Urbane Deserteure
Ein Refugium für Stadtflüchtlinge, erbaut aus Dolomitenbeton und lokaler Zirbe.
Wer in den Bergen baut, baut mit den Bergen. Die Natur hoch oben ist Szenerie und Baustoffquelle, Freund an guten Tagen und Gegner bei Schlechtwetterlagen. In einem kleinen Weiler in Südtirol wurde ein Wohngebäude errichtet, das sich in die Umgebung einpasst und als Architektur für Stadtflüchtlinge seine Unabhängigkeit bewahrt.
Das fast schwarze Haus mit seinen zwei Giebeln liegt am Hang der Dolomiten – im wortwörtlichen Sinne. Denn Enneberg, die Gemeinde zu der das Projekt dieses Wohnhauses zählt, heißt übersetzt genau das: Jenseits der Berge. Erbaut wurde es nicht mitten im Ort, sondern ganz charakteristisch als Teil eines Weilers, einer Wohnsiedlung mit gerade einmal einer Handvoll Häuser. Kleiner als ein Dorf, ein paar Steine größer als eine Einzelsiedlung. Hier gibt es keine Straßennamen, nur Hausnummern. Das schwarze Haus trägt die Nummer 13, der Weiler heißt Pliscia, eine Postsendung wird schlicht an Pliscia 13 adressiert.
Der Blick nach unten
Wer sich auf eine Höhe von 1200 Metern zurückzieht, ist ohnehin nicht unbedingt auf der Suche nach Kommunikation. Einsamkeit, Naturnähe und Entschleunigung werden im Südtiroler Naturpark Fannes-Senges-Prags groß geschrieben – weshalb auch der Entwurf des Büros Pedevilla Architekten als asketischer und einladender Raum der physischen und psychischen Einkehr ausgefallen ist. Obwohl gerade erst fertiggestellt, passt sich das Gebäude in seiner äußeren Erscheinung der umgebenden Typologie an: Die meisten Höfe bestehen hier mit Wohn- und Wirtschaftsgebäude aus zwei Teilen, die beide mit ihrem First zum Tal hin ausgerichtet sind. Balkone gibt es kaum, stattdessen öffnet sich der Wohnraum wie auch bei Pliscia 13 über eine in den Holzmantel integrierte, windgeschützte Loggia dem Bergpanorama.
Es ist der sensible Spagat zwischen Tradition und Moderne, Vergangenheit und Zukunft, der diesen Neubau angepasst und doch eigenständig wirken lässt. Das liegt auch an einer Zurückhaltung bei den Materialien. Alle eingesetzten Baustoffe stammen aus der Umgebung: Der Sichtbeton, der die Innenräume bestimmt, ist aus Dolomitgestein. Zirbe und Lärche aus den umgebenden Wäldern bilden gebeizt die dunkle Außenhaut und sind als helle Bodendielen verlegt. Sie sind die Basis eines bewusst inszenierten Kontrastes zwischen draußen und drinnen, zwischen der fast schwarzen Fassade und einem hellen und wohnlichen Innenraum. Natur und Licht werden durch große Fenster hereingeholt, das manchmal raue Klima ausgesperrt. Weiche Lodenstoffe und antike, abgeschliffene Naturholzmöbel sorgen für Gemütlichkeit.
Selbst bei den Fenster- und Türbeschlägen wurde darauf geachtet, dass die Materialien, die Farbe und Form in Einklang mit dem Gebäude stehen. Die Türklinken Modell 1159 von FSB wurden in einer Ausführung aus eloxiertem Aluminium gewählt. Dieses besondere Finish, ein dunkles Bronze, bringt Geschichte mit: Es entstand in den 1950er Jahren, als Bauherren sich aus finanziellen Gründen gegen Bronze und Messing entschieden, auf deren Ästhetik allerdings nicht verzichten wollten. Für einige Zeit aus dem Blickfeld geraten erfährt diese Veredelung mit einem neuen ästhetischen Verständnis und der Wiederentdeckung der dunklen Töne einen Aufschwung. Im Haus Pliscia setzen sie einen Kontrast auf den hellen Zirbenholztüren und finden eine farbliche Referenz in den stark nachdunkelnden Ästen des Holzes. Um das Gebäude selbst in Einklang mit seiner Umgebung zu bringen, ist es neben seiner ästhetischen Einbindung energetisch autark. Eine eigene Wasserquelle, Erdwärme, passive Sonnenenergienutzung und eine Photovoltaikanlage versorgen das Haus und seine Bewohner. Die können sich so temporär zurückziehen, mit dem Panorama-Blick auf die Welt und ihre Launen.
Haus Pliscia ist für den 7. Tiroler Architekturpreis nominiert, der am Donnerstag, den 21.November 2013 in Bozen vergeben wird. Informationen zum Preis unter preis.arch.bz.it.
FOTOGRAFIE Gustav Willeit
Gustav Willeit
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