Im Haus von Sergey Makhno
Im Haus von Sergey Makhno in Kiew
Sergey Makhno ist zweifelsfrei der Stararchitekt der Ukraine. Vor einigen Monaten hat er den Bau seines eigenen Wohnhauses abgeschlossen. Hier kulminieren all die Elemente, für die seine Entwürfe seit 17 Jahren Praxis stehen: japanischer Minimalismus, Details im Sinne nationaler Traditionen und Möbel aus der eigenen Feder.
Wo ein wichtiger Einfluss auf die Arbeit Sergey Makhnos herrührt, wird unmittelbar hinter der das Gelände umklammernden Mauer aus Sichtbeton deutlich. Der Garten ist eine Hommage an Zen und Wabi Sabi, eine Outdoor-Galerie auf Kieselgrund, die nur von einigen Kirsch- und Ahornbäumen überschattet wird. Zoomorphe Töpferwaren aus der Ukraine stehen neben Skulpturen zeitgenössischer Künstler, ab und an huscht ein Eichhörnchen vorbei. 250 Tonnen in kleinen Steinen wurden hier ausgelegt – und sind nur ein Vorgeschmack auf die Hingabe, Konsequenz und Leidenschaft, die sich im Innern des strohgedeckten Gebäudes zeigen.
Ein Haus wie eine Höhle
Das Haus liegt in Kosyn, einem Vorort Kiews. 30 Kilometer südlich des Zentrums schmiegt er sich an einen Seitenarm der Dnepr. Das Haus war ein Umbau. Eine der ersten Maßnahmen des Architekten bestand in der Zusammenlegung von Erdgeschoss und oberer Etage im Bereich des Wohnzimmers. Trotz der hohen Wände wirkt der Raum jetzt wie eine Höhle. Denn die Wände sind mit Ton verkleidet, in einer traditionellen Technik, wie sie vor vielen Generationen in ursprünglichen Landhäusern üblich war. Zu ihnen passt der Kamin, der noch die Fingerabdrücke seiner Erbauer zeigt. „Mach einen Schritt in das Haus, und die Kühle des Tons absorbiert nicht nur das Telefon, sondern auch alle Sorgen“, sagt Sergey Makhno.
Ein Leben mit und für Keramik
Der Architekt liebt die Dinge. Aber nicht im Sinne obsoleten Krams und rein dekorativen Unsinns. Er sammelt Objekte mit Geschichte wie Keramik aus seiner Heimat. Sein erstes Stück hat er als Kind im Garten seiner Großeltern gefunden, sein ältestes ist zwischen vier- und siebentausend Jahre alt. Für alle seine Fundstücke hat er ein eigenes Regal gebaut, das sich bis zum Dach an der Wand emporschiebt. Das Holz hat er zuvor aus elf Abrisshäusern zusammengetragen. „Den Dingen ein zweites Leben zu geben, ist das Beste, was wir für unseren Planeten tun können“, kommentiert er.
Architektur als Entscheidungshilfe
Das Erdgeschoss ist in mehrere Bereiche für die Gemeinschaft aufgeteilt: das Wohnzimmer, einen Essbereich und zwei Küchen. Die größere der beiden ist offen gestaltet und schließt sich direkt an den Wohnbereich an. Sie bildet den Ort, an dem man sich in großen Runden trifft und nur ein paar Schritte vom Kamin entfernt ist. Die kleine ist geschlossen angelegt und die Familienküche mit typisch ukrainischer Einrichtung. Über dem Tisch hängt ein „mysnik“, ein spezielles Regal, das für die Aufbewahrung von Geschirr gedacht ist. Das große Fenster zum Garten ist gleichzeitig ein Austritt. „Alles in diesem Haus ist dafür gemacht, Entscheidungen zu erleichtern“, sagt Sergey Makhno.
Tatami mit Aussicht
Die obere Etage beherbergt alle Familienräume: Die Räume der drei Söhne und das Elternschlafzimmer. Auffällig sind auch hier wieder die Bezüge zur japanischen Kultur, die sich nahtlos mit den ukrainischen Traditionen verwebt. Tatami-Matten und dunkles Holz treffen auf Blob-Leuchten aus dem Portfolio des Architekten, an den Wänden der Kinderzimmer hat Sergey Makhno ein paar handgemalte Charaktere hinterlassen. Ein besonderes Feature ist das innenliegende, rahmenlose Fenster des großen Elternschlafzimmers, von dem aus das Wohnzimmer überblickt wird. Es bringt den Raum in die Schwebe und wirkt als visuelle Verbindung zwischen dem privaten und dem gemeinschaftlichen Bereich. Vor das Fenster hat Sergey Makhno sich einen einfachen Holzschreibtisch gestellt, den er als sein Arbeitszimmer bezeichnet.
Ton statt Tapete
Sein Privathaus ist wie ein Werkzeugkasten, in dem all die Elemente liegen, die er für seine Arbeit braucht. Zu den wichtigsten Bestandteilen der Philosophie des Architekten gehören Japan, die Ukraine, Natur, Textur und Materialien. Wie auch bei Victoria Yakusha ist Ton für ihn als Ukrainer ein essentieller Werkstoff: Er verkleidet vollflächig die Wände, findet sie als Skulptur oder Fliese. Neun verschiedene Techniken des Auftrags wurden allein bei der Wandgestaltung eingesetzt, manchmal mit Zuschlägen wie Leinsamen, Roggen oder Weizen. Die Leidenschaft für Ton ist Teil seiner DNA: Zu seinem Studio gehört eine Keramikwerkstatt, in der er sonst seine Leuchten erarbeitet oder aber auch die Waschbecken seines Hauses gefertigt hat. „Wenn Archäologen von anderen Planeten in 5.000 Jahren mein Haus auseinandernehmen, dann werden sie sagen, dass dieses Haus gemäß ukrainischer Traditionen errichtet wurde. Dass hier viel Natur war – und viel Leben.“
Im Gespräch mit Sergey Makhno
Wann und wo wurde das Studio gegründet? Ich habe Sergey Makhno Architects vor 17 Jahren in meiner Heimatstadt in Kiew gegründet. Während meines Architekturstudiums an der Kyiv National University of Construction and Architecture habe ich mich bereits am Design von Produkten und Innenräumen versucht – und auch schon praktisch gearbeitet, um keine Zeit zu verschwenden. Sobald ich meinen ersten ernsthaften Auftrag für ein Restaurant vom Vater eines Freundes erhielt, nahm die kreative Arbeit meine ganze Energie in Beschlag. Es folgte der Entwurf eines Hauses in einem Vorort von Kiew - und ich hatte bereits ein kleines Team. Heute sind wir mit mehr als fünfzig Mitgliedern eine Familie. Und alle lernen täglich voneinander. Nicht nur beruflich, sondern in meinem Studio beginnen sie auch unser Heimatland, unsere Geschichte und unsere Natur zu lieben.
Wie würden Sie das ukrainische Design charakterisieren? Die Ukraine ist meine Heimat – und sie verdient weltweit Anerkennung. Für ihre Ideen, für die Weisheit unserer Vorfahren. Die Welt erkennt das ukrainische Design mittlerweile als neues Skandinavien an und hat es für die nächsten Jahre auf die Trendagenda gesetzt. Mir liegt am Herzen, dass die Welt von den ukrainischen Techniken, unseren natürlichen Materialien, traditionellen Formen, Farben und Ornamenten hört – und zwar in einer modernen und innovativen Interpretation.
Was ist typisch ukrainisch? Und wie nimmt die ukrainische Kultur Einfluss auf Ihre Projekte? Sie ist nicht irgendetwas, das irgendwie Einfluss nimmt. Die ukrainische Kultur und Geschichte ist die Leitidee all meiner Arbeiten, von der Dekoration, die wir in unserer eigenen Keramikwerkstatt auf alten Töpferscheiben herstellen bis hin zum Interieur von Privathäusern. Ich bin inspiriert von Lehrbüchern über ukrainische Pflanzen, wir schreiben der ukrainischen Kultur gewidmete Manifeste. Wir sind ukrainisch vom Lehm an den Wänden bis zu den Namen unserer Leuchten – Makivka, Khmara, Zerno, Vulyk. Sind das nicht ursprüngliche und schöne Worte?
Was macht die Ukraine gerade für Kreative so spannend? Wir haben uns als Kreative in der Ukraine lange Zeit die Grundlage dafür erarbeitet, von der Welt als Innovatoren, als Künstler verstanden zu werden. Über Jahrzehnte war ich in meiner Arbeit in ständiger Verbindung mit der ukrainischen Kultur. Wir haben sie auch dann nicht verraten, als sie noch nicht verstanden wurde – um jetzt die Welt davon zu überzeugen, dass wir Aufmerksamkeit verdient haben. Jetzt interessiert man sich überall wieder für Wurzeln und Traditionen. Und auch die Ukrainer wenden sich ihren Ursprüngen und ihren Handwerksmeistern zu.
Was bedeutet es für Sie, ein Designer in der Ukraine zu sein? Es bedeutet Verantwortung. Viele junge Designer in der Ukraine betreten jetzt den Weg, den ich seit 17 Jahren gehe. Das ist eine große Unterstützung. Ich bin froh, dass sie erkannt haben, wie wichtig es ist, seine Traditionen zu schätzen. Ich habe zu Beginn meiner Karriere das Potenzial des ukrainischen Stils erkannt und hatte Recht. „Ukrainian contemporary” ist heute dabei, weltweit anerkannt zu werden.
Wessen Arbeit bewundern Sie – und warum? Meine ewige Inspiration ist Japan. Dank Japan habe ich gelernt, die Ukraine zu lieben. Als ich zum ersten Mal nach Japan reiste, sah ich, wie sie dort ihr kulturelles Erbe schätzen. Ich verstand, dass die ukrainische Kultur sehr reich ist, aber nicht entsprechend behandelt wird. Japan hat mir mein Land zurückgegeben. Es hat meine Augen und vor allem mein Herz für den Reichtum geöffnet, den ich immer hatte – meine Heimat. Ich entwerfe ukrainisches Design im Sinne einer japanischen Wahrnehmung des Schönen. Die Werke von Tadao Ando sind für mich die Verkörperung des Genialen. Ich habe sogar meinen jüngsten Sohn nach ihm benannt – Tadao.
FOTOGRAFIE Serhii Kadulin
Serhii Kadulin