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Als der Prince of Wales baden ging

von Claudia Simone Hoff, 19.08.2008


Gleißend Weiß oder kaiserlich Gelb reihen sie sich aneinander. Wild kombiniert werden die Architekturelemente: Ein wenig Palladio oder Barock, gemischt mit einem florentinischen Palazzo, englischen Landsitz oder einer Prise Jugendstil. Gemeint sind die Villen und Häuser an der deutschen Ostsee, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert entstanden. Gerade in Deutschland, wo insbesondere an der Nordsee eine schauerlich betonierte Nachkriegsarchitektur überwiegt, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus, so schön erscheinen diese architektonischen Perlen. Egal ob auf Rügen, Usedom oder in Heiligendamm – die Bäderarchitektur der Jahrhundertwende sucht ihresgleichen.

Wo Könige und Prinzen den Kopf ins Wasser steckten

Auch wenn man bereits in der Antike das Meerwasser in Form von erfrischenden Güssen oder als Getränk als gesundheitsfördernde Therapie erkannt hatte, dauerte es bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, dass im Zuge eines medizinischen Diskurses die bis dahin vorherrschende panische Angst vor dem Meer langsam aufzuweichen begann. England spielte dabei eine Vorreiterrolle. Im 18. Jahrhundert wurde dort Unmengen von Literatur veröffentlicht, die die Vorzüge von Aufenthalten am Meer priesen. So glaubte man an die Heilung von Lungenkrankheiten und Husten und sogar an die Linderung von Melancholie und manischen Zuständen. An der Südküste Englands entstanden Seebäder wie Weymouth, Harwich oder Brighton.

Da Ende des 18. Jahrhunderts kaum jemand schwimmen konnte und es als unschicklich galt, sich anderen Menschen badend zu zeigen, leistete der Badekarren Abhilfe, der von einem Pferd mit Fuhrmann ins Meer gezogen wurde. Von diesem konnten die Badenden, verdeckt durch ein Zelt, an einem Seil ins Wasser gelassen werden. In Weymouth weilte König Georg III. und tauchte sein Haupt unter Wasser, in der Hoffnung auf Rekonvaleszenz. Auch Brighton – heute sicherlich das berühmteste englische Seebad – erhielt königlichen Besuch: Der Prince of Wales frönte wilden Spiel-, Ess- und Trinkgelagen im 1782 erbauten Royal Pavilion, der im orientalischen Stil gestaltet war und wie ein Märchen aus 1001 Nacht daher kam. Nach und nach entstanden, begünstigt durch einen Eisenbahnanschluss an die Metropole London, an der englischen Küste elegante Sommerfrische-Architekturen. Davon legen heute vor allem noch Seebrücken und Villen Zeugnis ab.

Weiß wie Schnee

Auch in Deutschland begann Ende des 18. Jahrhunderts eine lebhafte Diskussion um die Errichtung von Seebädern an der Nordseeküste. Der Philosoph und Physik-Professor Georg Christoph Lichtenberg propagierte die Wirkung des Meeres, die er auf seinen England-Reisen kennengelernt hatte: „Der Anblick der Meereswogen, ihr Leuchten und das Rollen ihres Donners, der sich auch in den Sommermonaten zuweilen hören lässt, gegen welchen der hochgepriesene Rheinfall wohl bloßer Waschbeckentumult ist ... alles dieses, sage ich, wirkt auf den gefühlvollen Menschen mit einer Macht, mit der sich nichts in der Natur vergleichen lässt …“

Die erste deutsche Seebadeanstalt entstand in Bad Doberan, der Sommerresidenz von Herzog Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin. Da Bad Doberan landeinwärts und damit nicht direkt am Meer gelegen war, entschied man direkt am „Heiligen Damm“ ein repräsentatives Badehaus mit Pavillons zu bauen. Als Architekt wurde Johann Christoph Heinrich von Seydewitz gewonnen. Zwischen 1793 und 1870 schufen neben von Seydwitz auch die Baumeister Carl Theodor Severin und Gustav Adolph Demmler ein einzigartiges klassizistisches Gesamtkunstwerk aus Bade- und Logierhäusern.1799 beispielsweise erfolgte der Bau von Badehäusern und hölzernen Umkleidekabinen direkt am Ufer der Ostsee. Um die illustren Besucher zu unterhalten wurden Pferderennen, Schützenfeste und Ballonflüge veranstaltet. Schließlich weilte sogar die russische Zarenfamilie hier. Im 1796 vollendeten Badehaus kann man auch heute noch das Flair von Adel, Sommerfrische, Meer und Bäderarchitektur nachempfinden: Wer die Kosten nicht scheut, kann es sich im Kempinski Grand Hotel gut gehen lassen. Das Gebäudeensemble aus Kur- und Badehaus, Burg Hohenzollern, ehemaligem Telegrafenamt und Grand Hotel besticht durch seine gleißend weiße, klassizistische Architektur und die Lage am Meer. Und heute ist es wie damals: Wer etwas auf sich hält, muss Bad Doberan mindestens einmal besucht haben. Da gerät der berühmte Zaun, der während des G8-Gipfels 2007 um das Gelände gezogen wurde, schnell in Vergessenheit.

Nizza des Nordens

Bankiers, Unternehmer und Kunstsammler, kurz die höhere Gesellschaft, residierte in hochherrschaftlichen Villen in weitläufigen Parks mit Meerblick. Insbesondere für die Berliner Hautevolee gehörte es zum guten Ton, die Sommerfrische in der eigenen Villa am Meer zu verbringen. Berühmt geworden ist die 1883 im Stil des Spätklassizismus erbaute Villa Oechsler in Heringsdorf auf Usedom, die kunsthistorisch eine besondere Bedeutung genießt. Denn den Giebel schmückt das Mosaik „Badende Grazien“ in Emailletechnik des Venezianers Antonio Salviati. Auch wenn das reiche Bürgertum sich nicht den Prunk des Adels leisten konnte, baute man dennoch aufwändig in kleinerem Maßstab. So entstand in den drei Kaiserbädern Heringsdorf, Ahlbeck und Bansin ein geschlossenes Ensemble von Bäderarchitektur. 1863 schrieb der reisende Theodor Fontane ganz entzückt an seine Frau: „… man hat Ruhe und frische Luft und diese beiden Dinge wirken wie Wunder und erfüllen Nerven, Blut, Lungen mit einer stillen Wonne …“

Wie Kinderspielzeug

Einen ähnlichen Architekturprunk kann man auch heute noch auf Rügen erleben, insbesondere in den Seebädern Binz und Sellin. Während Binz über ein geschlossenes Stadtbild aus „weißen Perlen“, d. h. Villen und Häuser aus der Zeit der Bäderarchitektur, verfügt, trumpft Sellin seit 1998 mit der 394 Meter langen, rekonstruierten Seebrücke auf. Von Weitem gesehen, wenn man sich von der Steilküste her nähert, liegt sie unten im Meer und wirkt fast wie ein Kinderspielzeug. Ziemlich beeindruckend, auch wenn das Jugendstilflair des Brückenhauses nicht rekonstruierbar ist. Schön ist es trotzdem in einem der zwei Restaurants zu essen, den weißen Sandstrand zu betrachten oder nach oben zu schauen. Dort befindet sich am 70 Meter hoch gelegenen Steilufer die Hauptstraße von Sellin, die an beiden Seiten von Häusern flankiert wird, eines schöner als das andere. Hier fühlt man sich an die Elbchaussee in Hamburg erinnert, ähnlich prunkvoll geht es zu. Verspielte Jugendstil-Elemente, Holzschnitzwerk, Erker, Türme und Holz- oder Metall-Balkone und Veranden allenthalben. Und wie muss es erst früher gewesen sein, als die Damen zweimal am Tag ihre Garderobe wechselten und die Promenade entlang flanierten? Wer kurz die Augen schließt, kann es erahnen.


Hinweis: In Binz auf der Insel Rügen ist im September der „Monat der Bäderarchitektur" mit Ausstellungen, Führungen und Veranstaltungen zum Thema.

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Links

Insel Rügen

www.ruegen.de

Insel Usedom

www.usedom.de

Bad Doberan & Heiligendamm

www.heiligendamm.de

Kempinski Grand Hotel

Bad Doberan - Heiligendamm

www.kempinski-heiligendamm.com

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