The Great Scandinavian Dream
(Un-)typisch norwegische Hütte von Mork-Ulnes Architects

Eine Hütte oder ein Sommerhaus sind in Skandinavien nicht so exklusiv, wie es vielleicht klingt, sondern recht üblich, und das auch schon seit Langem. Die Mylla Hytta ist zwar eine von vielen, aber gewöhnlich ist sie nicht. Sie erzählt eine exemplarische Geschichte vom Ankommen, Anpassen und Aneignen.
Nicht weit von der Stadt und mittendrin in der wunderschönen norwegischen Natur, die nur darauf wartet, aktiv genutzt oder passiv genossen zu werden. Hier, in der waldreichen Region Nordmarka, bloß eine Stunde nördlich von Oslo und doch irgendwie abgelegen, haben Mork-Ulnes Architects einer vierköpfigen Familie eine kleine Hütte gebaut. Die amerikanischen Bauherren sind vor acht Jahren nach Norwegen ausgewandert und haben schnell an der Lebensweise Gefallen gefunden. Dass dieses Projekt die Hüttentypologie gewissermaßen neu definiert, lässt sich durch die offene Herangehensweise der Architekten erklären. Sie betreiben Büros in Oslo und San Francisco, nutzen diesen geweiteten Horizont gekonnt und verbinden amerikanische Mentalität mit skandinavischem Erbe. Die Bauherren haben sich auf die innovativen Ideen ver- und eingelassen.
Während sich klassische norwegische Hütten mehr um die Natur als um sich selbst drehen, gelingt es der Mylla Hytta, beide Aspekte zu vereinen. Sie nimmt sich weit mehr heraus als die funktionalen Häuschen, ist großzügiger gestaltet, erlaubt sich umzudenken, ohne exzentrisch oder eben dysfunktional zu werden. Die Hütte thront auf einer Anhöhe, als wäre sie, so wie sie ist, dort hingeflogen und so gelandet. Die Architektur versucht nicht, mit der Umgebung zu konkurrieren, hält sich aber auch nicht zurück.
Bereits das Dach weicht vom gängigen Satteldach ab. Das Volumen wurde geteilt und so abgewinkelt, dass vier Flügel mit steil abfallenden Dächern um eine Mitte rotieren. Diese an ein Windrad erinnernde Geste hat zwei Konsequenzen. Zum einen ergeben sich von den Zimmern aus verschiedene Aussichten auf die Landschaft, die von großen Fenstern umrandet werden: auf den namensgebenden Mylla-See, auf Berge, Wald und Himmel – hier darf die Natur die Hauptrolle spielen. Durch die großzügigen Öffnungen wird der Innenraum von natürlichem Licht durchflutet. Zum anderen entstehen in den Zwischenräumen wind- und wettergeschützte Terrassen, die morgens wie abends die Sonnenstrahlen einfangen. Die Geometrie des Dachs bringt außerdem den praktischen Vorteil mit sich, dass auch Schnee in die gewünschte Richtung abfällt.
Dieses Zusammenwirken zwischen innen und außen verdeutlicht, dass das Wetter ein Faktor ist, den man hier mit einrechnen muss. Auf der unbehandelten Kiefernholzfassade wird die Witterung mit der Zeit Spuren hinterlassen, das einst helle Holz wird grau werden. Die Konstruktion, ein Holzrahmenbau, orientiert sich dann doch an traditioneller Hüttenarchitektur, und auch der Innenraum ist konsequent in Holz gehalten. Spezialgefertigte, multifunktionale Einbaumöbel, Wand- und Deckenbekleidungen, Fensterrahmen und Türen sind aus mit Lauge und weißem Öl behandeltem Kiefernsperrholz. Mit dem Beton der Böden, Badezimmerwände und Küchenoberflächen stellt es eine besondere, da kontrastreiche Harmonie her.
Drei freistehende Blöcke beinhalten die wichtigsten Funktionen, auf einem davon findet sich extra Spielraum für die Kinder. Die hinter diesen Kernen liegenden Schlafplätze sind über je zwei Türen zugänglich. Stehen diese offen, nimmt man sie kaum wahr. Über ihnen sind Oberlichter installiert, um Schallübertragung zu verringern und die Einheit der Decke zu bewahren – diese ist im Inneren zwar ebenso verwinkelt, aber nie unterbrochen.
Das aus Ersatzmatratzen bestehende Sofa ist mit waldgrünem Wollfilz überzogen und gibt dem Ganzen eine menschliche Wärme. In gewisser Weise warm und einladend ist Mylla zu jeder Jahreszeit. Die Bauherren sind oft und gerne hier, mit Kind und Kegel, manchmal auch mit Gästen. Dank des Sofas, zweier Schlafzimmer und eines Schlafraums bieten die kompakten 84 Quadratmeter Platz für bis zu zehn Personen. Im 16 Quadratmeter großen Nebengebäude kommen Ausrüstung sowie eine Sauna unter. An der Seite stapelt sich Feuerholz.
Im Winter kann man Ski fahren, im Sommer radeln oder paddeln, wandern oder angeln. „Friluftsliv für meine Gedanken“, hat schon Henrik Ibsen geschrieben. Aber eben auch für das Gemeinschaftsgefühl, für das gemeinsame Raus- und Runterkommen. „Friluftsliv“, wörtlich übersetzt „Freiluftleben“, ist eben nicht nur Outdoor-Sport, sondern eine Haltung: Das Leben in und mit der Natur – auch das Wohnen – kann individuell gestaltet sein. Mithilfe der Architekten haben sich die amerikanischen Bauherren einen typisch norwegischen und doch ganz persönlichen Traum erfüllt. Sie haben ein Refugium errichtet, einen der regelmäßigen Stadtflucht gemäßen Zufluchtsort – und das so interessant gelöst, dass es Tradition und Typologie bereichert, deren Definition erweitert, ohne sie im Grunde zu hinterfragen, ohne zu provozieren. Auch weil die Familie eben nicht nur den Sommer hier verbringt. Sie sind gekommen, um zu bleiben, und haben sich in ihrer neuen Heimat ein eigenes kleines Reich erschaffen.
FOTOGRAFIE Bruce Damonte
Bruce Damonte
Mylla Hytta
Jevnaker Kommune, Norwegen 2015–2017 / Neubau aus Holzrahmenbau und Beton / 84 + 16 Quadratmeter
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