Strandschachtel von Freaks
Ein Umbau auf zwölf Quadratmetern an der französischen Küste
Platz ist in der kleinsten Hütte – das wusste schon Friedrich Schiller. Auch in diesem Sommerhaus wäre genug Raum „für ein glücklich liebend Paar“*, ebenso kann hier eine achtköpfige Horde Wikinger tafeln. Mit einem Budget von 15.000 Euro hat das Pariser Studio Freaks Architecture eine Betonhütte an der französischen Kanalküste in ein Sommerhaus verwandelt – zwölf Quadratmeter von Freaks für Freaks.
Wer sich Freaks Architecture nennt, macht das nicht ohne Grund. Als Yves Pasquet, Cyril Gauthier, Guillaume Aubry 2007 ihr eigenes Büro gründeten, waren alle drei noch unter 30, der Jüngste von ihnen sogar erst Mitte 20. „Less is more, more is less. Less is not enough.“ lautet ihr Credo seitdem. Dahinter steht der Wunsch, auf das Bild des Architekten, der Architektur sowie ihrer Darstellung, zynisch und spielerisch zu reagieren. Warum auch nicht?
Wenn man an die Ferienhäuser in der Normandie denkt – romantische Mauern und pittoreskes Fachwerk – bildet dieses Miniatursommerhaus in der 1.400-Einwohner-Gemeinde Fermanville ein zeitgenössisches Pendant, das kaum auffallen dürfte. Mit dem Charme eines Gerätehauses steht es eher im Hintergrund und die Landschaft bleibt im Vordergrund. Wer sehr gute Augen (und eine noch bessere Fantasie) hat, blickt von hier über den Ärmelkanal auf die Isle of Wight.
Bauen nach Vorschrift
Der Vorgängerbau aus Beton, eine ehemalige Fischerhütte, stellte Freaks Architecture die formalen Bedingungen für ihren Entwurf. Denn durch die strengen Bauvorschriften, die für die französischen Küstengebiete gelten, durfte das Trio weder Größe noch Dachform verändern. Mit seinen drei mal vier Metern Grundfläche erinnerte das kleine Haus die Architekten an die Blockhütte des Schriftstellers Henry Thoreau in den Wäldern von Concord, Massachusetts, die angeblich den gleichen Grundriss hatte. Drei Meter breit, vier Meter lang: zwölf Quadratmeter Schutz im Wald. Dieser Raum genügte Thoreau für sein zweijähriges Leben abseits der Zivilisation.
Das Freaks-Sommerhaus in Fermanville befindet sich zwar auch abseits der Stadt, steht aber mitten im Leben. Die neue verzinkte Metallfassade schimmert in einem hellen Champagnerton, dahinter strahlt das Meer. Durch zwei große Fenstereinschnitte öffnen die Architekten das Haus zum Horizont.
Das Interior ist schneeweiß und superminimal – dank der Funktionalität eines Wohnmobils: Schmale Wandvorsprünge mit durchgehenden Streben dienen als Bücherregale, über Küche und Bad wurde eine gemütliche Schlafebene unter dem Dach eingezogen und eine Luke im Boden führt zu einem geheimen Getränkelager. Bei den Stühlen an der Wand handelt es sich übrigens nicht nur um einen Klappstuhl-Klassiker, sondern auch das Möbel des Jahres 1984: Entworfen hat den Stuhl der isländische Architekt und Designer Valdimar Harðarson. 2750 Sóley begegnet einem in vielen Wochenendhütten. Mit nur zwei Elementen (dem Kreis als Sitzfläche und Rückenlehne, der Geraden für das Gestell) passt er auch perfekt zu diesem minimalen Sommerhaus: Weniger ist mehr. Manchmal ist weniger auch genug.
* „Raum in der kleinsten Hütte, für ein glücklich liebend Paar“, aus: Friedrich Schiller, Der Jüngling am Bache
FOTOGRAFIE Jules Couartou
Jules Couartou
Viking Seaside Summer House
Projekt: Umbau einer Fischerhütte in ein Ferienhaus / Fläche: Zwölf Quadratmeter / Bauherr: privat / Ort: Fermanville / Fertigstellung: 2017