Theater mit Terrazzo
La Macchina Studio verjüngt das Apartment einer 99-Jährigen

Roms Quartier Appio Latino, gelegen südöstlich des Stadtzentrums und einst ein Arbeiterviertel, hat sich zur begehrten Wohngegend für Bessergestellte gewandelt. Und obwohl die Auftraggeber von La Macchina Studio selbst zu dieser Personengruppe gehören, mussten sie sich bei Kauf und Umbau ihres Apartments auf das Wesentliche konzentrieren. Die Architekten lösten die Aufgabe mit Umsicht, Farbe und einem Gespür für die große Geste der Inszenierung.
Ein Glückstreffer war es schlussendlich, als das Bauherrenpaar nach über einem Jahr Suche – begleitet von den Architekten – ein Apartment in Roms begehrtem neunten Quartier kaufen konnte. Zuvor hatte eine verwitwete Dame darin gewohnt – und zwar bis zu ihrem Tod im Alter von 99 Jahren. Gelegen im ersten Stock, war hier seit dem Bau in den Fünfzigern einiges verändert worden, hatte sich doch auch die Situation der Vorbesitzer mit den Jahren gewandelt: Im Erstbezug lebte die Dame hier mit Mann und zwei Töchtern, später dann nur noch als Paar und dann viele Jahre allein.
In solchen Wohnungen, konzipiert für Arbeiterfamilien, fand sich ursprünglich nur ein Schlafzimmer, ein großer Essraum mit kleiner Küchennische und ein Bad – vor 70 Jahren war die Wohnung nur zum Essen und Schlafen da; das Leben fand draußen statt. Nicht verwunderlich, dass das Apartment mehrmals neuen Wohnbedürfnissen angepasst wurde, man riss Wände ab und baute neue. Dadurch entstandene Lücken im bauzeitlichen Terrazzoboden hatte man in Kauf genommen – und die Böden der neu entstandenen Räume kurzerhand mit Fliesen oder Teppichboden beklebt, der teils auch die Wände hinauf reichte.
Viva il terrazzo!
Für die Bauherrschaft bedeutete – trotz sicherer Jobs in der Finanzbranche – allein der Kauf des 75-Quadratmeter-Apartments eine große Investition; für den Umbau setzten sie auf Anraten ihrer Architekten den Fokus auf alles Bleibende, also die Trockenbauwände und die Böden. Denn durch die erneute Umgestaltung des Grundrisses ergaben sich teils großflächige Fehlstellen im Terrazzo – und diese Lücken ließen sie fachkundig füllen. Keine leichte Aufgabe, sind doch selbst im Mutterland des „Terrazzo alla veneziana” mittlerweile Handwerker rar, die diese Technik noch auszuführen wissen.
Heute, so berichten die Architekten vom Studio La Macchina, seien die Eigentümer geradezu verliebt in die Collage aus verschiedenen Terrazzo-Böden, die das Apartment nach dem Umbau charakterisieren. Dabei gestaltete sich besonders das Verlegen der Leitungen im Bestandsboden schwierig. Im Wohnraum entschied man sich für eine Leitungsführung entlang der Bereiche, in denen der Boden ohnehin beschädigt war. Im Bad dagegen war ohnehin nur so wenig Terrazzo erhalten, dass eine Reparatur keinen Sinn machte, hier kam ein fugenloser Zementboden zum Einsatz. Ähnlich die Wahl für das Schlafzimmer: Auch in diesem Bereich, der früher einen Teil des Esszimmers und der Küchennische umfasste, war der ursprüngliche Terrazzo komplett zerstört. Heute ersetzt ihn ein Gussboden in einem warmen Terrakotta-Ton.
Die Wohnung als Bühne
Die Architekten von La Macchina Studio, Gianni Puri und Enrica Siracusa, überzeugen über den feinsinnigen Umgang mit den Qualitäten des Bestands hinaus auch mit ihrem Gespür für große Gesten und fürs Spielerische. Beide betrachten ihre Arbeit als eine Art, mit Repräsentation umzugehen und so fügten sie auch bei diesem Apartment theatrale Elemente ein. Ein Beispiel: die Tür zwischen Essbereich und Schlafzimmer. Mit ihrem Mykonos-blauen Farbton und ihrer außergewöhnlich schmalen, hohen Form mit Bogen erinnert sie an eine Pop-Art-Theaterinszenierung und ein Video aus den glorreichen Zeiten des Musikfernsehens gleichermaßen. Ihre Zarge ragt 70 Zentimeter weit in den Wohnraum hinein, sie versteckt die einfach gehaltene Küche vor den Blicken neu eintretender Besucher. Im großen Wohnraum ersetzt ein zitronengelber Vorhang eine abgerissene Wand, gleich eines Theatervorhangs erlaubt er das spontane Umgestalten des Raumes.
Theatralisch übrigens auch die Inszenierung der Fotos, die das Projekt Retroscena dokumentieren: Diese Art der szenografischen Fotografie, so geben die Architekten zu Protokoll, sei für sie das Mittel der Wahl, um alltägliche Handlungen in Wert zu setzen und die Bewohner in ihrer Rolle als Akteure im eigenen Heim zu zeigen. Das Leben in einer Wohnung begreifen Gianni Puri und Enrica Siracusa als ein Theaterstück – und genau deshalb inszenieren sie auch die Fotos in dieser Form. Ziel sei, die Neugier zu wecken und ein bißchen Magic in die sonst oft nüchterne Architekturfotografie zu bringen. Das ist ihnen auf alle Fälle gelungen.
FOTOGRAFIE Paolo Fusco
Paolo Fusco
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