Neustart im Altbau
Eine posthumane KI-Intervention in Valencia
In der spanischen Metropole Valencia wurde eine neoklassizistische Wohnung voller Stuck, dekorativer Zierelemente und großer Fenster von einem Ufo heimgesucht und partiell zerstört. Schuld war eine KI, die sich aber gleich an die Reparatur machte. So zumindest erzählt es der Architekt Mario Montesinos Marco, der die hyperfunktionale Modernisierung des Altbaus tatsächlich verantwortet.
Weil aktuell über die gegebenenfalls von Geheimdiensten verschleierten Landungen unbekannter Flugobjekte (Ufos) diskutiert wird, ist dieses Interior absolut im Zeitgeist. Die Räume könnten sich auch im Inneren eines Sternenschiffs befinden. Allein die Fotos von der Wohnung in Valencia lassen sie aussehen wie ein Rendering: überkorrekt in der Inszenierung, einer orthogonalen Geometrie folgend, frei von persönlichem Besitz und makellos bis ins Detail. Das ganze Konzept ist ein absoluter Gegenentwurf zu Wabi Sabi-, Scandi- oder Vanilla-Trends, die mit Leinen, Holz und hohem Flor für warmes Wohnen sorgen. In der von Mario Montesinos Marcos gestalteten Wohnung ist es ganz bewusst atmosphärisch kalt. Der Architekt erklärt sein Raumszenario als eine Verschmelzung des Realen mit dem Virtuellen. Das Ergebnis bezeichnet er als Hyperrealität.
Posthumaner Altbau-Unfall
Die stilistische Ausgangslage für die Modernisierung des 175 Quadratmeter großen Apartments war neoklassizistisch. An den Kanten und Ecken der Decke finden sich aufwendig verzierte Stuckelemente, die Räume sind hoch, die Flure sind lang und die Böden mit Mosaiken belegt. Statt die Geschichte und den Bestand durch seine Gestaltung zu überschreiben, lässt Montesinos die Intervention wie ein Ufo landen. Dazu gehört auch seine den Entwurf begleitende, fiktive Erzählung mit dem Titel Posthuman Accident in a Neoclassical Apartment (Posthumaner Unfall in einer neoklassischen Wohnung). Sie erzählt die Verwandlung der Wohnung als futuristische und vor allem kurzweilige Fabel. Es beginnt mit dem Absturz eines nicht identifizierten Flugobjekts, das mit einem ohrenbetäubenden Krachen im Gebäude landet, die Küche und das Bad völlig zerstört, die Zierleisten in Stücke reißt und die Möbel entweder verdreht oder ebenfalls vernichtet.
Stuck und Stahl
Gesteuert wurde das Raumschiff von einer KI, die die destruktiven Folgen ihres Aufpralls sogleich repariert. „Wände und Böden begannen sich zu wölben. Der Raum war jetzt voller Metallteile, die im Sonnenlicht glänzten. Wände wurden durch Glas und Kunststoff ersetzt und Teile des Ufos wurden zu Türen, Regalen und Möbelstücken“, heißt es in der Fabel. Die farbliche Gestaltung ist auf ein gleißendes Weiß und ein kaltes Himmelblau reduziert, die verbauten Elemente erinnern in ihrer blanken Funktionalität an die Einrichtung von Arztpraxen oder Großküchen. Waschtisch und Waschbecken sind aus massivem Edelstahl gefertigt, die Leuchtstoffröhren pendeln in Metallgittern von der Decke und Rohre, Lüftungen sowie Stromkabel liegen demonstrativ über Putz. Ausnehmend pragmatisch wurde auch der Dunstabzug installiert, dem Montesinos einen Striptease verordnet hat. Befreit von jeglichen Verkleidungen wurde nur erhalten, was für die Funktionsweise nötig ist: ein Metallkorpus, ein Abluftrohr und Montageschienen.
Neustart in der Neuzeit
Das Apartment im Zentrum Valencias ist überzeichneter Normcore, der minimalistische Standardprodukte zum Stilmittel macht. In dem stuckverzierten, mosaikbelegten und charmanten Altbau löst das eine beabsichtigte Stil-Kollision aus. In den verschnörkelt-dekorativen Bestand ist nüchterner Funktionalismus eingezogen. Das Interior ist eine Mischung aus Altem und Neuem, wobei die Interventionen sich wie eine zweite Ebene über den Bestand legen und ganz bewusst sichtbar gelassen wurden. Montesinos’ Erzählung beschreibt es so: „Die neue Lebensweise hinterließ unauslöschliche Spuren in der Architektur der Wohnung, indem sie Vergangenheit und Zukunft, Neoklassizismus und Posthumanismus, traditionelle Elemente und fortschrittliche Technologie miteinander verknüpfte. Sie hat eine neue, integrative und nicht-binäre Architektur geschaffen, die die Vielfalt feiert.“
FOTOGRAFIE Luís Beltrán Luís Beltrán
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