Schraube zum Himmel
Ein Wohnbau in Porto von Tsou Arquitectos
Ein Grundstück so groß wie ein Handtuch und noch dazu mit einer herausfordernden Geometrie: In Porto haben Tsou Arquitectos eine trigonale Baulücke passgenau mit einem schlanken Wohnbau für eine Familie gefüllt und eine gefaltete Treppe zum Herzen des Gebäudes gemacht. Jeder Raum erhält eine eigene Etage, während Lufträume und Durchbrüche die Kommunikation zwischen den Ebenen ermöglichen.
Porto ist bekannt für seine besondere Architekturtypologie. Weil durch die Hanglage am Duero und die Stadtmauer als physische Grenze die Möglichkeiten für eine weitere Ausbreitung begrenzt waren, ging es für die Häuser im Zentrum in die Höhe. Auf den kleinen, schmalen Grundstücken, die ursprünglich kleine und schmale Wohnbauten beherbergten, wurde in den vergangenen Jahrzehnten angebaut und aufgestockt. Mit einem besonders herausfordernden Layout konfrontierte ein Baugrund im nördlichen Zentrum der Stadt seine Besitzer*innen, die den Bestand durch ein neues Gebäude ersetzen wollten. Denn zusätzlich zur schmalen, nur ein paar Meter breiten Front verjüngt sich das Grundstück nach hinten trapezförmig. Der Aufgabe, hier ein 230 Quadratmeter großes Einfamilienhaus zu planen, stellten sich Tsou Arquitectos, die als Portuenser mit den lokalen Bedingungen vertraut sind.
Halbe Treppe
Der Name des Projekts beschreibt treffend, welchen Weg die Architekt*innen wählten: den nach oben. Die Casa Vertical organisiert sich um einen zentral platzierten Erschließungskern, wobei die einzelnen Räume um halbe Stockwerke versetzt zueinander angeordnet sind. Dadurch erinnert die Treppe an ein sich entfaltendes Origami-Kunstwerk, das die Flächen und Räume fließend ineinander übergehen lässt. Das Erdgeschoss beherbergt neben der Eingangstür eine Garage und im halben Souterrain einen Studioraum. Von dort aus schraubt sich die Treppe in Richtung der Gemeinschaftsbereiche. Über der Garage liegt das Esszimmer, rückwärtig und eine halbe Etage höher die Küche. Die oberen drei Zimmer sowie zwei an den Flur angegliederte Bäder sind die privaten Rückzugsräume für die Familie, während die straßenseitige Hälfte des Dachs als Terrasse genutzt wird.
Ein Lichthof für den Flurfunk
Durch die limitierte Grundfläche, die vertikale Organisation und eine offene Gestaltung ergeben sich spannende Sichtachsen über die Etagen hinweg. Die sozialen Räume der unteren Stockwerke verzichten bewusst auf Türen. Die Treppe umläuft einen offenen Kern, der einen von unten bis oben durchgängigen Luft- und Lichtraum schafft. Im zum Dreieck zulaufenden, rückwärtigen Teil des Hauses planten die Architekt*innen außerdem eine besondere Lichtsituation. Da die Seitenwände exakt auf die Breite eines Fensters zulaufen, wurde dort eine Scheibe installiert, die mit dem Souterrain-Studio und dem Wohnzimmer über zwei Etagen läuft. Vor dem Fenster wurde ein kleiner Lichthof ausgehoben, der die Sonne ins Untergeschoss leitet, sowie im Innern ein kreisförmiger Durchbruch geschaffen, der das Tageslicht über beide Etagen verteilt. Er funktioniert außerdem wie ein im Haus liegender Balkon, der die Kommunikation der Bewohner*innen über die Geschosse hinweg ermöglicht.
Zeichen der Zeit
In den Kellerräumen sind noch die Zeichen der Vergangenheit aufzuspüren. Die unterirdischen Betonwände des vorherigen Gebäudes wurden beim Abriss erhalten und bilden jetzt die Außenwände des Studios und der Wohnetage. Mit ihren rauen, unbehandelten Oberflächen werden sie zur ästhetischen Voraussetzung für alle weiteren eingesetzten Materialien, die ebenfalls natürlich und ursprünglich gehalten sind. Die Böden bestehen durchgängig aus poliertem Zement. Einbauten wie Türen, Treppengeländer oder Stauräume wurden aus Weichholz gefertigt und Platten sowie Ablageflächen in Küche und Bad aus Marmor. Konsequent und durchgängig eingesetzt machen diese Materialien das Haus zu einer Einheit, die auch nach außen kommuniziert wird.
Aus dem Ort heraus entwickelt
Die Fassade der Casa Vertical spiegelt mit ihrer über Fugen gekennzeichneten Dreiteilung und vertikal orientierten Fenstern die typische Komposition eines Stadthauses von Porto wider, überträgt sie aber in eine moderne Architektursprache. Die glatte Fassade und das schlicht ausgeführte Gesims verpassen dem Gebäude einen monolithischen Charakter, während die schwarz verkleidete und leicht zurückgesetzte Basis mit Garageneinfahrt und Eingang den weißen Block visuell in die Schwebe bringt. Tsou Arquitectos haben für das herausfordernde Grundstück eine ortsangemessene Lösung gefunden – und vor allem ein Wohnhaus entworfen, das mit viel Raffinesse und spielerischer Leichtigkeit auf widrige Vorraussetzungen reagiert.
FOTOGRAFIE Ivo Tavares Studio Ivo Tavares Studio
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