Out of Office: „What does really work?“
Cubicles oder Kaninchen? Zeitgenössische Arbeitskultur im Experiment.

In Eindhoven eröffnete vor kurzem ein flexibler Arbeitsraum, dessen Konzept sich las wie ein Kurzporträt von Utopia: eine Mischung aus Spielwiese und Wohnzimmer mit digitalem Anschluss. Doch dann trat schleichend ein Wandel ein, und das vermeintliche Traumbüro schubste die Digital Natives zurück in kleine Kuben. Die Coworker waren in einem Versuch zur Kultur der Arbeit gelandet, der die große Frage beantworten sollte: Wie arbeitet man eigentlich richtig gut?
Kaum im Büro angekommen, huscht das flauschige Sharing-Kaninchen aus seinem Stall und wird mit dem Laptop mit ins große Bett genommen. Aus der Küche dringt das Murmeln der Kollegen und das Brummen der Kaffeemaschine, nebenan macht der Projektpartner eine Pause auf der Schaukel. Das klingt wie ein herrlicher Arbeitsplatz? Das Szenario stammt vom Eröffnungstag von Out of Office, Eindhovens idyllischer Flexworking-Halle. Die präsentierte sich als ein Best Of der zeitgenössischen Bürokultur. Einiges von der aktuellen Propagandaliste hätte es vor ein paar Jahrzehnten nicht einmal in die heimischen Partykeller geschafft: Rutschen, Yogamatten, Kickertische, Bürohunde, Sofainseln, Nickerbettchen. Hinter den gläsernen Bürotüren von Start-Ups wie Google, Yahoo, Facebook oder Twitter werden immer mehr Spielplätze für die Großen eingerichtet. Die Arbeitnehmer sollen durch die äußere Freiheit ihre innere finden. Und kreativen Output liefern – denn natürlich sind auch diese Unternehmen hinter ihrer unbeschwerten Fassade wirtschaftlich orientiert. Da stellen sich Fragen. Ob es den Arbeitnehmern damit besser geht etwa, ob sie schneller arbeiten, fantasievoller oder zuverlässiger.
Mit der Arbeit ins Bett
Diesen Überlegungen widmete sich das Büro Knol, das sich selbst als „Designstudio mit einem guten Sinn für Fiktion“ bezeichnet. Celine de Waal Malefijt hat an dem Projekt Out of Office mitgearbeitet und formuliert den Hype um die Hyperflexibilität noch etwas drastischer: „Werden wir nicht langsam Sklaven unserer eigenen Freiheit? Wir bringen uns ja kaum noch selbst dazu, uns auszustöpseln.“ Vor der Installation des Coworking Space stand für die Designer, Soziologen und Stadtplaner die Analyse der gesellschaftlichen Verfassung. Sie stellen fest: Wir befinden uns mitten in einer Revolution, deren Auswirkungen wir nur erahnen. Die Menschen verschmelzen mit ihren elektronischen Geräten, und ihre Freizeit verschmilzt mit der Arbeit. Züge, Flughäfen, Parks werden zu temporären Arbeitsplätzen und Cafés zum Coffice, in dem die Menschen mit WiFi und Latte in ihren Bildschirmen versinken.
Zwischen Lalaland und Bootcamp
Interessant sind nicht nur die physischen Veränderungen, sondern auch der Strukturwandel. Die Freelancer und digitalen Nomaden feiern lange und schlafen aus, holen am Nachmittag das verpasste Pensum nach und arbeiten am Wochenende für einen freien Mittwoch vor. So wie Arbeitskuben und Vorstandszimmer passé sind, gehören auch Hierarchie und Regeln der Vergangenheit an. Die Grenzen zwischen formell und informell verwischen. Diese Art der Work-Life-Balance führt schnell dazu, dass wir immer arbeiten – beziehungsweise uns so fühlen. Dabei stellt uns die Disziplin vor die vielleicht größte Herausforderung. Seit Takt und Ordnung nicht mehr von außen eingefordert werden, müssen wir uns selbst ermahnen und organisieren. Knol stellte sich deshalb die Frage, ob sich die Arbeitnehmer nicht gelegentlich eine Prise Drill, befristete Arbeitsstunden und strengere Regularien wünschen, um sich selbst zu entlasten.
Die goldene Mitte finden
Mit beteiligt an Eindhovens großer Coworking-Fiktion war neben dem Studio Knol Anna Dekker, eine Stadtplanerin, die zuletzt an der London School of Economics and Political Science eine Studie zur neuen Arbeitskultur und den darauf zugeschnittenen Räumen erstellt hat. Sie zählt unter anderem fünf in dem Projekt berücksichtigte Bereiche zur zeitgenössischen Arbeitsumgebung: Bett, Wohnzimmer, Garten, Bibliothek und Cafeteria. „Wir wollten keinen konsequent arbeitsfernen Ort schaffen, aber auch keinen, der Arbeit schreit. Unser Ort flüstert Arbeit.“ Mit Hasenstall, Schaukel und Liegewiese begann das eigentliche Experiment. Dann veränderte Knol die Landschaft und die Organisation der 300 Quadratmeter großen Fläche, hin zu im Raster strukturierten Arbeitsstationen. Dabei wurden die Baumodule der Ausgangsinszenierung umgestellt und neu konfiguriert. Während der dynamischen Veränderung studierten die Initiatoren die Arbeitnehmer auf dem Weg von der Freiheit zur Kontrolle.
„Das Ziel war nicht ein Arbeitszellen-Inferno zu erschaffen, sondern schonungslos die Möglichkeit der Befreiung durch ein organisiertes und diszipliniertes Umfeld zu erforschen“, sagt Anna Dekker. Eine Stempeluhr wurde installiert, aber zugleich dazu aufgefordert, sich Auszeiten zu nehmen und diese zu genießen. Ein virtueller und an die Wand projizierter Moderator namens Steve beobachtete das Geschehen durch bewegungserfassende Technologie, mahnte bei zu viel Lärm zur Ruhe und bei zu viel Arbeit zu Pausen oder kurzen Bewegungsübungen. Davon waren nicht alle Arbeitnehmer begeistert – viele blieben plötzlich weg. Besonders die spielerischen und sozialen Elemente wie der Hase, die Schaukel und die informelle Kaffeebar wurden vermisst. Diejenigen allerdings, die weiterhin kamen, waren in den Kuben produktiv und zufrieden.
Autark glücklich
Entsprechend vielschichtig fällt das Fazit des Experiments aus. „Wir können schlussfolgern, dass Flexworking etwas sehr persönliches ist, die meisten Menschen schätzen Freiheit in ihrer Arbeit. Auch sind sie mit den Basics für einen flexiblen Tag schnell zufrieden zu stellen, ein Plus ist kreativer Komfort“, fasst Joeg Slagter von Knol die Ergebnisse zusammen. Mit einem Popularitätsvorsprung des ersten Szenarios gegenüber dem zweiten hatte Knol gerechnet – und es ging dem Studio auch nicht darum, die Menschen vom Gegenteil zu überzeugen. Celine de Waal Malefijt sieht die Installation als repräsentativen Piloten „Out of Office war ein künstlerisches und kein wissenschaftliche Projekt, in das wir die Menschen mitgenommen haben. Indem wir mit den Auswirkungen von sozialem und architektonischem Design auf Arbeit, Leistung und Zufriedenheit experimentiert haben, hoffen wir, einen Beitrag zum besseren Verständnis geleistet zu haben.“ Out of Office ist eine Geschichte. Sie erzählt von der Organisationskultur, in der jeder Arbeitnehmer zwischen Hase und Cubicle seinen eigenen Graubereich finden muss.
Und jetzt möchten wir um Ruhe bitten. Die nächste Kaffeepause findet in fünf Minuten statt.
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