Wie ein gestrandeter Ozeandampfer
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Seebäder gibt es auch in England viele, aber nur wenige warten mit einer Architekturikone des 20. Jahrhunderts auf. In Bexhill-on-Sea in der Grafschaft East Sussex jedoch steht der De-La-Warr-Pavillon direkt am Meer und wirkt zuweilen wie ein gestrandeter Ozeandampfer. Seine modernistische und zur damaligen Zeit aufsehenerregende Stahl-Glas-Konstruktion sticht heraus aus der verspielten englischen Bäderarchitektur und man fragt sich unwillkürlich, wie solch ein progressiver Bau in einem beschaulichen Provinznest an Englands Südküste im Jahr 1935 entstehen konnte. Einem Earl und zwei Architekten sei Dank.
Von der Dorfidylle zum mondänen Seebad: Bexhill-on-Sea
Ursprünglich ein kleines Dorf, wandelte sich Bexhill-on-Sea Ende des 19. Jahrhunderts in ein exklusives Seebad. Spätestens seit dieser Zeit ist das Baugeschehen in der Stadt eng mit der Familie De La Warr verbunden. So wurde beispielsweise unter dem siebten Earl De La Warr, Reginald Sackville, die erste Seemauer mit Straße von John Webb errichtet, die De La Warr Parade. Die Stadt begann zu wachsen und luxuriöse Gebäude wie das „Sackville Hotel“ entstanden. Unter Viscount Cantelupe, dem achten Earl De La Warr, nutzen die Bewohner dann den Kursaal als Ort von Veranstaltungen und Müßiggang. Ja, auch in England wurde dieser deutsche Begriff benutzt, das Gebäude jedoch im 1. Weltkrieg in der Zeit eines erwachenden Patriotismus in „The Pavilion“ umbenannt. Mit diesem an der De La Warr Parade gelegenen Bauwerk war aber noch nicht Schluss mit der Architekturbegeisterung der De La Warrs: Der neunte Earl De La Warr und erster sozialistischer Bürgermeister von Bexhill-on-Sea, Herbrand Edward Dundonald Brassey Sackville war es, der die Idee zum De-La-Warr-Pavillon hatte und in die Tat umsetzte. Der Pavillon sollte fortan den Kursaal als Mittelpunkt des Vergnügens und der Muße ersetzen.
Wie Erich Mendelsohn nach England kam
Erich Mendelsohn, der sich durch den Bau des Potsdamer Einsteinturms, der Luckenwalder Hutfabrik und der Schocken-Kaufhäuser einen Namen gemacht hatte, ereilte im Deutschland der 1930er Jahre dasselbe Schicksal wie Tausende anderer jüdischen Künstler: Der vom Erfolg verwöhnte Architekt musste – von den Nationalsozialisten mit Berufsverbot belegt, aus der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen und durch „Beschlagnahmung“ um sein Vermögen gebracht –, 1933 emigrieren. Die erste Station seines Exils war England, wo er zusammen mit dem britischen Architekten Serge Chermayeff eine Bürogemeinschaft gründete, die bis 1939 anhielt. Zusammen mit Chermayeff gewann Mendelsohn den 1933 im „The Architects Journal“ ausgeschriebenen Wettbewerb um den Bau des De-La-Warr-Pavillons unter 230 eingesendeten Entwürfen. Das zu errichtende Gebäude sollte sich durch eine einfache Formgebung auszeichnen, luftig daherkommen, mit großen Fensterflächen, Sonnenterrassen, einem Restaurant und Leseraum sowie mit einer Mehrzweckhalle für diverse Veranstaltungen versehen sein – so jedenfalls der Ausschreibungstext des Wettbewerbs.
Von Mendelsohns und Chermayeffs Vorschlag wurde allerdings aus Kostengründen nicht jedes Detail verwirklicht: So blieben der projektierte Swimmingpool, die Pergola und ein Pier ins Meer reines, aber schönes Wunschdenken. Der De-La-Warr-Pavillon gilt gemeinhin als erstes öffentliches Gebäude in Großbritannien, das nach den Prinzipien des „International Style“ entworfen und umgesetzt wurde und so rief der Earl De La Warr dann auch begeistert aus: „The interior is truly music.“ Trotz dieser Ode an die architektonische Fortschrittlichkeit des Pavillons sorgte er seit seiner Eröffnung durch den Duke und die Duchess of York im Dezember 1935 für kontroverse Diskussionen in der teils recht konservativen Bevölkerung von Bexhill-on-Sea, aber auch in der Presseberichterstattung wurden Proteste laut.
Endlich: Zum Leben erweckt!
Nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten durch das Londoner Architekturbüro John McAslan + Partners wurde der De-La-Warr-Pavillon im Oktober 2005 wiedereröffnet. Vorausgegangen war ein jahrzehntelanger Zerstörungsprozess, der bedingt war durch gesellschaftliche Veränderungen, gerade im Bereich Unterhaltung und Freizeit: Der De-La-Warr-Pavillon konnte den neuen Anforderungen der Erlebnisindustrie nicht mehr standhalten, seine Tage als Architekturikone schienen gezählt. Und so wurde in das Gebäude kaum mehr investiert und der Zahn der Zeit und das salzige Meerwasser begannen an der Substanz zu nagen. So fielen schöne Baudetails und ein Großteil der originalen Einrichtung dieser Missachtung einer der wichtigsten modernen Gebäude Großbritanniens – inzwischen unter Denkmalschutz gestellt – zum Opfer.
Nach Jahren des Niedergangs entschloss man sich in buchstäblich letzter Minute dann aber doch, das Gebäude zu retten. Und so wurde das 1.000 Personen fassende Auditorium restauriert, den Besucher erwarten kulturelle Veranstaltungen, eine Galerie für zeitgenössische Kunst, ein Restaurant, ein Café sowie ein Shop und nicht zu vergessen eine große Sonnenterrasse. Architektonisch noch immer besonders aufregend ist das große, spiralförmig angelegte Treppenhaus mit seiner Rundumverglasung, das den Blick auf Landschaft und Stadt freigibt und durch die über sämtliche Etagen führende Hängelampe besticht.
Ein Platz am Meer
Schon zur Entstehungszeit des Pavillons erinnerte das Interieur an das maritime Innenleben eines Schiffes: elfenbeinfarben gestrichene Wände, mit Cork oder cremefarbigen Terrazzo belegte Fußböden, Bauhaus-Lampen, Bugholz-Stühle und Buchenholz-Tische luden zum Verweilen ein. Apropos Stühle: Wie gesagt, ein Großteil der originalen Möblierung ging verloren, aber bei der Umgestaltung fehlte es nicht an Kreativität und so kam die Idee auf, das englische Designduo BarberOsgerby mit dem Design eines Stuhls zu betrauen. Herausgekommen ist der „De La Warr Pavilion Chair“, der auf der Londoner „Design Week“ 2005 erstmals vorgestellt wurde. Er fügt sich ganz wunderbar in das Ambiente des Pavillons und seine rote Lackierung gibt einen erfrischenden Farbklecks im sonst so strahlenden Weiß ab.
Da nimmt man gern Platz und hält sein Gesicht in die Sonne – auf dem Sonnendeck im ersten Stock. Mit Schrecken denkt man vielleicht noch kurz daran, dass der Pavillon einmal abgerissen werden sollte, doch dann erweist sich dieser Alptraum jedes Architektur-Afficionados als Schreckgespenst und er wird friedlich eingelullt vom Meeresrauschen.
FOTOGRAFIE © cambridge2000.com
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