Pure Materialität
Vives St-Laurent belebt die Montpellier-Residenz in Quebec

Ein Bungalow aus den späten Sechzigerjahren wurde in Quebec umgestaltet. Das Interiordesignstudio Vives St-Laurent ging mit dem Skalpell ans Werk und hat durch Entfernen von Trennwänden ein offenes Raumgefühl erzeugt.
Im Süden von Montreal liegt der Vorort Saint-Bruno. Die Straßen folgen keinem orthogonalen Raster, sondern winden sich in leichtem Schwung. In den späten Sechzigerjahren entstand hier eine Bungalow-Siedlung, die heute von hochaufragenden Bäumen überdacht wird: ein einprägsames Beispiel der Moderne, in das sich eine vierköpfige Familie regelrecht verliebt hat. Sie beauftragte Laurence Ouimet-Vives und Lysanne St-Laurent mit einer behutsamen Umgestaltung des denkmalgeschützten Baus.
Kontinuität der Zeit
2018 hatten die jungen Interiordesignerinnen ihr gemeinsames Büro Vives St-Laurent in Montreal gegründet. Der Fokus liegt auf Wohnbauten und Büros, in denen sie ihre Vorliebe für klare Linien und plastische Texturen ausleben. Vergangenheit und Gegenwart sind für sie keine Antipoden, sondern auf souveräne Weise miteinander verflochten. Das 290-Quadratmeter-Haus in Saint-Bruno besteht aus drei einstöckigen Volumina, die durch ein Vestibül und einen seitlich abzweigenden Korridor miteinander verbunden sind: Der eine Baukörper dient dem Wohnen, Kochen und Essen. Der andere nimmt vier Schlafzimmer und zwei Bäder auf. Im dritten sind ein Büro und die Garage untergebracht.
Infusion aus Licht
„Das vollständig mit Ziegeln verkleidete Haus verzichtet auf Verzierungen, sodass die ausdrucksstarke Natur des Materials im Mittelpunkt steht“, erklärt Lysanne St-Laurent. Die Materialität der Ziegel ist auch an den Innenwänden der Eingangshalle sowie der meisten Wohnräume offen ersichtlich, wodurch ein Inside-Out-Effekt entsteht. Um ein besseres Gespür für Raumwirkung, Lichtführung und die Funktionalität der einzelnen Bereiche zu erhalten, wünschten sich die Bauherr*innen, dass das Team von Vives St-Laurent selbst einige Tage in dem Haus verbringt. Und genau das taten sie.
Indisches Schmuckstück
Schnell war klar, dass mehrere Trennwände entfernt werden mussten. So konnte die Küche vollständig mit dem Wohnzimmer verbunden werden, welches sich mit bodentiefen Fenstern zur Terrasse nach Süden öffnet. Das ermöglichte den Einbau einer Kücheninsel, deren Oberflächen aus unpoliertem Taj Mahal-Naturstein mit feinen, beigen Farbnuancen die Blicke auf sich ziehen. Mit ihrem freitragenden Tresen definiert die Küche das soziale Herzstück des Hauses: Sie ist ein informeller Treffpunkt zu allen Tages- und Nachtzeiten. Auch der Durchgang zum nördlich gelegenen Essbereich wurde vergrößert, um eine leichtere Navigation zu erlauben. Der chirurgische Eingriff in den Grundriss hat nicht nur die Raumwirkung vergrößert, sondern auch viel Tageslicht in zuvor recht dunkle Ecken geholt. Die umliegende Natur ist plötzlich Teil des Interieurs geworden.
Raffinierte Einfachheit
Ein großes Oberlicht empfängt die Bewohner*innen und Besucher*innen bereits beim Betreten des Hauses. Die Öffnung durchbricht das Flachdach des Vestibüls, dessen Decke mit den originalen, dunklen Holzbalken aus der Entstehungszeit des Hauses verkleidet ist. Der Boden ist mit Schieferplatten verkleidet, die mit quadratischen und rechteckigen Zuschnitten in unterschiedlichen Größen variieren und so für eine aufgelockerte Wirkung sorgen. „Der Schieferboden wurde restauriert, um seine natürliche und zeitlose Textur zu erhalten. Das Treppengeländer, das zum Keller führt, wurde in einem hellen Farbton neu gestrichen“, sagt Laurence Ouimet-Vives.
Natürliche Erdung
In den übrigen Bereichen des Hauses wechselt das Bodenmaterial. Dort finden hell gebeizte Eichendielen Verwendung, die einen schweren Raumeindruck vermeiden. Das Holz harmoniert mit den Ziegelwänden sowie dem Naturstein der Kücheninsel. Weiße Einbauschränke sowie einige verputzte und weiß getünchte Wand- und Deckenabschnitte wirken als neutrale Pufferzonen, die die natürliche Farbigkeit der übrigen Elemente umso stärker herausstellen. Das Badezimmer neben der Küche hat Vives St-Laurent mit dunklem Eichenholz verkleidet. Der Bruch gegenüber der Materialität des Bodens ist kein Zufall. „Es ist eine Hommage an die holzverkleidete Decke des Eingangsbereichs“, erklärt Lysanne St-Laurent.
Nordischer Einschlag
Auch die halbrunden Griffe der neuen Küchenschränke haben die Planerinnen von der Eingangstür des Hauses übernommen. Die Möblierung bewegt sich ganz auf skandinavischen Pfaden. Neben der Pendelleuchte PH05 von Louis Poulsen oder dem hölzernen Wandregal Shelf von Frama ist die Afteroom Bench von Audo zu sehen. „Das Ergebnis ist ein mit Leidenschaft renoviertes Haus, das seinen Charme und den Stil der Jahrhundertmitte nahtlos bewahrt und gleichzeitig die Innenräume optimiert“, bringt Laurence Ouimet-Vives die Wirkung auf den Punkt. Es scheint, dass die Familie ihr wirkliches Zuhause gefunden hat.
FOTOGRAFIE Alex Lesage Alex Lesage
Projekt | Montpellier Residence |
Typologie | Wohnhaus |
Ort | Saint-Bruno, Quebec, Kanada |
Größe | 290 Quadratmeter |
Entwurf | Vives St-Laurent |
Projektleiterin | Léa Courtadon |
Auftragnehmer | Habitation Renaud |
Möbel und Leuchten | Frama, Audo, Norr11, &Tradition, Artemide, Louis Poulsen u.a. |
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