Mit Alvar Aalto in die Volkshochschule
Hochkarätige skandinavische Architektur inmitten einer typischen deutschen Fußgängerzone mit der immergleichen, zuweilen trostlosen Bebauung, Ein-Euro-Shops und architektonisch fragwürdigen Shoppingcentern – wo es das gibt? In Wolfsburg. Denn genau hier, im nicht gerade anheimelnden Zentrum der Volkswagen-Stadt steht ein fächerartig gestaffeltes, mit Natursteinplatten verkleidetes Gebäude, das kein Geringerer als der finnische Architekt Alvar Aalto entworfen hat. Eine Doppelausstellung war für uns Anlass, in die Stadt am Mittellandkanal zu reisen und das zu Beginn der sechziger Jahre entstandene Kulturhaus einmal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Wolfsburg, 1938 von den Nationalsozialisten als „Stadt des KdF-Wagens“ komplett neu gegründet, kann neben der historischen Architektur des Volkswagenwerks aus den späten dreißiger Jahren und zahlreichen, in den letzten zwanzig Jahren entstandenen Gebäuden – für die unter anderem Henn Architekten und Zaha Hadid Architects verantwortlich zeichnen – mit einigen hochkarätigen Bauten aus den fünfziger und sechziger Jahren aufwarten.
Ein Finne in Niedersachsen
Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Kulturhaus ist nicht der einzige Bau von Alvar Aalto (1898–1976) in der niedersächsischen Industriestadt, hat der finnische Architekt und Designer hier doch gleich zwei Gotteshäuser mit angeschlossenen Gemeindezentren verwirklicht, Heilig-Geist und Stephanus. Zudem beteiligte er sich neben Fritz Bornemann und Jørn Utzon auch am Wettbewerb um den Bau des Wolfsburger Theaters, den aber Hans Scharoun für sich entscheiden konnte.
Hereinspaziert!
Gleich neben dem Wolfsburger Rathaus, dem Kunstmuseum und Wochenmarkt also steht das Kulturhaus. Ursprünglich Bibliothek, Volkshochschule und Jugendfreizeitheim unter einem Dach vereinend und perfekt der damaligen städtebaulichen Situation angepasst, erwartet den Besucher heute eine öffentliche Bibliothek, diverse Veranstaltungs- und Ausstellungsräume sowie ein Restaurant mit Milchbar. Gelegen in der Porschestraße 51, ist das Gebäude zwischen 1958 und 1962 entstanden, wobei sich Aaltos Entwurf gegenüber dem des Berliner Architekten Paul Baumgarten durchgesetzt hatte.
Im Foyer
Betritt man das Gebäude durch den im Osten gelegenen Haupteingang, trifft man im großzügig bemessenen Foyer – eine niedrige Säulenhalle mit Holzrasterdecke – auf eine hölzerne Garderobe samt Tresen und Ablageschränken. Gleich daneben ist die grazil erscheinende Treppenanlage frei im Raum platziert und weist den Weg ins Obergeschoss. Im Parterre befindet sich auch der Haupteingang zur Bibliothek. Angelegt als Verteilerraum, wird bereits im Entree des Kulturhauses deutlich: Alvar Aalto ist ein Meister der Details. Denn handwerklich und formal perfekt ausgeführt und von hoher Materialqualität sind die Türgriffe, Geländer, Wandverkleidungen, Standaschenbecher, das Einbaumobiliar und die freistehenden Möbel. Der besondere Reiz dieser Details besteht jedoch nicht nur im harmonischen Miteinander und der visuellen Analogie mit der Architektur, sondern auch in der Vielfalt der verwendeten Materialien. Denn hier finden sich neben Holz und Kupfer auch Keramik und Ziegel – was das skandinavische Ambiente unterstreicht. Besonders schön ist die auf der rechten Seite des Foyers gelegene, geschwungene und mit kobaltblauen Porzellanfliesen versehene Wand, hinter der sich eine Ladenzeile verbirgt, die von außen zugänglich ist. Hier kann der Wolfsburger Blumen kaufen, Reisen buchen oder sich online über das Œuvre des Architekten informieren.
In der Bibliothek
Das gestalterische Highlight des Kulturhauses jedoch ist die Bibliothek, zumal diese weitgehend im Originalzustand erhalten ist. Zweistöckig angelegt, besticht sie vor allem durch eine mit Oberlichtern versehene Decke, die den Raum geschickt künstlich ausleuchten. Nahm die Bibliothek einst neben dem Studienraum und der Erwachsenenbibliothek auch die Jugendbibliothek auf, sind in letzterer heute die Abteilungen Kunst und Theater untergebracht. Während original erhaltende, von Alvar Aalto entworfene Sitzgelegenheiten mit Lederbezug und Stuhlbeinen aus Birkenholz zum Schmökern und Lesen einladen, Bücherstapel auf einem Wagen aus Eichenholz transportiert werden können, sind auch die Regal- und Leseleuchten ein wahrer Augenschmaus. Zusammen mit den Oberlichtbändern sorgen sich für eine ausgeklügelte, optimale Beleuchtung des Studieninterieurs – Versuche zur optimalen Beleuchtung hatte der Architekt bereits in den frühen dreißiger Jahren bei seinem Bibliotheksentwurf im finnischen Viipuri angestellt.
Neben der so wichtigen Beleuchtungsfrage war das Mobiliar für den finnischen Architekten integraler Bestandteil der Architektur – quasi ein Stück bewegliche Architektur, das den Raumeindruck kongenial vervollständigte. Deshalb wurden die meisten von Aaltos später seriell gefertigten und von Artek produzierten Möbelstücke auch für ein bestimmtes Projekt entworfen. Bereits in den dreißiger Jahren hatte der Architekt seine Tätigkeiten im Bereich Design ausgebaut und die inzwischen legendäre, formgeblasene Glasvase Savoy 1937 auf der Pariser Weltausstellung präsentiert.
Im Obergeschoss und auf dem Dach
Doch zurück in das Wolfsburger Kulturhaus: Gelangt der Besucher über die skulptural anmutende Treppe in den ersten Stock, gehen oben von der lichtdurchfluteten Halle fünf verschieden große, fächerförmige Hörsäle ab, konzipiert für Gruppen von 20 bis 230 Personen. Diese ziehen die Aufmerksamkeit auf sich durch eine wellenförmige Decken- und Rückwandgestaltung, wie sie Aalto auch in einigen seiner anderen Gebäude verwendet hat, sowie einer eleganten Reihenbestuhlung. Einen weiteren räumlichen Höhepunkt des Kulturhauses stellt sicherlich die Dachterrasse dar, die in einem deutlichen Bezug zum Rathausmarkt steht. Von hier aus bietet sich ein guter Blick über die verschiedenen Stufen der Wolfsburger Architekturgeschichte von den späten Fünfzigern bis in die neunziger Jahre: Rathaus, Fußgängerzone, Theater, Südkopfcenter, Kunstmuseum. Und auch hier, wo die Jugend in den Sechzigern tanzte und feierte, finden sich Aaltos wunderbare Lampenentwürfe, dieses Mal in Form einer Außenversion aus patiniertem Kupfer.
Wechselnde Nutzungskonzepte
Seit seiner Entstehungszeit vor rund fünfzig Jahren hat sich die Nutzung des Kulturhauses immer wieder verändert. Nicht nur wurde im ehemaligen Süd-Foyer des Jugendfreizeitheims Ende der neunziger Jahre ein Café namens „Aalto“ eröffnet und um eine auch im ursprünglichen Konzept vorhandenen Milchbar erweitert, ist seit Ende der neunziger Jahre auch die Volkshochschule nicht mehr präsent im Kulturhaus. Und auch das Jugendfreizeitheim als einst integraler Bestandteil des Konzepts wurde in den achtziger Jahren ausgelagert. Seit kurzem sind jedoch die ehemaligen Werkräume für Holz-, Metall- und Keramikarbeiten mit der offenen Feuerstelle als räumlicher Mittelpunkt wieder öffentlich zugänglich. Sie können anlässlich der Ausstellung „In Sand gezeichnet – Entwürfe von Alvar Aalto“ besichtigt werden und sind hinsichtlich ihrer Größe und der genialen Lichtführung eine Offenbarung. In dem beinahe rauen Ambiente der Räume kommen die Modelle, Skizzen, Zeichnungen und Fotografien der ungebauten Projekte Alvar Aaltos besonders gut zur Geltung und man darf sich schon jetzt freuen an einer zukünftigen Nutzung. Aber da wäre ja auch noch der Dachgarten, der bei unserem Besuch allerdings etwas vereinsamt daher kam. Das mag am trüben Novemberwetter gelegen haben – und so kommen wir gern wieder zum Tanz in den Mai.
Weitere Informationen
Die Doppelausstellung „In Sand gezeichnet – Entwürfe von Alvar Aalto“ und „Wood with a Difference – Österreichische Studierende präsentieren finnische Architektur“ ist noch bis zum 8. Dezember 2010 im Alvar-Aalto-Kulturhaus in Wolfsburg zu sehen. Während sich „In den Sand gezeichnet“ mit den nicht realisierten Entwürfen des finnischen Architekten auseinandersetzt und den Prozess der Formfindung veranschaulicht, zeigt „Wood with a Difference“ aktuelle Arbeiten der finnischen Gegenwartsarchitektur, ausgewählt von Studenten der TU Wien. Führungen, Lesungen und Vorträge komplettieren das Ausstellungsprogramm.
Zur Ausstellung ist folgende Publikation erschienen: Aila Kolehmainen, Esa Laaksonen und Winfried Nerdinger: In Sand gezeichnet – Entwürfe von Alvar Aalto. München (Edition Minerva) 2008.
Zur Architektur Alvar Aaltos in Wolfsburg ist folgende Publikation empfehlenswert: Holger Pump-Uhlmann et. al.: Ich baue. Der Architekt Alvar Aalto in Wolfsburg. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung. Braunschweig (Joh. Heinr. Meyer Verlag) 2000.
FOTOGRAFIE Lars Landmann
Lars Landmann
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