Kompakte Grandezza
Ein umgebauter Palazzo-Saal von llabb in Genua
Es war einmal ein italienischer Palazzo, den die urbane Stadtverdichtung in ein dunkles Wohnlabyrinth verwandelte. Die Architekt*innen von llabb aus Genua legten die historische Substanz wieder frei, stellten hölzerne Volumen ein und schufen eine helle sowie funktionale Wohnfläche, die die Geschichte nicht überlagert. Allerdings erlaubten sie sich einen humorigen und gut versteckten Verweis aufs Zeitgenössische. Ein Projekt mit Suchspiel: Wer findet die Legofigur?
Winzig klein und komplett verbaut war das Apartment im Zentrum von Genua, als die jungen Architekt*innen von llabb es in ihrer Heimatstadt das erste Mal besichtigten. Sie fanden jedoch auch eine einzigartige Lage, eine monumentale Raumhöhe, großzügige Fenster und einen spektakulären Ausblick vor. Denn die Räume liegen in einem historischen Familienpalast und gehörten früher zu einem großen Saal mit Blick auf einen Stadtplatz. Direkt vor dem Apartment erheben sich die Kuppeln der Kirchen San Giorgio und San Torpete. Wenige Schritte von der Eingangstür entfernt greift die hufeisenförmige Bucht des Hafens von Genua in die Altstadt. Das Apartment kam dementsprechend mit Voraussetzungen, die baulich herausfordernd, aber lagebezogen selten sind.
Freigelegter Palazzo
Die ursprüngliche, großzügige Halle mit ihren hohen Decken war bereits zu früheren Zeiten in zwei pragmatische Wohnungen umgewandelt worden. Zwei Drittel der Fläche belegte dabei das Apartment, das llabb jetzt abermals umbaute. Auf knapp 60 Quadratmetern hatten die letzten Bewohner*innen ein Geschoss eingezogen, teilweise die Fenster verblendet, drei kleine Zimmer abgeteilt und ein dunkles Badezimmer untergebracht. Die erste Maßnahme der Gestalter*innen war deshalb der konsequente Rückbau. Bestehen blieb nur der Raum neben dem Eingang, der im neuen Layout als Schlafzimmer weiter genutzt werden sollte. Freigelegt wurden viele authentische historische Elemente, wie der Deckenstuck und der ligurische Terrazzoboden.
Raum-Tetris mit Einbauvolumen
Nach Entfernung des Zwischengeschosses ergab sich eine Raumhöhe von 4,70 Metern. Im kleinen Schlafraum blieb diese auch nach den räumlichen Interventionen von llabb voll erhalten, ebenso im Wohnbereich an den Fenstern. Um aber weitere Nutzflächen, ein Bad, ein Ankleidezimmer und private Rückzugszonen zu generieren, wurden gegenüber des Schlafzimmers zwei unterschiedlich hohe Raumvolumen aus Holz eingestellt. Sie lassen unmittelbar hinter dem Eingang einen schmalen Korridor entstehen und erzeugen eine dynamische Raumdramaturgie. Denn hinter dem dunklen, niedrigen Flur öffnet sich der hohe, lichtdurchflutete Wohnbereich und holt auch den Palast-Charakter wieder in die Gegenwart.
Leitern und Stiegen
Der große Wohnbereich ist das soziale Epizentrum. Dort wird gekocht und gegessen, entspannt und gelesen. Diese Funktionsüberschneidung war ein klarer Wunsch der Bewohner, die gerne Freund*innen zum Essen einladen und immer wieder ihr Zuhause als Homeoffice nutzen müssen. Über der Küchenzeile und in ganzer Raumhöhe und Länge wurde ein Einbauregal installiert, das die Bibliothek aufnimmt. „Bei den Bewohnern handelt es sich um einen Kommunikationsexperten und einen digitalen Strategen, die viel Platz brauchen, um Bücher, Kataloge und Kunstwerke zu lagern“, erläutern die Architekt*innen von llabb. Rund um den Wohnbereich läuft eine Schiene mit einer flexibel verschiebbaren Leiter, die den Zugang zu den obersten Regalböden und den deckennahen Fensterscheiben ermöglicht.
Gestalterisches Osterei
Vor der Wand zum Schlafzimmer geht es ins Mezzanin. Der massive Treppenblock wird rückseitig vom Schlafzimmer aus als Schrank genutzt und zeigt, wie platzeffizient und strategisch die Architekt*innen geplant haben. Einerseits schaffen sie Luftraum und offene Flächen, andererseits wird jeder Kubikzentimeter der Einbauten praktisch genutzt. Auf der höchsten Ebene über der Garderobe liegt ein Futon, der als Gästebett dient, und statt eines schlichten Geländers wurde vor dem Zwischengeschoss eine schmale Holzplatte auf Tischhöhe eingezogen, die zum Arbeitsplatz mit Panoramablick auf Wohnraum und Stadt wird. Von dort oben lässt sich auch ein gestalterisches Augenzwinkern entdecken, das die Architekt*innen im Raum versteckt haben. Weil beim Deckenstuck aus dem frühen 20. Jahrhundert ein Eckstück fehlte, entschied man sich, diesen Teil durch eine 3D-gedruckte Lego-Minifigur zu ersetzen.
FOTOGRAFIE Anna Positano, Gaia Cambiaggi Studio Campo Anna Positano, Gaia Cambiaggi Studio Campo