der Bau selbst umfasst die gesamte Infrastruktur des Sportbetriebs und bietet zusätzlich unterirdische Bereiche für Kinderbetreuung, Kino, Schönheitssalons und Fachgeschäfte für Sportartikel. Das oberste Tribünenband sitzt auf der zweigeschossigen Tiefgarage und ist, wie auch die Haupttribüne, mit einer feuerrot eingefärbten Bestuhlung bestückt – analog zu glühender Lava. Denn nicht von ungefähr wird der Bau von den Bewohnern Guadalajaras, die generell dazu neigen, Spitznamen zu verteilen – der reguläre Spitzname des Fußballvereins ist „Chivas“ – zu Deutsch: Ziege – „El Volcán“ genannt, der Vulkan.
 
Der VIP-Bereich der Tribüne hingegen ist in Weiß gehalten. Er umfasst das gesamte Rund der Arena und trennt das oberste Tribünenband von der Haupttribüne. Seine 330 Logen beherbergen Aufenthaltsräume mit Fernsehern sowie kleinen Küchenzeilen. Sie sind – wie das Stadion – in Weiß- und Rottönen eingerichtet: rote Sofas, weiße Tische, beige Wände und Küchenzeilen. Nur die Toiletten sind in dezenten dunklen Tönen gehalten. Hier sind die Wände aus anthrazitgrauen Natursteinplatten; im Kontrast zu diesen stehen weiße runde Waschschüsseln, die auf ebenfalls weißen Waschtischen stehen. Sie sind mit Armaturen sowie anderen Accessoires ergänzt, die, wie die Bassins, aus Massauds Hand stammen und Teil der nach ihm benannten Axor Massaud-Kollektion sind, der Designkollektion von Hansgrohe. Wie schon die VIP-Bäder sind auch die Duschräume der Spieler mit dunklen Natursteinplatten verkleidet. Hier können sich die Sportler nach einem harten Spiel von Hansgrohe-Tellerbrausen verwöhnen lassen.
 
Natur als Vorbild
 
Jean-Marie Massauds Gestaltungsphilosophie richtet sich weniger an technologischen Errungenschaften und Leistungen aus. Für seine Entwürfe ist vielmehr, ganz nach dem Credo „Nature Inspired Design“, die Natur Vorbild. Dabei interessiert den Franzosen weniger ein organisches Erscheinungsbild, als vielmehr das Zusammenspiel und die Effizienz von Form und Material. Das zeigt sich in seiner Architektur wie dem kraterförmigen Estadio Chivas als auch in seinen Produkten wie der Axor-Massaud-Kollektion.
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Jean-Marie Massaud

www.massaud.com

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