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Euroluce 2015: Dekorieren kann jeder

Die internationale Mailänder Lichtmesse steckte irgendwo zwischen Vergangenheit und Zukunft fest.

von Markus Hieke, 27.04.2015

Wenn die Unesco schon das Internationale Jahr des Lichts und der Lichttechnologien ausruft, möchte man gern Unmengen ausgeklügelter Neuheiten am Leuchtenmarkt erwarten. Tatsächlich aber blieb bei der 28. Ausgabe der internationalen Beleuchtungsmesse Euroluce in Mailand das Licht so künstlich wie künstliches Licht eben ist: unaufgeregt, dekorativ, selten innovativ. Ja, irgendwo auf der Schwelle zu einer neuen Leuchten-Ära. Hier ein wehmütiger Blick in die Vergangenheit und doch: da ein Funken Hoffnung. Ein Blick auf das Messegelände in Rho und in die Showrooms im Stadtzentrum.

Man konnte sich schon über vergleichsweise wenig Trubel freuen, als man die überwiegend düsteren Gänge der Euroluce 2015 erwanderte – aber auch wundern. Kein Interesse an Licht? Nur an wenigen Ständen, so wie bei Flos oder Foscarini, war der Andrang so groß, dass kaum ein Durchkommen war. Mit 475 Ausstellern, verteilt auf vier Hallen und ausgebreitet auf 38.000 Quadratmetern Fläche, spielte die zweijährlich stattfindende Beleuchtungsmesse 2015 in derselben Größenordnung wie ihre vorherige Ausgabe. Und auch ihr Fokus liegt wieder auf den gleichen drei Buchstaben: L-E-D.

Ein Taco voll Licht
In den Licht emittierenden Platinen liegt die Zukunft – das hat der Großteil der Hersteller verstanden. Nur gibt es drei grundlegend verschiedene Ansätze, diese Erkenntnis praktisch umzusetzen. Während die einen konsequent an der Entwicklung neuer Lösungen arbeiten, zeigt sich in der zweiten Reihe zögerliches und nur unmerkliches Innovationspotenzial. Die überwiegende Zahl der Herstellern sind eher beiläufig damit beschäftigt, ihr Angebot auf neue Technologien auszurichten. Im Hause FontanaArte beispielsweise wurde fast das komplette Programm auf LED umgestellt: Neue Modelle wie die Arbeitsleuchte Tail von Carlo Colombo bedienen sich der integrierten Leuchtmodule. Ebenso wie der Wandstrahler IO vom Designtrio Claesson Koivisto Rune. Sein Schirm erinnert an einen mit Licht gefüllten Taco, wurde namentlich jedoch vom Jupitermond Io abgeleitet, den Galileo Galilei im Jahre 1610 entdeckte. Da die Blende auf einer Halterung mit Doppeldrehachse gelagert ist, lässt sich der Kegel hervorragend horizontal und vertikal ausrichten, ohne sich dabei auch nur einen Zentimeter weit von der Wand zu entfernen.

Sowohl die Lichtfarbe als auch der Farbwiedergabeindex – beides für den Komfort wichtige Eigenschaften – können sich bei FontanaArte durchaus sehen lassen. Die Vorbehalte – zu kühles und zu schwaches Licht – wurden entkräftet. Eine Frage aber bleibt: Was, wenn die Dioden aufhören zu leuchten? „Dann müssen Sie die Leuchten zur Reparatur zu uns schicken, das dauert höchstens zwei Wochen“, heißt es am Stand. Ist das die Zukunft? Die ganze Leuchte einschicken, sobald einmal ein Defekt auftritt oder die Lebensdauer eines Moduls schlicht abgelaufen ist? Praktisch ist das nicht.

Morrisons Mond
Unterdessen tummelten sich etliche Besucher am Stand von Flos, für dessen Gestaltung im Stil einer Kunstgalerie Ron Gilad beauftragt worden war. Etwas peinlich: eine Videoprojektion, in der in kurzen Sequenzen nackte Frauen mit verschiedenen Outfits bekleidet werden und damit eine Verbindung zur Wandelbarkeit von Philippe Starcks anspruchsloser Leuchte Ether herstellen sollen. Angenehm aufgefallen ist die von Jasper Morrison entworfene Stehleuchte Superloon. Wieder ein Mond: Eine transluzente, runde Scheibe lagert hier schwenkbar auf einem Stativ. Beim Aufdimmen des umlaufenden LED-Streifens erstrahlt die Fläche in gleichmäßigem, warmweißem Licht.

Schöner Effekt
Eine ganz ähnliche Idee hatte auch Ernesto Gismondi, Gründer und Vorsitzender von Artemide, bei seiner Pendelleuchte Discovery. Eigentlich transparent, lässt eine feine Perforation eine Glasplatte im eingeschalteten Zustand als homogenen Lichtkreis erscheinen. Da ansonsten aber selbst David Chipperfield mit seinem Entwurfen keinen nennenswerten Beitrag zur Kollektion beisteuern konnte, half immerhin eine nette Showroom-Installation im Stadtzentrum, über die Innovationsarmut des Mailänder Leuchtenherstellers hinwegzusehen: Der Pariser Architekt Philippe Rahm hat dazu die Spektren sichtbaren Lichts unterschiedlicher Lebewesen, von Hamster über Vögel bis zu Menschen, analysiert. In mehreren von der Decke herabhängenden Ringen wurden Leuchtstäbe verschiedener Farben angeordnet, die die unterschiedlichen, wahrnehmbaren Farbspektren des Lichts darstellen. Ein schöner Effekt, bei dem man nebenbei auch noch etwas lernen kann.

Drachen und Dioden
Ganz den LEDs verschrieben hat sich das italienische Leuchtenhaus Davide Groppi. Hier setzt man darauf, die kompakte Baugröße und den niedrigen Energiebedarf zu betonen, den die Dioden ermöglichen. Da landet gern schon mal der abstrakte Dragon, gestaltet von Omar Carraglia und Davide Groppi, auf dem Sideboard und strahlt, von Batterien betrieben, das Wandbild aus Froschperspektive an. Bei der Pendelleuchte Cathode verschwindet das Leuchtmittel in einem schlanken Zylinder und streut sein Licht erst, sobald es auf die matte Oberfläche des Diffusors trifft, dessen Form von der guten alten Fernsehröhre inspiriert sein soll.

Wehmut über den Glühfaden
Überhaupt könnte „die gute Alte“ das Stichwort dieses Lichtjahres sein – in Gedenken an die gute alte Glühbirne. Denn auch wenn uns – wie jüngst bekannt wurde – ein Verbot der meisten Halogenlampen per EU-Verordnung um zwei Jahre länger (1. September 2018) erspart bleibt: Wir vermissen sie schon, und das will betont werden. Bei Selettis Monkey Lamp halten deshalb kleine Äffchen das Objekt der Begierde wie wertvolle Früchte in die Höhe. Ingo Maurer lässt mit Lucellino LED Edisons Schöpfung wie einen Engel empor fliegen. Das ursprüngliche Design stammt zwar bereits von 1992, erlangt aber vielleicht heute erst seine volle Bedeutung. Immerhin wurde für die aktuelle Version von Toshiba Materials ein Leuchtkörper entwickelt, dessen „Glühen“ tatsächlich in der Mitte der Birne liegt und nicht wie meist im Sockel. Darüber hinaus verändert die Lampe beim Herunterdimmen durch Berühren der Fußplatte ihre Lichtfarbe und färbt sich dabei leicht rötlich.

Hochmut über den Chip
In einem weiteren Entwurf führt Maurer die Aufregung um die Dioden-Technologie und ihre Spielereien ad absurdum: Bei Dew Drops werden mit Leuchtpunkten versehene Folien wie Segel zwischen zwei Antennen gehängt. Die Steuerung erfolgt direkt auf der Oberfläche der Folie, und trotz aller Antiästhetik liefert diese hervorragende Lichtverhältnisse. Da rückt auch gleich die nächste Leuchtmittel-Generation nach: Mit Oh LED One beschreitet der Münchner Designer das Feld der organischen LEDs (OLED), die zugegebenermaßen noch nicht die gewünschte Qualität bringen. Dank ihres flächigen Scheines und ihrer extrem dünnen und flexiblen Beschaffenheit haben sie aber das Potenzial, zu komplett neu gedachten Leuchtenformen zu führen. Was in diesem Fall noch eher wie eine Versuchsanordnung wirkt, tröstet darüber hinweg, dass außer ihm und dem Leuchtmittelhersteller LG selbst sonst kein einziger Aussteller an OLED gedacht zu haben scheint.

Handeln statt Jammern
Den wohl gelungensten Versuch, den Begriff Glühbirne neu zu denken, lieferte der Londoner Highend-Hersteller Buster+Punch mit seiner Buster Bulb. Denn: Nein, die Verbraucher werden auch in drei Jahren nicht sämtliche Leuchten ersetzen und hätten dennoch gern anspruchsvolle Alternativen. Die äußere Form unterscheidet sich im Wesentlichen nicht von ihren Ahnen. Im Innern allerdings glüht statt des Drahtes ein Kolben aus gerilltem Kunstharz, dessen Lichtquell ein im Sockel verstautes LED-Modul ist. Drei verschiedenfarbige Beschichtungen geben der Oberfläche einen edlen Schimmer – auch in ausgeschaltetem Zustand. Kompatibel ist die dimmbare Birne mit allen E27-Fassungen und mit der eigens für sie geschaffenen Edelstahl-Fassung Heavy Metal.
Schwere lösen
In handwerklicher Hinsicht durchaus gelungen ist Marco Zitos Leuchte Caiigo für Foscarini, die nach dem morgendlichen Nebel in den Lagunen Venedigs benannt ist. Ein fein eingearbeiteter Verlauf lässt den unteren Rand der auf Murano mundgeblasenen Glaspendelleuchte beinahe mystisch erstrahlen, während der Leuchtenkopf leider etwas zu technoid ausgefallen ist. Schwebend weiter geht es bei Lightyears, für die Aleksej Iskos und Boris Berlin den zeppelinförmigen (Flug)Körper Avion entworfen haben. Diffus leuchtend, gleitet er an zwei dünnen Drähten durch den Raum. Vielleicht dem Mond entgegen, zu dem in Lee Brooms „Kaufhaus“ (The Department Store) im Designquartier San Gregorio mit der Leuchte Crescent Light noch ein weiteres Mal hinaufgeschaut wird. Und von da herab auf Globe – einem Leuchtenwiderspruch in sich: Eine scheinbar massive Halbkugel aus Carrara-Marmor unter einer weiteren aus Bleikristall beginnt von innen heraus zu leuchten, weil dort ein Licht installiert ist. Ausgerechnet LED – wo doch die eher für das Leichte stehen.

Schmelzende Deko
Nicht verstehen wird man, weshalb Tom Dixon bei Melt vom schwedischen Trio Front – an der man sich dummerweise bereits zur Präsentation in einem aufwändig hergerichteten, alten Theatersaal satt gesehen hat – auf die althergebrachte Glühbirne setzt. Dabei könnte man doch anders: Daniel Rybakken sieht in LEDs das adäquate Leuchtmittel für seinen 48 Spiegelkugeln umfassenden Kronleuchter namens Stochastic für Luceplan. Auch bei Roll&Hill ist, wie bei Bounce von Karl Zahn, die Wahl des korrekten Leuchtmittels keine Frage mehr. Allein ein Irrläufer versuchte den Messebesuchern einen zukunftsfernen Außenseiter im verzweifelt trendigen Gewand anzudrehen: Bei Plumen, dem Hersteller für designte Kompaktleuchtstofflampen, gibt es Lampenschirme, die im 3-D-Druck hergestellt werden.

Die Euroluce 2015 zeigte vor allem eins: Bis das elektrische Licht das kann, was es können könnte, muss man sich noch etwas gedulden. Solange leistet es seinen Dienst als dekorativer Hellmacher – originell verpackt, verspielt und irgendwo zwischen Vergangenheit und Zukunft. Wenn denn bald auch die Chancen genutzt werden und Licht viel mehr raumgreifend gedacht wird, dann wird man noch einmal nachdenken können: über eine zweite Ausgabe – ein „echtes“ Jahr des Lichts.

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