Mit Hirsch, Charme und Kanone
1 / 9

Jäger sind auch Sammler, so viel ist klar. Es sind aber weniger Beeren und Pilze, die auf der Trophäenliste oben stehen. Nach der gelungenen Hatz werden vor allem die Geweihe der Erlegten aufgehoben – und tapezieren dann als Triumphbeweis die Wände der als soziale Zentrale dienenden Jagdzimmer. Hier kommen Waidmänner am Kaminfeuer zum Austausch der Wald- und Wiesen-Geschichten zusammen. Und weil die Jagerei so schön archaisch ist, sehen auch die Jagdhütten oft aus wie ein staubiger Gamsbart. Im tschechischen Lednice na Moravě hingegen haben die Architekten von Basarch eine Jäger-Residenz entworfen, in der man Holzvertäfelung und schwere Leuchter vergeblich sucht.
Eigentlich fällt es in seiner Umgebung kaum auf, das modernistische Jagdhaus mitten im Nirgendwo. Es fügt sich genau dort in die Landschaft ein, wo schon immer ein Wall als Sicht-und Lärmschutz die offene Fläche von der am Gelände vorbeiführenden Straße getrennt hat. Die Architektur gibt sich alle Mühe, die Natur nicht zu stören, indem sie sie etwa durch ein begrüntes und in die Wiese auslaufendes Dach einbindet oder sich materialschlüssig tarnt. Die Gabionen vor der eigentlichen Hauswand erinnern an Steinmauern, die auch als Grenzmarkierung auf Feldern zu finden sind. Dazu kommen Materialien wie Eichenholz und Beton. Es könnte auch im Auenland der Hobbits stehen – dieses so leise in die saftig-grüne Szenerie eingebettete Gebäude mit seinem sanft geschwungenen Dach.
Hirsch-Gesänge zum Rhythmus des Kamins
Lednice na Moravě, ein 2000-Seelen-Dorf im tschechischen Südmähren, bietet die Szenerie für die Jägeridylle. Es liegt nur wenige Kilometer vom Grenzdreieck der Länder Österreich, Tschechien und der Slowakei entfernt. Bekannt ist der beschauliche Ort vor allem für sein in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommene Schloss –- und das angrenzende Naturschutzgebiet mit Wildpark. Deshalb kommen nicht nur die ambitionierten Jäger hier vorbei, sondern auch Naturliebhaber und Wandertouristen. Beim Bau der Hütte ging es also nicht nur darum, einen Ort für die Jagdsaison zu schaffen, sondern auch einen Beobachtungsposten. Dazu laden vor allem die großen Panoramafenster ein, hinter denen eine lange Tafel zu großen Gesprächsrunden anregt.
Das Abenteuer eines Besuches in der von ihnen entworfenen Jagdhütte beschreiben die Architekten von Basarch als ein naturnahes und vor allem entschleunigendes Erlebnis: „Die Besucher können nicht nur Erfahrungen austauschen, sondern sich auch in den funktional eingerichteten Räumen erholen. Die Geräusche der Hirsche in der Brunft werden noch ausgeschmückt durch die knisternde Melodie des Holzes im Kamin.“
Reduzierte Jäger-Folklore
Die besondere Atmosphäre des Ortes entsteht durch die reduzierte, nahezu grafische Inszenierung des Interieurs. Die Decke zeigt den rohen Beton, in den einfache Fassungen mit blanken Birnen eingesetzt wurden. Boden und Stirnseite sind in einem leichten Grauton gehalten, die Wände gestrichen und der Boden mit Linoleum ausgelegt. Die übrigen Flächen strahlen in Reinweiß – und sind die Leinwand für die Trophäensammlung. Geweih an Geweih hängen die Tierskalpe und erinnern in der Gruppe an künstlerische Installationen. Gegenüber gibt die breite Fensterfront, die sich wie ein Felsspalte in der Fassade öffnet, den Blick auf das Landschaftsschutzgebiet frei. Holz, Stein und Beton werden geflutet vom hellen und natürlichen Licht der frontal im Tageslauf vorbeiziehenden Sonne.
Von jetzt an – so ist es der Wunsch der Architekten – soll die Natur die Architektur erobern. Das Gebäude liegt in der Landschaft wie ein Stein auf einer Wildwiese – und wird ihr auch wie ein solcher überlassen. Mit einem positivem Fazit für die Nutzer, wie Studio Basarch resümiert: „Die Zeit vergeht und das Haus wird von hohen Gräsern überwuchert. Hirsche und Wildschweine laufen wieder über den Wall – und es scheint uns so, als hätten sie die Transformation darunter nicht bemerkt.“
FOTOGRAFIE Lukas Pelech
Lukas Pelech
Mehr Projekte
Über den Dächern
Umbau einer Berliner Penthousewohnung von Christopher Sitzler

Schwebende Strukturen
Umbau eines maroden Wohnhauses von Bardo Arquitectura in Madrid

Camden Chic
An- und Umbau eines ehemaligen Künstlerateliers von McLaren.Excell

Aus Werkstatt wird Wohnraum
Umbau im griechischen Ermionida von Naki Atelier

Londoner in der Lombardei
Tuckey Design Studio verwandelt ein Wohnhaus am Comer See

Zwischen Stroh und Stadt
Nachhaltiges Wohn- und Atelierhaus Karper in Brüssel von Hé! Architectuur

Flexibel zoniert
Apartment I in São Paulo von Luiz Solano

Freiraum statt Festung
Familienhaus mit Innenhof in Bangalore von Palinda Kannangara

Kork über Kopf
Umbau eines Penthouse mit Korkdecke von SIGLA Studio in Barcelona

Drei Pavillons für ein Familiendomizil
Australisches Wohnhaus von Pandolfini Architects und Lisa Buxton

Ein Haus der Gegensätze
Kontrastreicher Neubau nahe Barcelona von Ágora

Die Magie der Entgrenzung
Luftiger Neubau Casa Tres Patis von Two Bo in Spanien

Raumsequenzen in der Grotte
Casa Gruta in Mexiko von Salvador Román Hernández und Adela Mortéra Villarreal

Altes Haus im neuen Licht
Familienwohnung von Jan Lefevere in Kortrijk

Mehr Platz fürs Wesentliche
Umbau eines Backstein-Cottage in London von ROAR Architects

Raum-Chamäleon
Flexibel nutzbarer Anbau in Brisbane von Lineburg Wang

Wohnräume mit Tiefgang
Innenausbau einer Villa am Rhein vom Düsseldorfer Studio Konture

Holz und Stein im alpinen Dialog
Apartmenthaus Vera von atelier oï und CAS Architektur in Andermatt

Haus mit zwei Gesichtern
Umbau eines Reihenhauses in Lissabon von Atelier José Andrade Rocha

Umbau am offenen Herzen
Ply Architecture transformierte einen Sechzigerjahre-Bungalow in Australien

Reise in die Vergangenheit
Studio Hagen Hall gestaltet ein Londoner Reihenhaus im Mid-Century-Stil

Downsizing als Designprinzip
Kompaktes Wohnhaus in Portugal von Atelier Local

Der Reiz der Reduktion
Innenarchitekt Ilkka Palinperä gestaltet ein Wohnhaus bei Helsinki

Authentische Askese
Apartment-Rückbau in Paris von Atelier Apara

Umbau im Anbau
Gianni Botsford erweitert Fosters Londoner Frühwerk

Visionen vom Wohnen
Design-Apartments auf der MDW 2025

Mit Ecken und Kurven
Umbau eines Reihenhauses in London von Pensaer

Raw in Rio
Von Säulen geprägter Wohnungsumbau von Estudio Nama

Nostalgie nach Mass
Belgravia Townhouse von Child Studio

Grobe Perfektion
Symbiose aus Beton und Holz in einem Apartment in Tokio von Kenta Hirayama
