Japanisch-ukrainische Fusion
Wohnhaus im Nadelwaldgarten bei Kiew von Shovk
Direkt am Wald und dennoch in Stadtnähe haben die ukrainischen Gestalter*innen von Shovk ein japanisch beeinflusstes Wohnhaus in die Landschaft eingebettet. Mit seinem großen runden Fenster, einer dunklen Holzfassade und dem zum Teil konsequent mit Birke ausgekleideten Innenraum ist es ein Ruhe-Refugium, das die Natur zu einem integralen Bestandteil des Designs macht.
Mehr als hundert Häuser haben die fünf Architekt*innen von Shovk aus Kiew bereits geplant, errichtet und ausgestattet. Seit dem Krieg in ihrer Heimat realisierten sie zunehmend internationale Projekte: in der Dominikanischen Republik, in Kalifornien oder auf Bali. Das Dzen House steht auf heimischem Boden, wurde ab 2022 gebaut und wird vom Team – nicht ganz ohne Hinweis auf die prekäre Lage im Land – als „Zufluchtsort” beschrieben, als ein Platz „für alle, die in ihren eigenen vier Wänden Gelassenheit und Einheit mit der Natur und dem Universum suchen”. Außerhalb der Hauptstadt Kiew gelegen, grenzt es an einen Garten mit Nadelwald. Auch beim Interieur wurde Holz als dominierendes Material gewählt. Mit Minimalismus als Metathema und aufwendigen handwerklichen Details zogen auch Askese und Zeitlosigkeit in das zweistöckige, 117 Quadratmeter große Wohnhaus mit ein.
Organisatorischer Kreislauf
Das Erdgeschoss ist als ein großer Raum konzipiert, der durch einen zentralen, holzverkleideten Kern zoniert wird. In seinem Inneren ist das Treppenhaus untergebracht, daneben liegen ein Bad und ein Wirtschaftsraum. Dadurch ergeben sich zwei Funktionsbereiche. Zum Eingang hin wurde die Küche positioniert. Im hinteren Teil der Grundfläche und erreichbar über die zwei Flure seitlich des Kerns liegt das Wohnzimmer. Dank dieser Anordnung können die Bewohner*innen das Haus in einer zirkulären Dynamik nutzen, statt ausschließlich Hin- und Rückwege zu gehen. Gleichzeitig wird das Wohnzimmer zum stillen Refugium, das sich mit seinen zwei bodentiefen Fenstern zum Garten hin ausrichtet und dabei der Geschäftigkeit in der Küche entzieht.
Homogene Höhle
Das erste Obergeschoss ist ein Ort der Stille und eine Hommage an japanische Traditionen und ukrainische Baukultur. Konsequent wurden alle Flächen, vom Boden über die Wände bis zu den schrägen Decken, mit lokalem Birkensperrholz verkleidet. Das Layout ist dabei in seiner Grundstruktur identisch mit dem auf Straßenniveau: Auch dort gliedert der zentrale Kubus den Grundriss, diesmal in einen offenen Aufenthaltsbereich und die zwei rückwärtig gelegenen Schlafzimmer. Alle Einbauten der Räume, wie Schränke, Regale und niedrige Bettpodeste, wurden homogen aus Holz gebaut, sodass alles wie aus einem Guss wirkt. Während das Erdgeschoss der Geselligkeit und Begegnung gewidmet ist, dient die erste Etage dem privaten Rückzug und den kontemplativen Momenten.
Entspannungszone
Das vordere Zimmer ist in einen Tatami-Raum und ein schmales Arbeitszimmer gegliedert, das gerade einmal Platz für einen Stuhl und ein kleines Schreibpult bietet. Getrennt werden beide Bereiche durch ein offenes Regalmodul. Die komplett mit Matten ausgelegte Klause dient unmittelbar nebenan der Entspannung und Meditation und wird für Teezeremonien genutzt. Diese Funktionen haben die Architekt*innen schon bei der Planung bedacht und deshalb den Raum mit einem besonderen Fenster ausgestattet. Die große runde und rahmenlose Scheibe weist zu den Baumwipfeln des Gartens. „Von hier hat man einen Blick auf die Regentropfen, die von der Traufe des Daches fallen”, erläutern die Gestalter*innen. Und bei geschlossenem Vorhang erinnert das weiße Textil tagsüber an einen leuchtenden Himmelskörper.
Ruhe und Harmonie
Über den Zugang zu ihren Projekten erzählen die Architekt*innen, dass sie zeitlose Konzepte entwickeln wollen, die keinen Modetrends unterliegen, und auf energieeffiziente Technologien und Strategien setzen. Dazu gehört für Shovk auch die Wahl der Materialien. In der ersten Etage wurde ein Betonboden mit eingebautem Heizungssystem gegossen, der die Wärme speichert und gleichmäßig verteilt. Wichtig für den Wärmehaushalt des Gebäudes ist auch der Kamin im Erdgeschoss, dessen Rohr direkt durch das Hauptschlafzimmer führt und den Raum ebenfalls erwärmt. Außerdem wurde ein Belüftungssystem integriert, das für eine kontinuierliche Frischluftzufuhr sorgt, ohne die Temperatur der Innenräume signifikant zu beeinflussen. Das entschleunigte und kontemplative Interieur in Kombination mit dem Naturszenario des Standorts hat auch die Namensgebung beeinflusst. Die Architekt*innen tauften den Wohnbau Dzen House (Ukrainisch für „Zen“) — und übernahmen aus der japanischen Lehre Merkmale wie Einfachheit, Klarheit, natürliche Materialien, offene Räume und eine harmonische Farbpalette.
FOTOGRAFIE Yevhenii Avramenko Yevhenii Avramenko