Mit Hirsch, Charme und Kanone
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Jäger sind auch Sammler, so viel ist klar. Es sind aber weniger Beeren und Pilze, die auf der Trophäenliste oben stehen. Nach der gelungenen Hatz werden vor allem die Geweihe der Erlegten aufgehoben – und tapezieren dann als Triumphbeweis die Wände der als soziale Zentrale dienenden Jagdzimmer. Hier kommen Waidmänner am Kaminfeuer zum Austausch der Wald- und Wiesen-Geschichten zusammen. Und weil die Jagerei so schön archaisch ist, sehen auch die Jagdhütten oft aus wie ein staubiger Gamsbart. Im tschechischen Lednice na Moravě hingegen haben die Architekten von Basarch eine Jäger-Residenz entworfen, in der man Holzvertäfelung und schwere Leuchter vergeblich sucht.
Eigentlich fällt es in seiner Umgebung kaum auf, das modernistische Jagdhaus mitten im Nirgendwo. Es fügt sich genau dort in die Landschaft ein, wo schon immer ein Wall als Sicht-und Lärmschutz die offene Fläche von der am Gelände vorbeiführenden Straße getrennt hat. Die Architektur gibt sich alle Mühe, die Natur nicht zu stören, indem sie sie etwa durch ein begrüntes und in die Wiese auslaufendes Dach einbindet oder sich materialschlüssig tarnt. Die Gabionen vor der eigentlichen Hauswand erinnern an Steinmauern, die auch als Grenzmarkierung auf Feldern zu finden sind. Dazu kommen Materialien wie Eichenholz und Beton. Es könnte auch im Auenland der Hobbits stehen – dieses so leise in die saftig-grüne Szenerie eingebettete Gebäude mit seinem sanft geschwungenen Dach.
Hirsch-Gesänge zum Rhythmus des Kamins
Lednice na Moravě, ein 2000-Seelen-Dorf im tschechischen Südmähren, bietet die Szenerie für die Jägeridylle. Es liegt nur wenige Kilometer vom Grenzdreieck der Länder Österreich, Tschechien und der Slowakei entfernt. Bekannt ist der beschauliche Ort vor allem für sein in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommene Schloss –- und das angrenzende Naturschutzgebiet mit Wildpark. Deshalb kommen nicht nur die ambitionierten Jäger hier vorbei, sondern auch Naturliebhaber und Wandertouristen. Beim Bau der Hütte ging es also nicht nur darum, einen Ort für die Jagdsaison zu schaffen, sondern auch einen Beobachtungsposten. Dazu laden vor allem die großen Panoramafenster ein, hinter denen eine lange Tafel zu großen Gesprächsrunden anregt.
Das Abenteuer eines Besuches in der von ihnen entworfenen Jagdhütte beschreiben die Architekten von Basarch als ein naturnahes und vor allem entschleunigendes Erlebnis: „Die Besucher können nicht nur Erfahrungen austauschen, sondern sich auch in den funktional eingerichteten Räumen erholen. Die Geräusche der Hirsche in der Brunft werden noch ausgeschmückt durch die knisternde Melodie des Holzes im Kamin.“
Reduzierte Jäger-Folklore
Die besondere Atmosphäre des Ortes entsteht durch die reduzierte, nahezu grafische Inszenierung des Interieurs. Die Decke zeigt den rohen Beton, in den einfache Fassungen mit blanken Birnen eingesetzt wurden. Boden und Stirnseite sind in einem leichten Grauton gehalten, die Wände gestrichen und der Boden mit Linoleum ausgelegt. Die übrigen Flächen strahlen in Reinweiß – und sind die Leinwand für die Trophäensammlung. Geweih an Geweih hängen die Tierskalpe und erinnern in der Gruppe an künstlerische Installationen. Gegenüber gibt die breite Fensterfront, die sich wie ein Felsspalte in der Fassade öffnet, den Blick auf das Landschaftsschutzgebiet frei. Holz, Stein und Beton werden geflutet vom hellen und natürlichen Licht der frontal im Tageslauf vorbeiziehenden Sonne.
Von jetzt an – so ist es der Wunsch der Architekten – soll die Natur die Architektur erobern. Das Gebäude liegt in der Landschaft wie ein Stein auf einer Wildwiese – und wird ihr auch wie ein solcher überlassen. Mit einem positivem Fazit für die Nutzer, wie Studio Basarch resümiert: „Die Zeit vergeht und das Haus wird von hohen Gräsern überwuchert. Hirsche und Wildschweine laufen wieder über den Wall – und es scheint uns so, als hätten sie die Transformation darunter nicht bemerkt.“
FOTOGRAFIE Lukas Pelech
Lukas Pelech
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