Innerer Monolith: Nachverdichtung in Aachen
Dem strengen Reglement ein Schnippchen schlagen: Erweiterung eines Reihenhauses von AMUNT Martenson.

Reihenhäuser sind eine Entscheidung der Vernunft. Leidenschaft kommt einem dabei hingegen eher seltener in den Sinn. Dass letztere tatsächlich nicht ganz ausgeschlossen werden darf, zeigt ein Blick in die Aachener Siedlung Beverau. Der Architekt Björn Martenson vom Büro AMUNT Martenson hat dort die Typologie des Reihenhauses neu belebt – und dem strengen Reglement ein Schnippchen geschlagen.
In Aachen-Beverau sind in den Fünfzigerjahren Wohnhäuser für die Familien der belgischen Streitkräfte errichtet worden. Nach deren Abzug kamen die Häuser auf den freien Markt und galten schnell als begehrte Adresse. Nicht nur, weil sie Wohnen im Grünen mit einer Nähe zum Zentrum verbinden. Aufgrund der Großzügigkeit der Parzellen ist ebenso eine nachträgliche Verdichtung zugelassen. Genau dafür hat sich eine Aachener Familie entschieden. „Sie wohnten zuvor in der Innenstadt und hatten eine Aversion gegenüber Reihenhäusern mit vorgefertigten Grundrissen, wie sie überall in der Peripherie entstehen“, sagt Björn Martenson. Der Gründer des ebenfalls in Aachen ansässigen Architekturbüros AMUNT Martenson stand vor einer kniffeligen Aufgabe: Auf der einen Seite musste er die strengen Vorgaben befolgen, die Kubatur, Traufhöhe, Dachform und Fensterordnung in der Siedlung genau festlegen. Auf der anderen Seite wollte er aus der Uniformität ausbrechen.
„Wie kann man räumliche Komplexität und Dichte erzeugen, die man in einem Reihenhaus überhaupt nicht erwartet?“, bringt Björn Martenson den Anspruch auf den Punkt. Wenn er die Regeln schon nicht brechen kann, kann er sie zumindest dehnen. Die Lösung bestand in der Umwandlung des Erdgeschosses zum Open Space, in dem gewohnt, gekocht und gegessen wird. Um Weite zu erzeugen, geht das Erdgeschoss in einen vier Meter tiefen, eingeschossigen Anbau über.
Fließendes Kontinuum
Die Besonderheit dieses ungleichen Häuserverbunds offenbart der Blick an die Decke. Diese verläuft keineswegs horizontal, sondern folgt einer durchgehenden Schräge. Von der Straßenfassade des Wohnhauses bis zur Rückseite des Anbaus steigt die Deckenhöhe um einen Meter auf 3,40 Meter an. Genau an ihrem höchsten Punkt öffnet sich die „Wohnhalle“ durch eine gläserne Schiebewand zur Terrasse und zum Garten. „Damit entsteht ein fließendes Kontinuum, das Innen- und Außenraum miteinander verbindet“, sagt der Aachener Architekt.
Dass die Erdgeschossdecke im Gefälle liegt, wirkt sich ebenso auf das Ober- wie das Dachgeschoss aus. Das Ergebnis sind gliedernde Stufen, die die Schlaf- und Kinderzimmer jeweils mittig in eine untere und obere Ebene unterteilen. Die Höhensprünge geben naheliegende Nutzungen vor, indem auf den Podesten ein Bett und auf den niedrigeren Ebenen ein Tisch mit kleiner Sitzgruppe platziert werden könnte. „Das Podest kann selbst ein Möbel sein, sodass man nicht mehr als nur ein Lattenrost und eine Matratze benötigt. Dahinter steckt die Idee, ein einfaches, fast schon japanisches Wohngefühl einzubringen“, meint Martenson.
Architektur ist Möbel
Das Zusammenspiel aus Architektur und Möbel ist ebenso in der „Wohnhalle“ erlebbar. Dort vollzieht eine Betonarbeitsplatte mit eingelassener Spüle einen Höhensprung nach unten und geht in eine hölzerne Sitzbank über. Gegenüber wird ein Regal als Raumteiler verwendet, um einen Arbeitsbereich mit einem Bad abzutrennen. In der Mitte des Raumes soll später einmal eine Bulthaup-Küchenwerkbank stehen. Genau darüber ragen zwei Betonkuben aus der Sichtbetondecke nach unten. Sie dienen als Aufhängung für Regalböden, die genau über der Arbeitsplatte der Kücheninsel platziert werden.
„Wir wollten bei diesem Haus mit Rohbaumaterialien arbeiten, die später im Ausbau nicht versteckt werden. So bleiben die vier Eichenstützen, die das Obergeschoss mittragen, ebenso sichtbar wie der monolithisch bearbeitete Bimsstein, der nur außen, aber nicht innen verputzt ist“, erklärt Björn Martenson. Die Abkehr von konventioneller Reihenhaus-Gemütlichkeit wird jedoch keineswegs allein durch räumliche Weite und einen rau-warmen Materialkontrast erzeugt. Von der ersten Etage führt ein rundes Treppenhaus mit Wendeltreppe und holzverkleideten Innenwänden ins Dachgeschoss hinauf – wodurch sich in den Ecken der Kinderzimmer markante Rundungen abzeichnen. Die Botschaft ist eindeutig: Es sind vor allem die inneren Qualitäten, mit denen dieses Reihenhaus locker aus der Reihe tanzt.
FOTOGRAFIE Filip Dujardin
Filip Dujardin
DEAR Magazin Nr. 3/2017
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www.dear-magazin.deHaus Grau
Reihenhaus Nachverdichtung im Bestand, Aachen / 2017
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