Schnitt mit Patina
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Das auf Hügeln gebaute Daikanyama zählt zu den angesagtesten Stadtvierteln Tokios. Designerboutiquen und kleine Cafés fügen sich dezent in die gediegene Wohngegend ein und weder Hochhäuser noch Menschenmassen zerstören das Stadtbild, in dem sich avantgardistisches Design und alternative Lebensstile ergänzen. In Daikanyama ist auch der Friseursalon Kilico ansässig, für den Makoto Yamaguchi verantwortlich zeichnet. Für den Salon verzichtete der japanische Architekt bewusst auf Exzentrik und ließ lieber die Vergangenheit des Gebäudes in sein architektonisches Konzept einfließen. Das Resultat: ein zurückhaltender Ort mit angenehmem Flair, in dem die Bausubstanz – und der Kunde – im Mittelpunkt steht.
Bizarre Typen und schräge Frisuren sind keine Besonderheit in Tokio; die Zahl der Friseursalons wächst ständig und damit auch die Konkurrenz. So versuchen die Betreiber nicht nur durch ihr Handwerk zu beeindrucken, sondern auch durch ein besonderes Ambiente, insbesondere, wenn dies in einer hektischen und schnelllebigen Stadt wie Tokio zum Wohlbefinden des Kunden beitragen kann. Der Besitzer des Kilico ging zusammen mit dem Architekten Makoto Yamaguchi den unüblichen Weg, auf eine extravagante Inneneinrichtung zu verzichten und wählte für den Salon einen ungewöhnlichen, etwas versteckten Ort im Untergeschoss eines in die Jahre gekommenen Gewerbebaus aus den 1980er Jahren, in dem großzügige Dachfenster für natürliches Licht sorgen.
Strukturelle Zeitspuren
„Als wir uns das den Ort das erste Mal angesehen haben, war er in einem sehr heruntergekommenen Zustand. Auch wenn sich der Grundriss nie verändert hat, gab es viele Spuren von den vorherigen Bewohnern an Wänden und Böden – eine flache Mörtelwand neben einer unfertigen Wand aus Zementblöcken und eine Unmenge an Abdrücken und Furchen in unterschiedlichen Größen im groben Zementboden“, erklärt der Architekt. „Wir entschieden, diese strukturellen Details so zu belassen und sie in den Entwurf für den neuen Salon einzubinden.“
Gestalterisches Konglomerat
Betritt man heute den 125 Quadratmeter großen Friseursalon, öffnet sich ein heller Raum, der ein Konglomerat von aktuellen als auch früheren Veränderungen zur Schau stellt. Die Wände wurden weiß gestrichen, der Boden ausgebessert und die offenen Lüftungsrohre an der Decke beibehalten, sodass ihre Geschichte sichtbar bleibt. Auch Möblierung und Beleuchtung sind dezent zurückhaltend ausgewählt: Links vom Eingang steht ein länglicher Empfangstresen, ihm gegenüber befinden sich drei weiße Sessel sowie quadratische Spiegel mit weißer Rahmung an der Wand. Weiter geradeaus ist der Wartebereich, der einen großen, länglichen Glastisch mit robustem Holzgestell und vier weißen Stühlen umfasst. Über dem Tisch hängt ein antiker Kronleuchter – wohl die einzige Dekadenz im ansonsten so dezenten Salon. Daneben verläuft ein großzügiger Flur mit einem weiteren Tisch, auf dem Zeitschriften und Bücher für die Kunden ausliegen, um sich die Zeit zwischen Pflegepackung und Färbung, Dauerwelle und Schnitt zu vertreiben. Im hinteren Teil des Salons befinden sich fünf weitere, bequeme Sessel für Haarschnitt und Styling sowie der Waschbereich. Letzterer ist um eine Stufe erhöht und kann dank weißer, transluzenter Vorhänge vom restlichen Raum separiert werden.
Pacht auf Lebenszeit
So bilden im Kilico weniger Möbel oder strukturelle Veränderungen das gestalterische Fundament, sondern die an den Wänden horizontal abgestuften, erhaltenen Oberflächen sowie die auf dem Boden sichtbare, sogenannte „Zeitkarte“. „Nachdem wir die Vertiefungen am Boden mit Mörtel gefüllt hatten, um ihn zu glätten, entstand ein kartenähnliches Muster, das wir ‚Zeitkarte’ nennen“, erklärt Makoto Yamaguchi. „Das Design von Kilico basiert auf diesen Überbleibseln der vergangenen ‚Zeit’-Spuren von vorherigen Wesensformen des Gebäudes, die eine neue Pacht auf Lebenszeit erhielten.“
FOTOGRAFIE Ken'ichi Suzuki
Ken'ichi Suzuki
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