Umarmte Geschichte
Ein Altbau mit Anbau und Aufbau in Melbourne von Edition Office
Südlich von Melbourne hat das australische Architekturbüro Edition Office ein historisches Häuschen durch einen Anbau in ein herrschaftliches Heim verwandelt. Wer eine stilkonforme Erweiterung aus rotem Backstein und weißen Holzelementen erwartet, wird überrascht: Mit klaren Kanten und einer eierschalenfarben vermörtelten Fassade klemmt der Neubau sich an den Bestand. Im Inneren warten ein weich fließendes Layout, gut getarnte Patios, zwei holzverkleidete Dachkammern und ein gemauerter Mini-Pool.
Das Mary Street House ist seinem Jahrgang nach ein „alter Kasten”, brachte aber viel Potenzial und innere wie äußere Werte mit, die nur wachgeküsst werden mussten. Das rote Backsteinhaus stammt aus der Federation Era, mit der die Australier*innen die Zeit von 1890 bis 1915 beschreiben, und steht im Melbourner Vorort St. Kilda. Seine Lage am Ende der hafennahen Mary Street hat den Vorteil, dass die Sonne das Grundstück von drei Seiten bescheint, gleichzeitig aber den Nachteil, dass zwei laute Straßen am Haus vorbeiführen. Weil der im Bungalow-Stil erbaute Bestand durch Anbauten erweitert werden sollte, machte sich das mit der Umgestaltung und Modernisierung beauftragte Architekturbüro Edition Office auch gleich Gedanken um den Schallschutz. Der klare Neubau aus weißgelbem Backstein ist nicht nur ein maximaler Stilkontrast zum dekorativ verzierten Ziegelbau, sondern umfasst ihn mit seinem Volumen und umarmt ihn mit einer Mauer.
Verwebt mit der Geschichte
Alt und Neu stehen sich auf dem Grundstück als Gegensatz gegenüber und verschränken sich ineinander. Die eine Hälfte steht noch im Zeichen der alten Zeit. Das pittoreske rote Backsteingebäude mit seinen weißen Holzdekorationen erhebt sich hinter einem Lattenzaun, dahinter erstreckt sich ein klassischer Blumengarten. Die andere Hälfte wird von einer Mauer eingerahmt, die den dahinter liegenden Teil des Geländes samt Neubau zur privaten Zone macht. Dort fließen Innen- und Außenräume mit asketischer Eleganz und ohne scharfe Raumkanten ineinander. Das Badezimmer hat einen kleinen Hof vor dem Fenster, der Garten grenzt zu drei Seiten an Fernsehzimmer, Küche und Wohnbereich und das Layout des Hauses mündet in einen Patio mit Pool. Vorsprünge des Betonflachdachs werden zu Schattenspendern und Auskragungen der Wand zu Sitznischen.
Getarnt hinter Mauern
Weil sich der neue Teil der Architektur weitgehend vor der Außenwelt verschließt, wurden einige runde Oberlichter in die Decken integriert, um Tageslicht in die Räume zu holen. Ihre Lichtkegel sorgen in den farblich monochrom in Beige-Nuancen gehaltenen Räumen für sakrale Effekte. Das Materialvokabular im Erdgeschoss setzt sich aus dem grauen Estrich des Bodens, den homogen eierschalenfarben vermörtelten Ziegeln und Holzflächen bei Einbaumöbeln und Fensterrahmen zusammen. Neben der harmonischen Raumwirkung hat Edition Office viel Wert auf nachhaltige Strategien gelegt: „Für das gesamte Projekt wurden kostengünstige und natürlich widerstandsfähige Materialien verwendet, wobei nachhaltig gewonnene und recycelte Ziegel das dominierende Baumaterial für den Anbau sind“, berichten die Planenden.
Versteckt in Turmzimmern
Auf dem begrünten Flachbau ruhen zwei mysteriöse Volumen. Das größere klammert sich in das Terrakotta-Ziegeldach des Bestandsgebäudes, das kleinere erhebt sich wie eine Kanzel aus der Fläche. In ihnen befinden sich zwei Räume, die quasi das Obergeschoss bilden. Die Platzierung der beiden Räume erfolgte sehr strategisch, um den Sonneneinfall der südlich angrenzenden Grundstücke nicht zu blockieren. Die Ausbauten funktionieren als räumliche Solitäre. Der große Block ist vom Flur im Erdgeschoss aus zu erreichen und beherbergt das Schlafzimmer mit Ensuite-Bad und einer komplett umschlossenen Terrasse. Der kleine Block sitzt über der Garage und wird als Studio genutzt. Diese besonderen Enklaven wurden von der Decke über die Wände bis zum Einbaumobiliar konsequent mit Eukalyptusholz verkleidet, das mit seiner tiefen Braun-Nuance für Fifties-Eleganz sorgt. Mit seinem fluiden Layout bietet das Mary Street House die räumliche Öffnung und den privaten Rückzug, zeigt sich als Patchwork aus dem Alten und dem Neuen und funktioniert für die Bewohner*innen als asketische Ruhezone mitten in der Vorstadt.
FOTOGRAFIE Rory Gardiner Rory Gardiner
Mehr Projekte
Camouflage im Eichkamp
Berliner Familienresidenz von Atelier ST
Mid-Century im Stadthaus
Renovierung und Erweiterung eines Hauses in Barcelona
Lautner, but make it Cape Town
In den Fels gebaute Villa Lion’s Ark an der Küste Südafrikas
Ein Zuhause aus Licht und Pflanzen
Umbau einer Sechzigerjahre-Wohnung in Mailand von SOLUM
Wohnen in Blockfarben
Umbau einer Scheune bei Barcelona von h3o Architects
Olympisches Raumspiel
Reihenhaus-Renovierung im Olympischen Dorf München von birdwatching architects
Ganz der Kunst gewidmet
Atelier für eine Malerin in Germantown von Ballman Khapalova
Heiter bis holzig
Zweigeschossiges Wohnhaus mit Farbakzenten im Hudson Valley von nARCHITECTS
Kreative Transformationen
Nachhaltiges Bauen mit regionalen Ressourcen und innovativen Produkten von JUNG
Von der Enge zur Offenheit
Filmreifer Wohnungsumbau in Madrid von GON Architects
Leben im Schweinestall
Historisches Stallgebäude wird modernes Familienheim
Surferträume im Reihenhaus
Umbau eines Sechzigerjahre-Wohnhauses in Norwegen von Smau Arkitektur
Wabi-Sabi am Hochkönig
Boutiquehotel stieg’nhaus im Salzburger Land von Carolyn Herzog
Faltbarer Transformer
Ein ländliches Wochenendhaus in Argentinien von Valentín Brügger
Funktionale Fassaden
Verschattung im Bestand und Neubau
Wohnhaus in Kurvenlage
Neubau mit rundem Garten in Südkorea von Sukchulmok
Palazzo mit Patina
Umbau eines apulischen Anwesens durch das Architekturbüro Valari
Alte Scheune, neues Leben
Historisches Gebäude in Tübingen wird zu modernem Wohnraum
Gebaut für Wind und Wetter
Ferienhaus im schwedischen Hee von Studio Ellsinger
Ein Dorfhaus als Landsitz
Wohnumbau von Ricardo Azevedo in Portugal
Ein offenes Haus
Feministischer Wohnblock Illa Glòries von Cierto Estudio in Barcelona
Harte Schale, weicher Kern
Unkonventionelles Einfamilienhaus in Mexiko von Espacio 18 Arquitectura
Zwischen Bestand und Zukunft
Umbau einer Kölner Doppelhaushälfte durch das Architekturbüro Catalanoquiel
Offen für Neues
Nachhaltige Renovierung einer flämischen Fermette durch Hé! Architectuur
Baden unter Palmen
Studio Hatzenbichler gestaltet ein Wiener Loft mit Beton und Grünpflanzen
Maßgeschneidertes Refugium
Georg Kayser Studio verbindet in Barcelona Altbau-Charme mit modernem Design
Rückzugsort im Biosphärenreservat
MAFEU Architektur entwirft ein zukunftsfähiges Reetdachhaus im Spreewald
Im Dialog mit Le Corbusier
Umbau eines Apartments im Pariser Molitor-Gebäude von RREEL
Warschauer Retrofuturimus
Apartment mit markantem Raumteiler von Mistovia Studio
Trennung ohne Verluste
Ferienhaus im Miniformat auf Usedom von Keßler Plescher Architekten