Glaskiste im Schnee
Anbau im tschechischen Isergebirge von Mjölk Architekti

Klare Kontraste: Mjölk Architekti erweiterten ein hundert Jahre altes Bauernhaus im tschechischen Ort Jizerka um einen verglasten Wohnraum mit Showküche. Nicht nur der Blick auf die Landschaft wird Teil des Erlebnisses. Auch üppige Schneemassen bilden eine Liaison mit der Architektur.
Es muss nicht immer alles aus einem Guss sein. Als das Büro Mjölk Architekti den Auftrag erhielt, ein Bauernhaus im Isergebirge zu erweitern, vollzog es einen klaren Bruch. Seit hundert Jahren stand der Bau in der Landschaft, umringt von hohen Tannen, wie in einem winterlichen Märchenfilm. „Wir haben das Haus mit Blick auf die Zukunft renoviert, aber gleichzeitig wollten wir nicht die wunderbaren, wilden und sperrigen Aspekte seiner Vergangenheit aufgeben“, sagt der Architekt Jan Mach, Jahrgang 1981. Zusammen mit seinem gleichaltrigen Partner Jan Vondrák hat er 2008 das Büro Mjölk Architekti in der nordböhmischen Stadt Liberec gegründet.
Bauernhaus trifft Moderne
Der ursprüngliche Bau blieb in seiner Kubatur und Materialität erhalten. Dennoch wurde die Verkleidung der Außenwände mit Lärchenholz erneuert, ebenso ein Teil der Dachschindeln. „Es war wichtig, dass wir der Hütte nicht ihre unantastbare Seele nehmen: den Duft des Holzes und die strenge Kühle der Granitblöcke. Wir haben behalten, was wir konnten. Was übrig blieb, haben wir durch ein neues Volumen ergänzt, das nicht versucht, mit der Vergangenheit zu konkurrieren“, so Jan Vondrák. An der Stelle eines ehemaligen Schuppens entstand ein Anbau, der als offene Wohnküche dient. Dennoch setzt der Bau mit Sichtbetonsockel und bodentiefen Glaswänden einen bewussten Kontrast zur historischen Substanz. Auch der Neigungswinkel des Pultdachs ist minimal gehalten, sodass aus der Ferne der Eindruck eines Flachdachs entsteht. Dem Bäuerlich-Rustikalen wird ein Ausflug in die Moderne entgegengesetzt.
Epochen-Clash
Die stilistischen Sprünge offenbaren sich außen und innen gleichermaßen. Besonders deutlich wird dies am Übergang von der Wohnküche zum Essbereich. Dort wurde ein großzügiger Einschnitt in die aus groben Granitsteinen gemauerte Außenwand vollzogen, sodass ein offener Raum entstanden ist. „Wenn man um den Schornstein herumgeht, ist es, als würde man sich in einer Zeitmaschine zwischen Vergangenheit und Zukunft hin- und herbewegen. Es dauert nur eine Sekunde, um ein Jahrhundert zu durchlaufen“, erklärt Jan Mach. Das Ergebnis ist kein undefiniertes Einerlei. Alt und neu sind eindeutig zu bestimmen. Sie ergänzen sich in spannungsvoller Wechselwirkung.
Zwei Ebenen, ein Raum
Damit der gläserne Anbau mit der Traufe abschließen kann, aber eine angenehme Raumhöhe entsteht, wurde er tiefer in den Boden eingegraben. Der Höhenversprung zum Altbau wird durch fünf Stufen aus Beton überwunden. Die Materialität weißer Fliesen des niederländischen Herstellers Dtile stärkt die Verbindung zwischen beiden Niveaus. Sie fassen sowohl den Ofen im Essbereich als auch den Herd in der Küche ein, sodass eine visuelle Klammer entsteht. Die abgerundeten Ecken der Fliesen sorgen für eine angenehme, wohnliche Raumwirkung.
Die Kücheninsel wurde von Mjölk Architekti mit dem tschechischen Hersteller Sollus umgesetzt, ebenso wie eine vor die Wand gestellte Arbeitsplattform. Die Fronten und Ablagen aus Eichenholz setzen einen warmen Kontrast zum Sichtbetonboden. Links neben dem Ofen ist ein Kamin platziert, davor eine runde, lederbezogene Sitzinsel. Eine ebenfalls mit Leder bezogene Fensterbank umrundet die Sitzinsel halbkreisförmig und schließt an die Steinverkleidung des Kamins an.
Atmosphärische Verstärker
Im Anbau ist die Decke mit verspiegelten Messingplatten verkleidet. Sie wirken wie Verstärker für die Farben der umgebenden Landschaft, die sich mit den Jahreszeiten verändern. Vor allem in den schneereichen Wintern entfaltet der gläserne Anbau eine besondere Wirkung. Am Tag wird viel Tageslicht ins Interieur reflektiert. In den Abendstunden kehrt sich die Wirkung um. Dann legt sich das Licht der Innenräume auf die Schneemassen und lässt sie warm leuchten. Es verwandelt das Haus in eine sanft schimmernde Laterne inmitten der winterlichen Landschaft.Unweit vom Anbau haben Mjölk Architekti eine weitere, freistehende Hütte mit kubischem Grundriss platziert. Sie nimmt eine Sauna auf, in der eine große Glasfront die Blicke beim Schwitzen nach draußen leitet. Zum Abkühlen hat Jan Vondrák ein verlässliches Konzept: „Eintauchen in den Schnee ist definitiv erlaubt!“
Transparente Fußböden
Oberhalb des Anbaus wurde ein halbkugelförmiges Oberlicht im Satteldach ergänzt. „Das runde Oberlicht leuchtet wie der Mond über dem Meer und die Matrosen im Bett haben den ganzen Ozean im Haus vor Augen“, beschreibt Architekt Jan Vondrák die Wirkung auf die Kinder der Bauherr*innen. Die runde Öffnung holt Sonnenlicht und Nachtgestirne in den Eingangsbereich des Altbaus, wo eine puristische Stahltreppe mit Holzstufen hinauf zu den vier Schlafzimmern im Obergeschoss führt. Diese warten allesamt mit rot gestrichenen Wänden auf. Puristische Holzbetten und Wandregale geben der Sinnlichkeit der Bausubstanz Vorrang.
„Die alten Balken riechen nach Geschichte und darüber befindet sich das ursprüngliche Strohdach, das wir bewahren konnten. Es vermittelt einen Eindruck davon, wie das Haus aussah, bevor wir es übernommen haben. Wo die Dielen des ursprünglichen Fußbodens nicht mehr zu retten waren, liegt jetzt ein Glasboden“, so Jan Vondrák. Die transparente Zwischenebene lässt die Blicke vom Erdgeschoss bis hinauf in den Dachstuhl wandern. Sie sorgt für mehr Helligkeit im ganzen Haus. Und sie gewöhnt schon die Kleinen an einen schwindelfreien Umgang mit der Höhe. Ergo: Es gibt immer etwas Neues zu entdecken in diesem Bauernhaus im Isergebirge – ganz gleich ob drinnen oder draußen.
FOTOGRAFIE BoysPlayNice BoysPlayNice
Typologie | Privathaus |
Ort | Polubný, Kořenov, Liberecký kraj, Tschechien |
Architekten | Mjölk Architekti |
Grundstücksgröße | 3.364 Quadratmeter |
Bruttogeschossfläche | 239 Quadratmeter |
Bebaute Fläche | 189 Quadratmeter |
Gebäude-Volumen | 754 Kubikmeter |
Möbel | Sollus |
Fenster | Janošík okna-dveře |
Ofenfliesen | Dtile |
Leuchten | Design von Mjölk Architekti, Produktion von Dekorax |
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