Günstiges Schaustück
Lernen von der Einfachheit: ein raffiniertes Wohnhaus vom Architekturbüro Arkosis in Costa Rica.

Offenheit ist Trumpf: Für ein Wohnhaus in Costa Rica ließ sich das Architekturbüro Arkosis von selbstgebauten Lagerhallen, Baracken und Häusern der Region inspirieren. Das Ergebnis ist kein hässliches Entlein, sondern ein stolzer Schwan, der mit räumlichen Qualitäten und einer natürlichen Klimatisierung aufwartet: Und das für 32.500 Euro.
Frau V. ist eine rüstige Rentnerin und passionierte Köchin. In La Vega, einem beschaulichen Dorf im Nordwesten von Costa Ricas Hauptstadt San José, wollte sie sich zur Ruhe setzen. Für die Planung ihres Hauses engagierte sie den Architekten Iván Delgado, der damit tatsächlich Neuland betrat. Schließlich sind alle Gebäude in der Region ohne Architekten errichtet worden: Selbstgebaute Wohnhäuser, Lagerhallen, Baracken und landwirtschaftliche Betriebe prägen das Bild. Wie ebenso unzählige Zelte, die am Straßenrand zum Verkauf von Obst und Gemüse dienen.
Lokaler Fokus
Als hätte ihm Bernard Rudolfsky über die Schulter geschaut, ließ sich Iván Delgado von diesen Strukturen inspirieren. „Ich glaube, dass wir einige unserer akademischen Ideen der gebauten Umgebung wieder vergessen müssen, um zu lernen, wie man wirkliche Architektur schafft“, sagt der Gründer des Büro Arkosis mit Sitz in San Ramón. Das informelle Bauen wird von ihm keineswegs als minderwertig oder abseitig betrachtet. Im Gegenteil: Es kann tatsächlich dazu dienen, dem "echten" Bauen neue Impulse zu verleihen – und Kosten an der richtigen Stelle zu sparen.
Doppelhäutiges Dach
Um auf eine aufwändige Gebäudetechnik verzichten zu können, verfügt das 90 Quadratmeter große Haus über ein doppelhäutiges Dach mit rautenförmigem Querschnitt. Die sich verjüngenden Kanten werden von filigranen Stahlträgern über die Außenmauern hinweggehoben, sodass eine natürliche Ventilation entsteht. Der Zwischenraum des beidseitig mit Wellblech beschlagenen Daches kann zum Teil als Speicher verwendet werden. Der Zugang erfolgt über eine ganz normale Trittleiter.
Eine wichtige Rolle für die Klimatisierung des eingeschossigen Hauses spielen die mit Canvas bezogenen Segel, die die holzbeplankte Terrasse überspannen. An der Außenfassade des Schlafzimmers ragen mehrere Betonwände wie Segelohren ins Freie. Sie sorgen dafür, dass das Sonnenlicht gleich doppelt reflektiert wird und damit an Hitze verliert, bevor es in das Innere des Hauses gelangt.
Eine Pufferzone zwischen innen und außen wird mithilfe von klappbaren Wänden geschaffen, die zur Terrasse vollständig geöffnet werden und den Wohnraum ins Freie verlängern. Die Klappwände sind aus einer feingliedrigen Metallkonstruktion gefertigt, die beidseitig mit horizontalen Brettern verkleidet ist. Ein schmaler Abstand zwischen den Hölzern lässt die Luft zirkulieren und filtert das Sonnenlicht wie eine halb verschlossene Jalousie.
Damit beim Bau nichts schiefging, überwachte Iván Delgado die Ausführung direkt vor Ort. Zur Erklärung des Projektes gegenüber den Bauarbeiten benutze er keine Pläne, sondern mehrere Modelle – was sich als besonders effiziente Methode herausstellte. Die Dimensionierung und Bemaßung des Hauses erfolgte übrigens nicht nach dem metrischen System, das in Costa Rica seit 1908 verwendet wird. Stattdessen wurden sämtliche Längen, Breiten und Höhen in Varas angegeben – einem alten Maß, das noch aus der Zeit der spanischen Eroberer stammt und auf dem Land bis heute verwendet wird.
360 Euro pro Quadratmeter
Dass sich der Einsatz gelohnt hat, zeigen die Baukosten von nur 32.500 US-Dollar. Umgerechnet auf die Größe des Hauses sind es rund 360 Euro pro Quadratmeter – und damit genau das, was Frau V. aus ihren Altersersparnissen für den Bau aufbringen konnte. Was sie dafür bekommen hat, ist jedoch alles andere als ein Sparpaket. Iván Delgado hat einen charaktervollen Ort geschaffen, der sich nicht abkapselt. Innen- und Außenraum sind auf schlüssige Weise verbunden, während eine Vielzahl an Pufferzonen für eine natürliche Klimatisierung sorgt. Wer weiß, bei welchen Projekten Iván Delgado noch von seinen Erfahrungen in La Vega profitieren wird.
FOTOGRAFIE Roberto D’Ambrosio
Roberto D’Ambrosio
Mehr Projekte
Surferträume im Reihenhaus
Umbau eines Sechzigerjahre-Wohnhauses in Norwegen von Smau Arkitektur

Wabi-Sabi am Hochkönig
Boutiquehotel stieg’nhaus im Salzburger Land von Carolyn Herzog

Faltbarer Transformer
Ein ländliches Wochenendhaus in Argentinien von Valentín Brügger

Funktionale Fassaden
Verschattung im Bestand und Neubau

Wohnhaus in Kurvenlage
Neubau mit rundem Garten in Südkorea von Sukchulmok

Palazzo mit Patina
Umbau eines apulischen Anwesens durch das Architekturbüro Valari

Alte Scheune, neues Leben
Historisches Gebäude in Tübingen wird zu modernem Wohnraum

Gebaut für Wind und Wetter
Ferienhaus im schwedischen Hee von Studio Ellsinger

Ein Dorfhaus als Landsitz
Wohnumbau von Ricardo Azevedo in Portugal

Ein offenes Haus
Feministischer Wohnblock Illa Glòries von Cierto Estudio in Barcelona

Harte Schale, weicher Kern
Unkonventionelles Einfamilienhaus in Mexiko von Espacio 18 Arquitectura

Zwischen Bestand und Zukunft
Umbau einer Kölner Doppelhaushälfte durch das Architekturbüro Catalanoquiel

Offen für Neues
Nachhaltige Renovierung einer flämischen Fermette durch Hé! Architectuur

Baden unter Palmen
Studio Hatzenbichler gestaltet ein Wiener Loft mit Beton und Grünpflanzen

Maßgeschneidertes Refugium
Georg Kayser Studio verbindet in Barcelona Altbau-Charme mit modernem Design

Rückzugsort im Biosphärenreservat
MAFEU Architektur entwirft ein zukunftsfähiges Reetdachhaus im Spreewald

Im Dialog mit Le Corbusier
Umbau eines Apartments im Pariser Molitor-Gebäude von RREEL

Warschauer Retrofuturimus
Apartment mit markantem Raumteiler von Mistovia Studio

Trennung ohne Verluste
Ferienhaus im Miniformat auf Usedom von Keßler Plescher Architekten

Architektur auf der Höhe
Wohnhaus-Duo von Worrell Yeung im hügeligen New York

Architektur im Freien
Pool und Pergola von Marcel Architecten und Max Luciano Geldof in Belgien

California Cool
Mork-Ulnes Architects restaurieren das Creston House von Roger Lee in Berkeley

40 Quadratmeter Einsamkeit
Ländliches Ferienhaus von Extrarradio Estudio in Spanien

Von der Ruine zum Rückzugsort
Wertschätzender Umbau von Veinte Diezz Arquitectos in Mexiko

Zwischen Alt und Neu
Architect George erweitert Jahrhundertwendehaus in Sydney

Co-Living mit Geschichte
Umbau des historischen Metropol-Gebäudes von BEEF architekti in Bratislava

Aus dem Schlaf erwacht
Kern Architekten sanieren das Vöhlinschloss im Unterallgäu

Archäologie in Beton
Apartment-Transformation von Jorge Borondo und Ana Petra Moriyón in Madrid

Geordnete Offenheit
Umbau eines Einfamilienhauses von Max Luciano Geldof in Belgien

BAYERISCHES DUO
Zwei Wohnhäuser für drei Generationen von Buero Wagner am Starnberger See
