Konkret abstrakt: Wohnhaus in der Schweiz
Dieser Neubau von Schneller Caminada wirkt vertraut – wirklich standard ist daran aber nichts.
Es ist der Prototyp eines Einfamilienhauses: Giebeldach, Schornstein und ein überdachter Parkplatz verleihen dem Neubau im Graubündner Dorf Trin Mulin eine fast schon idealtypische Silhouette. Und genau hier hören die Gemeinsamkeiten mit der standardisierten Welt auch schon auf.
Das Raue und die Passivität des Ortbetons, aus dem das gesamte Haus gegossen wurde, machen das Gebäude zu einem felsenhaften Monolithen inmitten der alpenländischen Idylle. Aus der Ferne ist kaum ein Unterschied auszumachen, das Wohnhaus von Schneller Caminada Architekten fügt sich mit seinem schrägen Dach und dem hohen Schornstein perfekt in seinen architektonischen Kontext ein. Doch je näher man an das Gebäude herantritt, desto mehr wächst auch die Faszination für dieses massive Objekt. Seine beeindruckende Kraft bezieht der Neubau aus seiner Materialität: Der Beton verankert das Volumen fest in seinem Grund und verleiht der eigentlich unauffälligen Gestalt die nötige Präsenz, um vor der imposanten Bergkulisse bestehen zu können. Seinen hellen Farbton erhält das Haus durch regionale Zuschlagsstoffe.
Die Qualitäten des Materials eignen sich nicht nur aus ästhetischer Sicht ideal für den Standort inmitten der Alpen, sondern auch aus nachhaltigen Gründen: Beton ist wasserdicht und frostbeständig, speichert die Wärme und schützt vor Kälte. Dazu erlaubt es sein statisches Potenzial, Innenräume vollständig ohne tragende Wände zu planen und einen Erschließungskern rein aus lokal gewonnenem Arveholz zu bauen.
Diese Freiheiten nutzten die Architekten bei der Organisation des Raumprogramms. Es spiegelt zwar exakt die Bedürfnisse der Bauherren wider, erzeugt aber dank seiner komplexen Struktur eine deutlich spannendere Dramaturgie im Gebäudeinneren. Ein überhöhtes Wohnzimmer und halbgeschossig versetzte Räume gewähren eine Vielzahl unterschiedlicher Szenarien und Ausblicke in die Berglandschaft, denen durch großformatige Fenster eine besondere Rolle zuteilwird.
Das Wohn- und Esszimmer, die Küche, zwei Schlafzimmer mit Bad und Ankleide, die Bibliothek sowie der Atelierraum sind auf einem beinahe quadratischen Grundriss angeordnet. Der hölzerne Kern sowie weitere Einbauten und Objekte aus der Kiefernart verleihen dem Innenraum nicht nur eine warme Atmosphäre, sondern fügen ihm auch ein traditionelles Bauelement der Region hinzu. Ein spannender Kontrast, der den Dualismus, der sich durch das gesamte Projekt zieht, um ein weiteres Kapitel ergänzt. Der Neubau spielt mit unseren Erwartungen, die er stets einhält und denen er gleichzeitig etwas Unerwartetes hinzufügt. Konkret und abstrakt im selben Moment.
FOTOGRAFIE Gaudenz Danuser
Gaudenz Danuser
DEAR Magazin
Dieser Beitrag ist auch in unserer Printausgabe erschienen. Mehr Infos:
www.dear-magazin.deHaus Trin
Neubau Einfamilienhaus, Trin Mulin, Graubünden, 2016