Stories

Designshow auf vier Rädern

Mit prominenten Designentwürfen ausgestattet: ein Wohnmobil auf sechsmonatiger Europatournee.

von Norman Kietzmann , 08.07.2014

Ein designaffines Wohnmobil tourt derzeit durch Europa und macht Schluss mit den üblichen Standards spießiger Camping-Kisten. Das rollende Zuhause ist bis unter das Dach mit prominenten Designentwürfen bestückt, die entgegen aller Erwartungen auch auf kleinstem Raum brillieren.

Die Sehnsucht nach der Natur ist am Wohnen zwar nicht spurlos vorübergegangen. Doch trotz aller Ausflüge in raffinierte Baumhäuser, schwebende Nester oder abseits gelegene Überlebenshütten schien die mobilste aller Behausungen bislang ein rotes Tuch zu bleiben: der Wohnwagen. Ein Vorstoß zur Rehabilitierung des rollenden Heims kommt entgegen aller Klischees nicht aus Holland, sondern ausgerechnet aus dem wohl häuslichsten aller europäischen Länder: Italien. 

Homette
Die Idee zur Neuerfindung des Campingswagens hatte die Journalistin Arianna Malagoli. Als sie den italienischen Designverband ADI (der auch den Designpreis Compasso d‘Oro vergibt) als Partner gewann, setze dieser alle Hebel in Bewegung. Dem Gestalterduo Ludovica und Roberto Palomba wurde die kreative Leitung übertragen, während rund 20 Designhersteller aktuelle Entwürfe bis hin zu Klassikern beisteuerten. Unter dem Namen Homette startete das designaffine Wohnmobil in Mailand seine Europatournee und erreichte am Wochenende München. Nach einem kurzen Zwischenstopp gestern am Bergwitzsee in Sachsen-Anhalt, wird der Wagen heute Mittag in Berlin erwartet.

Räumliche Reduktion
Was diese Roadtour aus gestalterischer Perspektive interessant macht, ist weniger das Exterieur des Vintage-Wohnmobils als dessen komplett umgestaltetes Interieur. Anstatt in großformatigen Lofts zu residieren, treffen die Produkte auf demonstrativ alltagstauglichem Level zusammen. Exakt 14 Quadratmeter misst das Innere des Wohnwagens, das keineswegs in eine überdesignte Koje transformiert wurde. Im Gegenteil: Ein wenig erinnert das Fahrzeug an einen entkernten Betonbau aus den siebziger Jahren, der mit rau belassenen Wänden und industriellen Objekten einer neuen Bestimmung zugeführt wurde. 

Kompakt, belastbar, flexibel
Ein einfaches Klappbett sowie ein aus transparentem Harz und venezianischen Hölzern gefertigter Klapptisch (Entwurf und Umsetzung: Designstudio Alcarol Lab) gehören zu den wenigen Maßanfertigungen des Projektes, ansonsten kommen ausschließlich Serien-Produkte zum Einsatz. Die Auswahlkriterien waren so einfach wie eng: Kompakt, belastbar und flexibel müssen die Objekte sein, um den sechsmonatigen Praxistest auf Europas Straßen bestehen zu können und den Alltag nicht in eine Strapaze zu verwandeln. 

Von Castiglioni bis Palomba
Als leicht bewegliches Sitzobjekt dient der Hockerklassiker Sella von Achille und Pier Giacomo Castiglioni (Zanotta, 1957), dessen Sitzfläche in Form eines Fahrradsattels auch auf minimalem Raum zu wenden vermag. Flexibel zeigt sich das Sitzsystem Trix von Piero Lissoni (Kartell, 2005), dessen drei unterschiedlich große Polster durch Kunststoffriemen verbunden sind und in wenigen Handgriffen vom Sofa in eine Chaiselongue oder in ein Bett verwandelt werden können. Als Tischleuchte dient eine Mininaturversion von Gae Aulentis Pipistrello-Leuchte (Martinelli Luce, 1955), während im Badezimmer das puristische Waschbecken Lab_03 von Ludovica und Roberto Palomba (Zucchetti/Kos, 2010) verwendet wurde.
Von Smeg bis Bialetti
Den größten Teil des mobilen Zuhauses nimmt die Küche ein. Das offene Edelstahl-Modell Slim stammt von Elmar Cucine (Design: Ludovica und Roberto Palomba) und wird von einem runden Kühlschrank im Retrogewand von Smeg ergänzt. Die gasbetriebenen Edelstahl-Kochplatten Ribaltabili wurden von Alpes Inox beigesteuert, während bei den Tellern die Hybrid-Serie von Seletti gewählt wurde – ein Zusammenschluss von halb chinesischen und halb europäischen Porzellantellern mit stark ornamentalen Motiven. Dass die Espresso-Maschine von Bialetti stammt, versteht sich fast von selbst. 

Trans-Europa-Express
Sechs Monate dauert die design on board Tour, die von Berlin weiter nach Hamburg, Kopenhagen, Amsterdam, Paris, London, Bilbao, Lissabon, Madrid bis nach Barcelona führen wird. Ein Abweichen von den bekannten Pfaden und das Erkunden weiterer Ziele ist nicht nur erlaubt, sondern explizit Teil des Programms. „Das Ganze ist natürlich ein spannendes Experiment, für einen so langen Zeitraum auf so kleinem Raum zu wohnen“, sagt Arienna Malagoli, die selbst die gesamte Reise begleiten wird.

Immer unterwegs
Das Ziel des Projektes ist mehr als nur ein rollender Showroom für die an Bord gezeigten Produkte. An den einzelnen Stationen sind Treffen mit lokalen Designbüros geplant, mit denen über die Alltagstauglichkeit des Designs diskutiert werden soll. Parallel wird das nomadische Redaktionsbüro von seinen Erlebnissen und Erfahrungen auf der eigenen Homepage berichten. Wer Interesse am designaffinen Wohnmobil gefunden hat, sollte den derzeitigen Standort auf dem täglich aktualisierten Blog möglichst zeitnah in Erfahrung bringen. Schließlich liegt der Reiz des rollenden Zuhauses genau darin, dass es morgen schon wieder ganz woanders ist. 

Weitere Infos zum Projekt und den aktuellen Standort finden Sie unter:
www.designonboard.it

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