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Hutznhaisl

von Cordula Vielhauer, 13.04.2010


Kleine Häuser auf eigentlich unbebaubaren Grundstücken zu errichten, gilt als eine Art Trendsport unter jungen Architekten. Seien es superschmale Baulücken, die doch noch gefüllt werden (Wohnhaus Ebers Architekten, Berlin) oder handtuchartige und schier unverkäufliche Grundstücke, die trotzdem einen Bauherren finden (Wohnhaus Matzig von Meck Architekten, München) oder Wohnzimmer, die zur Skulptur umgedeutet werden, um in einer Kleingartenanlage errichtet werden zu dürfen (raumlabor, Berlin): Architektur wird oft gerade dort interessant, wo hohe Erwartungen an räumliche Qualität auf geringe Mittel, wenig Platz und starke Widerstände treffen. Eine ebenso experimentelle Variante des Bauens im (eigentlich unbebaubaren) Außenbereich wie eine Rückbesinnung auf die elementaren Dinge des Lebens zeigen uns AFF Architekten (Berlin) mit ihrem „Hutznhaisl“ am Fichtelberg im Erzgebirge.


„Hutznhaisl“ – lässt man sich dieses Wort auf der Zunge zergehen, dann schmeckt es förmlich nach verräumlichter Butzenscheibe, spitzwinkligem Giebeldach und putziger erzgebirgischer Holzschnitzkunst. Und da das Erzgebirge nicht nur das Land der Schwibbögen, sondern auch der Riesen, Zwerge und Legenden ist, könnte man die Vorgeschichte des kleinen Hauses auch als Märchen erzählen:

Es war einmal ein kleines Holzhäuschen, das stand ganz allein an der Landstraße auf dem Weg zwischen Rittersgrün und Oberwiesenthal. Vor vielen Jahren war es einmal als doppeltes DDR-Typenhaus B26 errichtet worden, seine spärlichen 52 Quadratmeter Grund dienten dem Skisportclub Dynamo als Unterkunft und Umkleidekabine. Doch seit es Mitte der neunziger Jahre niemand mehr nutzen wollte, wartete es einsam und verlassen an der Durchfahrtstraße und sah den Reisenden traurig nach mit seinen kleinen Sprossenfenstern, die unter dem einstmals kecken Pultdach hervorlugten. Wind und Wetter hatten dem Häuschen arg zugesetzt, und die Wände konnten das Dach kaum noch tragen. Da spürte das Häuschen, dass sein Ende gekommen war, es tat einen leisen Seufzer und bat sich noch einen letzten Wunsch aus: ‚Wenn auch meine Hülle sterblich ist, so soll doch der Raum, den sie birgt, bewahrt bleiben!‘ Und siehe da, sein Wunsch ward erhört.

Ein Haus wird zum Fossil

AFF Architekten erwarben den Holzbungalow auf einer Versteigerung in Berlin. Die Arbeiten des jungen Büros setzen sich – unter anderem – immer wieder mit den plastischen Möglichkeiten des Baustoffs Beton auseinander, sei es für eine Sichtschutzwand aus Formsteinen bei einem Einfamilienhaus, die auf die DDR-Moderne rekurriert. Oder für eine Wand aus konisch zulaufenden Schlitzfenstern („Hutzen“), die sich von Innen nach Außen stülpt, wie im mineralogischen Museum in Freiberg, und damit den Neubau im Altbau sichtbar macht. Bei der Schutzhütte am Fichtelberg erprobten sie nun die umgekehrte Herangehensweise: Der Bestandsbau mit seinen Holzwänden wurde abgegossen; die Außenwände des Holzhauses wurden damit zu einer Seite der Betonschalung.

Der Abdruck des früheren Häuschens ist nun auf der Innenwand der neuen Schutzhütte sichtbar und bewahrt so dessen Erinnerung mit all seinen „Attributen der Geborgenheit“ (und auch ein wenig wie ein Fossil in der Sammlung des mineralogischen Museums). Im kulturellen Kontext kann man das als Verweis auf die Abguss-Plastiken der britischen Künstlerin Rachel Whiteread lesen; die Architekten nennen aber auch die Natur mit ihren Spuren, Fährten und Abdrücken der Tiere, die wiederum von den Jägern gelesen werden, als Referenz. Entstanden ist ein kleines, monolithisch wirkendes Betonvolumen, dessen typologische Bestimmung irgendwo zwischen Haus, Bildhauerarbeit und Höhle angesiedelt werden kann. Von außen betrachtet, ist es ein Flachbau mit langen Stützwänden, die sich in den Berg schieben, und der sich an einer Ecke zu einem konisch zulaufenden Schlot ausstülpt. Diese „Riesenhutze“ erhebt den Bau erst in die dritte Dimension und verleiht ihm eine gewisse Dynamik und Zeichenhaftigkeit.

Offen für die Natur

Der lang gestreckte Innenraum lebt von der Plastizität der Abguss-Wand, aber auch von den großen Panorama-Klappfenstern, die sich zum Wald hin öffnen und sich die gesamte Längsseite des Hauses entlang ziehen, dem rustikalen Dielenboden sowie dem Kamin, der den langen Raum in einen Wohn- und einen Essbereich teilt. Und von der Dachgaube, als die sich die „Riesenhutze“ im Inneren entpuppt (eine ähnliche, allerdings seriell gefertigte Gaube setzten die Architekten übrigens bereits beim Jugend- und Begegnungszentrum am Barleber See in Magdeburg ein). Da der Dachüberstand des Bungalows als überbaute Fläche galt, konnten die Architekten in diesem Bereich eine Zone mit Serviceräumen wie Eingang, Bad und Kochgelegenheit einplanen. Auch ein von außen zu öffnender Abstellraum ist hier untergebracht.

Mit den Elementen leben

Zwar sind Koch- und Waschgelegenheiten vorgesehen, es gibt jedoch kein fließendes Wasser und auch keine Heizung. Lediglich Strom spendende Steckdosen sind reichlich verlegt. Das Wohnen wird hier – wie das Bauen der Hütte – zum Experiment. Wer kochen will, muss zunächst Wasser holen, wer sich wärmen will, muss ein Feuer anzünden. Unter der langen und tiefen Fensterbank wird das Holz dafür gestapelt, gleichzeitig dient sie als Sitzgelegenheit. Ansonsten sind die meisten Möbel sowie der Kamin Fundstücke oder Recyclingprodukte. Die Nadelbäume für den Holzfußboden stammen aus der Umgebung; und selbst die Zuschläge für den Beton kommen aus einem Phonolithsteinbruch bei Hammerunterwiesenthal, was den Wänden auf Grund des besonderen Mineralgehalts nun ein leichtes Glitzern beschert.

Zentrales Element des Wohn- und Essraums ist jedoch der große Holztisch, dessen aufgedoppelte Tischplatte in vielen Schubladen Stauraum bietet für diverse Utensilien und Besteck. Die nach innen geknickte und mit einem Stahlzug zusammengehaltene Unterkonstuktion des Tischs sorgt auch für Beinfreiheit, wenn die Zahl der Gäste die Belegungsgrenze übersteigt (in dem Haus können vier bis sechs Personen übernachten). Als Schlafgelegenheiten dienen zwei Räume an den beiden Querseiten des Gebäudes, deren Trennwände jedoch einen Durchgang frei lassen. Zur Fensterseite hin sind sie mit kleinen Mäuerchen in Sitzhöhe abgeteilt, die zum Schlafraum hin die Auflager für Holzdielen bilden. Ganz dem Konzept der Rückbesinnung auf das Elementare folgend, bettet man sich auf diesen Podest nicht in Daunen, sondern mummelt sich in einen Schlafsack ein. Und anstatt den Fernseher anzuschalten, liest einem bei Kaminknistern und Kerzenschein vielleicht noch jemand ein Märchen vor.

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