Im Zeichen der Moderne
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Umbrüche können sich fördernd oder hemmend auswirken; für Brasilien waren die Vorzeichen nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch eindeutig positiv. Bis dahin eher unbekannt in den architektonischen Entwicklungen wurde die ehemalige portugiesische Kolonie in der Baukunst eines der führenden Zentren der Welt. Gebäude wie Oscar Niemeyers Bildungsministerium in Rio de Janeiro erschienen geradezu als der Inbegriff einer Architektur, die auf der Höhe ihrer Zeit war und 1960 mit dem Bau der neuen Hauptstadt Brasília kulminierte. Dieser imposanten Entwicklung widmet nun der brasilianische Architekt Marco Kogan das „Osler House“. Es ist ein poetischer Kommentar zur modernen Architektur, insbesondere der brasilianischen Moderne – angefangen bei der zeitgenössischen Interpretation der Materialien und Bautechniken des Gebäudes bis hin zur architektonischen Einbindung des Gartens und des Swimmingpools.
Das Haus liegt an der Spitze des Lago do Paranoá im Osten von Brasília in einer Wohngegend unweit verschiedener Botschaften und der Universität. Es besteht aus zwei kubischen Baukörpern aus Stahlbeton, wovon der eine um 90 Grad gedreht auf dem anderen sitzt und auf der anderen Seite von Pilotis gestützt wird.
Die südliche Längsseite des unteren Hauptbaus flankiert den Garten. Sie ist mit vertikalen Holzläden verkleidet, die geschlossen das Sonnenlicht filtern, sich jedoch auch komplett öffnen lassen und so den Innenraum mit dem Garten und dem großzügigen, parallel zum unteren Geschoss liegenden Schwimmbad verbinden. Dieses ist mit langen Holzleisten gefasst und wird auf der anderen Seite von einer Mauer aus Stahlbeton vor den Blicken der Nachbarn abgeschirmt, sodass sich die Bewohner des Hauses ungestört im Garten aufhalten und im Becken lange Bahnen schwimmen können.
Würfelspiel mit kubischen Formen
Der obere, fast schwebende Kubus hingegen öffnet sich an beiden Längsseiten mit weiten, durchgehenden Glasflächen zum Garten hin und bietet einen herrlichen Ausblick auf die Umgebung. Unterhalb des schwebenden Volumens entsteht eine Art halbgeöffneter und überdachter Hof, der als Terrasse fungiert. Das langgestreckte, flache Dach des unteren Hauptvolumens dient als zusätzliches Sonnendeck, erreichbar über eine große Glasschiebtür vom ersten Stock oder einer langen Außentreppe vom Garten aus.
Sind im Erdgeschoss die Garage, zwei Schlafzimmer, Bäder und Wirtschaftsräume untergebracht, nimmt die obere Etage das Wohn- und Arbeitszimmer sowie die Küche auf. Letztere bilden ein räumliches Kontinuum. Es gibt keine Raumteiler, sodass die visuelle Transparenz des Obergeschosses nicht unterbrochen wird. Nur durch die Küchezeile selbst wird die Küche vom Wohnzimmer getrennt; die weiteren, wenigen Möbel sind nicht höher als einen Meter und stammen vorwiegend von dem Architekten und Designer Sergio Rodrigues, der zu den wichtigsten Gestaltern des brasilianischen Designs gehört und schon Oscar Niemeyers Bauten in Brasília einrichtete.
Transparenz und Licht: das Badezimmer
Auch das Erdgeschoss ist minimal gestaltet. Hier ist fast alles in Weiß gehalten: weiße Wände, helle Natursteinböden und Möbel. Ein besonderer Clou ist das fensterlose Bad des Hauptschlafzimmers. Der mit einer Badewanne, Waschtisch, Toilette und Bidet ausgestattete Raum ist von zwei Seiten mit Wänden aus Milchglas umfasst, die ihn größer erscheinen lassen und dennoch vor störenden Blicken schützen. Gleichzeitig wird es darüber mit Tageslicht versorgt, denn hinter den Milchglasscheiben liegt das Schlafzimmer mit Fenstern nach draußen.
Zu den wichtigsten Elementen des Wohnhauses gehört ein Wandpaneel im Eingangsbereich, das mit Fliesen belegt ist, die der brasilianische Maler und Bildhauer Athos Bulcão kurz vor seinem Tod 2008 speziell für das „Osler House“ entworfen hat. Wie schon Sergio Rodrigues arbeitete der sogenannte „Künstler von Brasília“ viel mit Niemeyer zusammen und beteiligte sich intensiv am Aufbau der Planhauptstadt.
Gestalter von Brasília
Das architektonische Konzept von Marco Kogan, der brasilianischen Moderne ein Zeichen zu setzen und dabei zwei kubische Baukörper zu einem einheitlichen Ganzen zu fügen, verhindert, dass seine Neu-Interpretation einen kompletten Bruch mit dem Ort formuliert. So bekommt das Gebäude verschiedene Gesichter, die auf die direkt damit konfrontierte Umgebung reagieren: einerseits etwas distanziert, sogar völlig abgeschlossen, wenn der Blick auf die Nachbargebäude fällt; andererseits offen und fast verschmelzend mit der Landschaft, sei es mit dem Garten oder der Aussicht über die Planhauptstadt und seine Denkmäler der modernen Architektur.
FOTOGRAFIE Pedro Vannucchi
Pedro Vannucchi
Links
Marcio Kogan
www.marciokogan.com.brMehr Projekte
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