Stories

Die Doppelseite als These

Mit radikaler Gestaltung hat Willy Fleckhaus dem Editorial Design in Deutschland den Weg bereitet.

von Jörg Zimmermann, 12.09.2016

Schon die Cover waren für das junge Nachkriegsdeutschland eine Provokation. Der Titel in weißen serifenlosen Minuskeln über die gesamte Seitenbreite gezogen. Schwarzer Fond, darauf Personen, Gesichter, Körper, scharf angeschnitten oder freigestellt. Dazu noch eine knackige Headline, unmissverständlich zweideutig, polarisierend. Das war „twen“.

Gestaltet von Willy Fleckhaus, dessen Todestag sich heute jährt.  Ein Magazin, das optisch und thematisch an Grenzen rüttelte, das Zeitgeist-Magazin war, bevor der Begriff überhaupt erdacht war. Ein gestalteter Angriff auf traditionelle redaktionelle Darstellungsformen. Und auf eine verkrustete gesellschaftliche Diskussion. Radikal im Design, opulent in Bildern, provokante Themen. Willy Fleckhaus jonglierte nicht nur bei „twen“ meisterhaft mit den zu gestaltenden Elementen. Durch seine Arbeiten für Magazine und Verlage hat er das Editorial Design in Deutschland insgesamt hoffähig gemacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg als Autodidakt gestartet, wurde er spätestens seit seinem Tod in 1983 von vielen als „erster Art Direktor Deutschlands“ verehrt.

Harper’s Bazar  mit Vorbildwirkung
Dabei erfand Fleckhaus die Magazingestaltung nicht grundsätzlich neu. Viele der von ihm verwendeten Stilmittel waren bekannt, vor allem in international publizierten Magazinen wie beispielsweise der amerikanischen Modezeitschrift Harper’s Bazar finden sich Parallelen. Dessen Art Direktor Alexey Brodovitch benennt Willy Fleckhaus denn auch als wichtigen Orientierungspunkt. Es war Brodovitchs Umgang mit Fotografie, der den 1925 in Velbert geborenen Fleckhaus begeisterte. Beispielhaft zelebriert im großformatigen Bildband „Observations“, den Bordovitch für die Fotografenlegende Richard Avedon gestaltete. Bei Brodovitchs Arbeiten kamen mehrere Komponenten zusammen: das neuartige Zusammenspiel von Text und Bild, der großzügige Gebrauch von Weißraum und nicht zuletzt der kompromisslose Umgang mit Fotografie.

Vom Schreiben zum Gestalten

Durch die Kölner photokina und die dabei von L. Fritz Gruber initiierten Bilderschauen kam auch Willy Fleckhaus in Kontakt mit zeitgenössischer Fotografie und Fotografen wie Horst H. Baumann, Roger Fritz, Ali Weisweiler, Thomas Hoepker, Horst Munzig, Michael Friedel, Wolfgang Roth und Christa Peters. Nach und nach flossen deren Werke in Fleckhaus gestalterische Arbeit ein, der erste berufliche Schritte als schreibender Journalist vorausgingen. Ende der 1940er Jahre schrieb Fleckhaus für die in Freiburg im Breisgau herausgegebene katholische Jugendzeitschrift „Der Fährman“ leidenschaftlich gegen Krieg und für die Auseinandersetzung mit der modernen Kunst. 1950 dann der Wechsel nach Köln zur Gewerkschaftszeitschrift „Aufwärts“, deren Gestaltung er 1952 übernahm. Größeres Format, strenges Raster, opulenter Umgang mit Bilder – Willy Fleckhaus baute das Magazin gestalterisch um und verschob fast nebenbei den inhaltlichen Schwerpunkt von der Arbeitswelt in Richtung Kultur. Auf Initiative der Herausgeber Adolf Theobald und Stephan Wolf entwickelte Willy Fleckhaus Ende 1958 einen Relaunch für die überregionale Studentenzeitschrift „Student im Bild“, die mit Texten von Hans-Magnus Enzensberger und Fotografien von Marc Riboud gegen das Image eines „Werbemagazins“ ankämpfte. Das in Köln erschienene Heft kann als Nukleus für das Kultmagazin „twen“ gelten, denn viele Designelemente wurde hier von Fleckhaus bereits angewendet: viel Weißraum, großflächige seitenfüllende Fotografie, Headlines wie Grafiken arrangiert und klar abgesetzte Texte in serifenloser Schrift.

Ein Magazin in der Kontroverse
Und in der Tat war „twen“ zunächst als Ableger des Studentenmagazins für die nicht studierende Jugend gedacht. Doch Chefredakteur Adolf Theobald, 1962 dann auch Gründungschefredakteur des Wirtschaftsmagazins „Capital“, und Willy Fleckhaus, im „twen“-Impressum als verantwortlich für „Bildredaktion und Gestaltung“ ausgewiesen, machten das Magazin zum publizistischen Streitobjekt der 1960er Jahre. Im Erscheinungszeitraum von 1959 bis 1971 bewegte sich das Heft mit lasziver Themenwahl und stilsicherem Editorial Design zwischen begeistertem Lob und Auszeichnungen für die Gestaltung und dem Kampf gegen die Einordnung auf dem Index für jugendgefährdende Schriften. Willy Fleckhaus präsentierte in bis dahin ungesehener Weise, was die Fotografen ihm lieferten – allen voran Will McBride, der mit seinem neuartigen Reportagestil das Lebensgefühl der jungen Generation beispiellos dokumentierte. Bei Fleckhaus wurde jede Doppelseite zu einer gestalteten These, jede Bilderstrecke zu einer visuellen Argumentation. Bei „twen“ verband Fleckhaus vollständig seine Liebe zur Fotografie und deren großzügiger Präsentation sowie die Bewunderung für die Nüchternheit der Schweizer Grafik. Die Orientierung an der strengen Rastersystematik der Schweizer Schule machte zu Beginn der 1980er Jahre auch die Qualität von Fleckhaus Arbeit für das Magazin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus.

Layout von Büchern
Neben der Arbeit im Magazinbereich war Fleckhaus ebenso erfolgreich als Buchgestalter tätig. Bereits ab 1959 arbeitete er für den Frankfurter Suhrkamp Verlag am Relaunch der „Bibliothek Suhrkamp“, deren Erscheinungsbild er mit der einfachen Idee eines weißen Umschlags, versehen mit einem farbigen Band, zu einer weithin erkennbaren Ikone machte. Als gestalterische Kontraposition folgte dann ab 1963 die „edition suhrkamp“, deren wechselnde farbige Cover sich in der Reihe zu einem Regenbogen addieren. Acht simple Linien in der unteren Hälfte des Formats definieren ausreichend Platz für jeden noch so langen Titel. Auch die Bücher der Reihe „Suhrkamp Taschenbuch“ sind dank ihres strengen und präzisen Layouts mit mehrzeiligem Titel und mittig gesetztem Bild unverkennbar.

Versuche, das Magazin „twen“ zu Beginn der 1980er Jahre zu neuem Leben zu erwecken, scheiterten. Zu sehr war die Zeitschrift ein Produkt ihrer Zeit. Mit seinen Arbeiten in der Buchgestaltung ist das Wirken von Willy Fleckhaus allerdings bis heute in vielen Regalen und Bücherschränken präsent.

Im Museum für Angewandte Kunst Köln (MAKK) gibt die Ausstellung „Willy Fleckhaus – Design, Revolte, Regenbogen“ einen Einblick in die verschiedene Schaffensperioden. Die Ausstellung läuft bis zum 11. Dezember 2016.

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Links

Museum für Angewandte Kunst Köln

Willy Fleckhaus-Ausstellung

www.museenkoeln.de

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