Tunnelblick
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„Die Straßen singen, die Steine sprechen. Die Häuser triefen von Geschichte, Ruhm und Romantik.“ Mit diesen Worten beschrieb einst Henry Miller, von seinen Eindrücken überwältigt, Paris. Ernest Hemingway fasste sich bei seiner enthusiastischen Darstellung kürzer: Er bezeichnete die Stadt an der Seine als „ein Fest fürs Leben“. Auch heute noch zieht die französische Metropole Besucher wie Einwohner in ihren Bann – und das nicht allein wegen ihrer historischen Architektur. Auch viele der erst in den letzten Jahren entstandenen, über die Stadt verteilten Kleinode tragen ihren Teil dazu bei. Ein Beispiel ist Heliocosm im ersten Arrondissement. Der Kosmetikproduzent zaubert in einer kleinen Boutique seinen Kunden vor Ort das passende Produkt zusammen. Die Architektur von Freaks Freearchitects führt sie dabei durch einen langen Tunnel und versetzt sie so in eine eigene, schwerelose Welt.
Ob normal, trocken, empfindlich, allergisch, feuchtigkeitsarm oder unrein: Jede Haut ist anders, und bei ihrer Pflege gibt es vieles zu beachten, was nicht selten zu einer gewissen Ratlosigkeit führt. Diesem Problem wollten Clement Sauvet und Aurore Delauney Abhilfe schaffen und gründeten ein kleines Kosmetikunternehmen, das sie nach dem griechischen Sonnengott Helios benannten. Dabei soll mit hochwertigen und natürlichen Inhaltsstoffen die Haut mit möglichst wenigen Produkten optimal versorgt werden. Den passenden Ort für die Präsentation der Produkte fanden sie in einem 100 Quadratmeter großen ehemaligen Elektrogeschäft in der Rue Harald im ersten Arrondissement, die passenden Architekten für die Gestaltung in Guillaume Aubry, Cyril Gauthier und Yves Pasquet des Pariser Büros Freaks Freearchitects. Das Resultat ist ein 20 Meter langer und bis zu sechs Meter breiter Raum, der in zwei Zimmer aufgeteilt wurde, die durch einen Tunnel miteinander verbunden sind.
Farbengröße
Betritt man das Geschäft durch die gläserne Eingangstür, findet man sich in einer leicht surreal anmutenden Umgebung wieder. Böden, Wände und Decken sind in einem frischen Grünblau gestrichen, wodurch der Laden eine gewisse Tiefe erhält und größer wirkt als er eigentlich ist. Rechts vom Eingang steht ein langer, ebenfalls in Grünblau gestrichener Tresen, der als Labor dient und an dem die Produkte individuell zusammengestellt werden. Dort gibt es drei Arbeitsplätze sowie einen Computer und ein Waschbecken, die von vier schlichten, von der Decke herabhängenden Lampenfassungen beleuchtet werden. Doch bevor der Kunde hierher bestellt wird, muss er sich an einem dem Tresen schräg gegenüberstehenden Empfangstisch anmelden. Dieser verbindet das Vorderzimmer und den hölzernen Tunnel: Er steht teils im Labor und teils in der Holzkonstruktion und leitet somit elegant in den hinteren Bereich über.
Funktionslösung
Der Tunnel selbst bildet einen starken Kontrast zu dem hellen blaugrünen Farbton und ist das Herzstück des Geschäfts. Seine Existenz verdankt er einzig seiner Funktionalität: „Da das Budget recht klein war, haben wir nur den vorderen und den hinteren Raum renoviert“, erklärt Guillaume Aubry. „Es war günstiger, den Verbindungstunnel zu bauen, als die Böden und Wände zwischen beiden Räumen zu erneuern.“ Anstatt also in die vorhandene Architektur einzugreifen, schufen die Architekten die Struktur nicht nur als Verbindungsglied, sondern auch um geschickt alle elementaren Einrichtungen wie Garderobe, Notausgang und Toilette hinter hölzernen Türen zu verstecken. Nur die in die Wände integrierten Ausstellungsregale sind offen gehalten: Sie präsentieren auf eine sehr grafische Weise Medizinflaschen ähnelnde Behälter und machen neugierig auf die Produkte.
Lichteffekt
Die eigentliche Attraktion ist jedoch vom Tunnel aus gesehen der ebenfalls blaugrüne Warteraum, denn er scheint weit entfernt in einer schwerelosen Welt zu liegen. Ein großes hinterleuchtetes Wandbild mit alpiner Optik hilft bei der Erzeugung dieses Effekts und zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Vor ihm stehen eine Anrichte und eine schwarze Ledercouch, die wie das gesamte Mobiliar von Heliocsom als Gegenstücke zum dem ansonsten modernen Interieur aus dem Second-Hand-Shop stammen. Bei einer Tasse Tee kann der Kunde hier bequem auf das für ihn im Labor angefertigte Produkt warten, sich dabei ganz in Pariser Tradition die Sinnen betören lassen und dem Müßiggang widmen.
FOTOGRAFIE David Foessel
David Foessel
Links
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