Wohnfarm aus Wellblech
Australische Landresidenz von MRTN Architects
Östlich von Melbourne haben MRTN Architects ein budgetsensibles Wohnhaus für ein Farmerpaar geplant, das den Spagat zwischen einem funktionalen Arbeitsort und einem gemütlichen Zuhause schafft. Indem es die Bewohner*innen und ihre Gäste gezielt visuell von der Betriebsamkeit des Hofs abgrenzt und mit der australischen Natur verbindet, entsteht ein idyllisches Rückzugsrefugium.
Städter*innen haben oft ein romantisches Bild vom Landleben, stellen sich historische Bauernhöfe vor, idyllische Weiden und trippelnde Hühner. Dabei ist eine Farm ein funktionaler und effizienter Betrieb, mit hohem Arbeitspensum, viel Staub, Schmutz und schweren Maschinen. Seit sieben Jahren bewirtschaftet ein Paar einen Hof östlich von Melbourne im Bundesstaat Victoria, in der abgelegenen und fruchtbaren Region Shady Creek, die für ihre besonders guten landwirtschaftlichen Erzeugnisse bekannt ist. Während der ersten Jahre nutzten die frischgebackenen Landwirt*innen das Bestandswohnhaus aus den Fünfzigerjahren und bemerkten dabei einige Mankos. Sie konnten es schlecht beheizen und kühlen, hatten keinen guten Anschluss an den Garten und residierten mit Blick auf Funktionsgebäude wie Ställe und Schuppen. Deshalb beschlossen sie, ein neues Wohnhaus zu errichten, das einen Feierabend mit unmittelbarem Naturanschluss und schönerer Aussicht auf Gebirge und Felder möglich macht.
Echo aufs Ensemble
MRTN Architects, ansässig in Melbourne und Sydney, wurden mit der Planung beauftragt. Sie erhielten die Vorgabe, das neue Haus mit Respekt vor der Geschichte des Orts und den vorangegangenen Generationen von Farmer*innen zu errichten. Die Baufläche blieb identisch, aber der neue Bau gliedert sich harmonisch und zurückhaltend in das Ensemble ein. Da die Bauherr*innen als Schäfer*innen arbeiten und Hütehunde ausbilden, bewohnen auch vier ausgewachsene Deutsche Schäferhunde die Räume. Der Grundriss durfte sich daher nur auf einer Ebene erstrecken und die verwendeten Materialien mussten robust und strapazierfähig sein. Mit diesen Vorgaben und Anforderungen war die Wahl schnell getroffen. Da alle anderen Gebäude auf dem Hof aus Wellblech bestehen, wurde kurzerhand auch das Wohngebäude mit hellgrauem Wellblech verkleidet.
Strahlenförmiger Grundriss
Formal spiegelt der Neubau das Bestandsensemble wider. Wie geometrisch geformte Bauklötzchen liegen die Lager, Schuppen und Ställe lose auf dem Gelände verteilt. Sie haben unterschiedliche Ausrichtungen, Volumen und Dachneigungen. Das Wohnhaus greift diese Zufälligkeit als Gestaltungsprinzip auf und setzt sie fort. Wie ein Gebäudearchipel gruppieren sich unterschiedliche Volumen zu einem Verbund, der einen zentralen Gartenhof umschließt. Dabei wird die Wohnfläche in vier gleichberechtigte Bereiche unterteilt, die durch Flurelemente miteinander verbunden sind. Für MRTN Architects unterscheidet sich die Planung von Stadt- und Landhäusern in Australien. „Auf dem Land müssen wir mit limitiertem Budget größere Häuser realisieren und deshalb klug entscheiden, wo wir bei der Planung Schwerpunkte setzen“, erläutern die Architekt*innen.
Wohnen mit Schafen und Schäferhunden
Das Wohnhaus namens Shady Creek verfügt über einen Hundewaschraum, einen „Mud Room“ – die Schmutzschleuse neben dem Eingang – und zwei Gästezimmer, die so abgeschieden liegen, dass Besucher*innen problemlos länger bleiben können, ohne den Alltag der Farmer*innen zu stören. Das größte Bauvolumen beherbergt Wohnraum und Küche. Wie Satelliten mit Verbindungszonen schließen sich daran drei weitere Baukörper an: Zum einen der Eingang und die Garage, zum anderen das Hauptschlafzimmer mit separatem Ankleideraum und schließlich der Gästetrakt, der zwei Schlafzimmer mit Bad und eigenen Eingängen umfasst. Die Zonierung ermöglicht den Bewohner*innen, einzelne Bereiche des Hauses temporär abzuschließen. So können nur die Flächen beheizt werden, die tatsächlich genutzt werden, was vor allem im australischen Winter, der durchaus nass und kühl ausfallen kann, von Vorteil ist.
Direkter Naturanschluss
Eine organisatorische Besonderheit des Hauses ist die weite Öffnung der L-förmigen Wohnzone zum Garten. Die raumhohen und orthogonal zueinander stehenden Schiebetüren sind durch eine mittige Waschbetonsäule voneinander getrennt, in der der Fensterrahmen vollständig verschwindet. Bei aufgeschobenen Türen wird der Garten zu einem integrierten Teil des Wohnraums. Die polierten Betonböden gehen nahtlos in den Gitterbelag der Veranda über und das gemütliche, modern-ländliche Interieur findet ein Echo in dem mit großen Findlingen, rustikalen Steinwegen und üppigen Pflanzbeeten gestalteten Garten. „Ein Bauernhaus ist nicht nur ein Zuhause, sondern auch ein Arbeitsort“, resümieren MRTN Architects. „Es ist wichtig, den privaten Rückzugsort vom Arbeitsalltag klar abzugrenzen. Uns ist es eine Freude zu sehen, wie unser Haus den Besitzern ermöglicht, ihr Zuhause zu genießen und gleichzeitig nah genug an den Aufgaben des Hofs zu sein.“
FOTOGRAFIE Dave Kulesza Dave Kulesza