Tempel der Elemente
Jodschwefelbad von Matteo Thun in Bad Wiessee

Badeanstalt war gestern: Das neue Jodschwefelbad des Architekten Matteo Thun im oberbayerischen Bad Wiessee ist eine Hommage an heilende Quellen, an schlichte Ästhetik – und an lokale Holzbautraditionen.
Ein Hauch von Schwefel liegt in der Luft, während letzte Sonnenstrahlen auf den neuen Flachbau am Westufer des Tegernsees fallen und das umlaufende Metallband an seiner Ober- und Unterkante zum Glänzen bringen. Zum See sind es nur ein paar hundert Meter. Vom flachen Ufer schaut man hier über meterhohes Schilf auf die gegenüberliegende sogenannte Goldküste, die abends länger in der Sonne badet. Neben bestechenden Aussichten hat der bekannte Kurort Bad Wiessee seit Juni 2020 ein weiteres Ass im Portfolio: das neue Jodschwefelbad in der Wilhelminastraße. Geplant hat es der Südtiroler Architekt Matteo Thun.
Wellness mit medizinischem Anspruch
Der See, die Voralpengipfel, Bergluft und Wälder – die Natur liefert das charakterstarke Setting für ein ambitioniertes Architekturprojekt, das zudem „natürliche Zutaten“ in den Mittelpunkt stellt: Die Elemente Jod und Schwefel, die aus zwei 700 Meter tiefen Quellen unter der Erde stammen. Inspirationen aus der Natur sind Leitmotiv des 1952 geborenen Architekten. Damit stellt sich das neue Thermal-Spa mit zwei weiteren Projekten Thuns in eine Reihe, die sich inhaltlich um das Thema Gesundheit drehen: Sowohl das Waldhotel des Schweizer Bürgenstock Resorts hoch über dem Vierwaldstättersee – einer der größten Gabionenbauten der Welt – als auch die 2020 eröffneten Waldkliniken Eisenberg in Thüringen weisen in ihrem medizinischen Anspruch weit über zeitgeistliche Wellness-Anlagen hinaus und setzen dazu auf wertige Materialien, durchdachte Gestaltung und hohen Komfort: So befördern sie den schnöden Patienten zum geschätzten Gast. Badeanstalt war gestern.
Interieur nach japanischem Vorbild
2017 wurde das 1912 entstandene frühere Badehaus abgerissen, in dem sich einst Könige, der Adel und andere illustre Gäste die Klinke in die Hand gaben. Nach einer Ausschreibung setzte die Gemeinde Bad Wiessee Thuns Entwurf für 7,6 Millionen Euro um, als ausführendes Büro fungierte das Münchner Architekturbüro Hirner und Riehl. Der ebenerdige Bau besteht aus mehreren Kuben mit Oberlichtbändern unter dem Flachdach, die das Tageslicht ins Innere leiten. Das Interieur orientiert sich optisch an der Ruhe japanischer Teehäuser. Mönchisch klar wirken die 14 Kabinen mit je einer Wanne und einer Ruheliege. Jede Zelle verfügt über ein hohes Fenster mit kleiner Terrasse im Stil eines Zen-Gartens. Dahinter schirmen Holzlamellen den Blick ab und gewähren Intimität, darüber ein Stück Himmel. Weil Thun sich seit jeher auf nachhaltiges Bauen versteht, kommt auch hier keine Klimaanlage zum Einsatz. Stattdessen nutzt der Architekt die Ressourcen der Natur: in diesem Fall die klare, frische und natürliche Bergluft. Abends öffnen sich die Fenster und holen die kühle Nachtluft herein, bei Regen schließen sie automatisch. Belüftungsrohre leiten die Frischluft in die Räume.
Spezialanfertigungen für Heilwasser
„Jod und Schwefel stammen aus den benachbarten Heilquellen Adrianus und Wilhelmina. Es sind die stärksten Jod-Schwefelquellen Deutschlands, vielleicht sogar Europas“, sagt Geschäftsführer Helmut Karg bei einem Rundgang. „Das Wasser beider Quellen wird gemischt und auf 38 Grad erhitzt, bevor es dunkelgrau und leicht ölig in die ergonomisch geformten Wannen schießt“ – Spezialanfertigungen, konstruiert von Forschern der TU München. Doch was dem Körper augenscheinlich so guttut, gegen Allergien, Asthma, Rheuma, Bluthochdruck oder auch präventiv hilft, das greift die Materialien an – und das sogar recht aggressiv: „Der Schwefel zerfrisst Metall, daher konnten wir keine Armaturen oder Schalter aus Stahl verwenden. Kleiderbügel wechseln wir nach sechs Monaten. Auch die Motoren zur Steuerung mussten verkleidet werden.“ Über die Wände ziehen sich helle, hauchdünne Kacheln aus einer italienischen Manufaktur, entwickelt von Thun. Flächen aus lasierter heimischer Weißtanne und Naturstein ergänzen die helle Farbpalette.
Bau setzt Nachhaltigkeitsstandards
Mittig in die Sitzinseln der vier lichtdurchfluteten Atrien wurden plakativ wirkende, hochgewachsene Bäume gesetzt. Auch die Pflanzen müssen gegen den immerwährenden Hauch Schwefel in der Luft gefeit sein. Neben den Wannenbädern ergänzen Sprühbäder, Augenbäder und Inhalationsplätze das therapeutische Angebot des 1.200 Quadratmeter großen Thermal-Spas, das über einen Vorhof und ein Entrée betreten wird. „Insgesamt war es ein Kraftakt“, sagt Geschäftsführer Karg. „Weil das Ufer recht sumpfig und der Untergrund entsprechend weich ist, musste der Boden zuvor gepfählt werden“, erzählt Karg – und man denkt sofort an die Lagunenstadt Venedig.
Holzfetischismus statt Gretismus
Darüber hinaus setzt der Bau Standards in Sachen Nachhaltigkeit – ein Thema, das Matteo Thun seit jeher und schon lange vor dem heutigen „Gretismus“ (in Anlehnung an Greta Thunberg) ein echtes Anliegen war. „Greta hebt den Finger und klagt uns an: ,Ihr Alten habt die Erde kaputt gemacht, ihr seid schuld!' Aber Greta selbst gibt keine Antworten, nicht den leisesten Hinweis, was wir machen sollen“, kritisiert Thun im Gespräch. Dabei hat der Gestalter längst passende Antworten für die Architektur gefunden: „Mit Holz bauen, nicht mit Zement, denn die Zementindustrie ist für den CO2-Haushalt weitestgehend verantwortlich“, erklärt er weiter. Dass neben den äußeren Werten auch die inneren passen, beweist das Jodschwefelbad also mit Bravour. Deshalb werden neben Wellness-Fans künftig wohl auch zahlreiche Architektur- und Design-Liebhaber die Wannen bevölkern. Das Auge badet schließlich mit.
FOTOGRAFIE Jens Weber
Jens Weber
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