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Evolutionäre Sichtweisen

von Katja Neumann, 05.02.2010


Hunde sind quasi Rot-Grün-blind, Vögel dagegen nehmen die Blumenwiese in einer großen Farbvielfalt mit unzähligen Zwischentönen wahr, die der Mensch gar nicht erkennen kann. Ein Falke kann eine Taube aus acht Kilometern Entfernung erspähen, und der für uns schwarz-gelbe Beo leuchtet für seine Artgenossen in den schillerndsten Farben. Das Eichhörnchen sieht ähnlich wie der Mensch; Vögel und Insekten können sogar UV-Licht sehen, und Schlangen erkennen ihre Beute per Infrarot als Wärmebild. Die Evolution hat eine Vielfalt an Geschöpfen hervorgebracht, die perfekt an ihre Umwelt angepasst sind. Die Farben, in denen wir Menschen unsere Umgebung sehen, sind nur ein kleiner Ausschnitt aus einer Welt, die auch ganz anders aussehen kann.

Grund für die unterschiedlichen Wahrnehmungen ist der Aufbau des Auges, das sich an die jeweiligen Lebensumstände angepasst hat. Dabei wird die Lichtempfindlichkeit des Auges über bestimmte Augenzellen, die Stäbchen, bestimmt. Diese sorgen für das Hell-Dunkel-Empfinden. Das Erkennen von Farben wird hingegen von den sogenannten Zapfen übernommen. Die Anzahl der Stäbchen und Zapfen im Auge bestimmen folglich die Licht- und Farbwahrnehmung bei Mensch und Tier. Fällt also weniger Licht ins Auge, zum Beispiel nachts, erkennt der Mensch nur noch Kontraste und keine Farben, da die Zapfen-Zellen im Auge weniger lichtempfindlich sind. Nachtaktive Tiere besitzen daher eine besonders hohe Anzahl an Stäbchen. So kann eine Ratte beispielweise hervorragend in der Dunkelheit sehen, aber kaum Farben wahrnehmen. Auch Hunde besitzen als Dämmerungsjäger eine hohe Anzahl an Stäbchen im Auge, können aber Rot-Töne nicht erkennen.

Werwolf oder Haustier?

Und wer jemals einen schönen Schnappschuss von seinem Hund oder seiner Katze machen wollte, musste beim Anschauen der Bilder oft enttäuscht feststellen, dass das geliebte Haustier mit seinen plötzlich rot oder gelb glühenden Augen erscheint wie ein Werwolf aus einem Horrorfilm. Grund dafür ist eine besondere Membran hinter der Netzhaut. Diese reflektiert von außen sichtbar das Licht, im Inneren des Auges sorgt sie jedoch dafür, dass das Licht die Netzhaut ein zweites Mal durchquert, wodurch es nochmals verstärkt wird und Hell-Dunkel-Kontraste besser erkennbar sind.

Tiere sehen UV-Licht

Tiere, die fast ausschließlich im Dunkeln leben wie der Maulwurf, der Regenwurm oder die Fledermaus, besitzen eine besonders hohe Zahl an Stäbchen im Auge. Während der Maulwurf tatsächlich fast blind ist, kann der Regenwurm aber Hell-Dunkel-Kontraste durchaus wahrnehmen. Und bei Fledermäusen haben Wissenschaftler vor einigen Jahren erst herausgefunden, dass diese über eine geringe Anzahl an Zapfen verfügen, was es ihnen ermöglicht, bei Tageslicht zu sehen. Sie sind sogar in der Lage, Farben zu unterscheiden. Zur Orientierung benutzen Fledermäuse bekanntlich ein Echoortungssystem. Bei Tag können sie zudem UV-Licht sehen, was ihnen die Futtersuche deutlich erleichtert: Viele Blüten reflektieren UV-Licht besonders stark.

Einen zusätzlichen Zapfen für das Erkennen von UV-Licht besitzen eine ganze Reihe von Tieren. So können viele Vögel reife von unreifen Früchten besser unterscheiden. Auch Bienen verlassen sich bei der Futtersuche auf ihr Facettenauge, das neben ultravioletten Strahlen alle Farben außer Dunkelrot erkennen kann. Ebenso sind die meisten Reptilien und viele Fische, wie unter anderem der Goldfisch, mit einem zusätzlichen Zapfen ausgestattet, der UV-Licht sichtbar macht.

UV-B-Licht im Tierreich

Eine spektakuläre Entdeckung machte im Sommer 2008 eine Forschergruppe um den Arachnologen Daiqin Li von der National University of Singapore. Bis dato wurde angenommen, dass es kein Lebewesen gibt, das die kurzwelligen und schädigenden UV-B-Strahlen mit dem Sehsinn wahrnehmen kann. UV-B-Strahlen sind kurzwellige, ultraviolette Strahlen, die DNS-Schäden verursachen und bei hoher Dosis gar die Augenlinsen trüben können. Im Rahmen einer Studie über Springspinnen, die das UV-A-Licht zur Partnerwahl nutzen, haben Li und seine Kollegen entdeckt, dass die männlichen Spinnen der Art Phintella vitatta besondere Flecken auf dem Bauch tragen, die UV-B-Licht reflektieren. 20 Tiere wurden schließlich in einen Glaskasten gesetzt, der das UV-B-Licht filterte – wo die Weibchen zuvor noch auf die Annäherungsversuche eingingen, war plötzlich jegliches Interesse verloren. Erklären können die Forscher zurzeit jedoch noch nicht, warum diese Spinnen UV-B-Licht wahrnehmen können und ob es möglicherweise noch weitere Tierarten gibt, die diese Fähigkeit besitzen.

Von Jägern und Gejagten

Doch nicht nur das Licht spielt eine Rolle bei der Wahrnehmung von Helligkeit und Farben, auch die Anordnung der Augen und der Faktor Geschwindigkeit sind entscheidend für das, was Mensch und Tier sehen. Das Facettenauge einer Fliege besteht beispielsweise aus rund 3000 Einzelaugen, was es ihr ermöglicht, bei hoher Geschwindigkeit ihre Umgebung wahrzunehmen und sich zu orientieren. Auf Schnelligkeit ausgerichtet, erscheint der Fliege eine menschliche Bewegung folglich gähnend langsam – so kann die Fliege über unsere für sie in Zeitlupe erfolgende Ausholbewegung mit der Fliegenklatsche nur müde lächeln und sich in aller Ruhe davon machen. Der Grund, weshalb wir die Fliege an der Wand doch manches Mal erwischen liegt darin, dass ihr Sehfeld relativ eingeschränkt ist. Der eigene Körper verengt den Blickwinkel, sodass Fliegen nicht erkennen können, was genau hinter ihnen geschieht.

Das Gesichtsfeld ist auch bei anderen Tierarten und beim Menschen ausschlaggebend für das, was wahrgenommen wird. So sind die Augen des Menschen wie bei anderen Raubtieren nach vorne ausgerichtet. Dadurch können Räuber gut in die Ferne sehen und sind in der Lage, ein dreidimensionales Bild aufzubauen. Bei Beutetieren befinden sich die Augen seitlich am Kopf. Mit einem Blickfeld von 300 Grad – bei Hasen sind es sogar 360 Grad – können die Tiere ihre gesamte Umgebung im Blick halten.

Farbensehen nutzen

Beutetiere wie Rehe und Hirsche haben also den natürlichen Feind im Blick, doch der Mensch vermag sich trotzdem zu tarnen – zum Beispiel mit den traditionell roten Jägerjacken, denn die Tiere können die Farbe Rot nicht sehen. Die Farbe Blau hingegen schon und das machte sich ein Jagdpächter im Kreis Kulmbach zunutze, als sich Autounfälle mit Wildbeteiligung häuften: Im Jahr 2002 klebte der Pächter über die roten Reflektoren der Leitpfosten einfach blaue Reflexstreifen. Die Wildunfälle, besonders nachts, gingen deutlich zurück. Mittlerweile nutzen auch andere Gemeinden diesen einfachen, aber durchaus wirkungsvollen Trick. Wildtiere können Blau- und Grün-Töne schließlich hervorragend erkennen. Da die Farbe Blau in der Natur aber nur selten vorkommt, wird sie als fremdartig und damit potenziell gefährlich wahrgenommen. Die spezielle halbrunde Bauweise der Reflektoren simuliert zudem im Scheinwerferlicht der Autos eine Bewegung, was die Tiere davon abhält, auf die Straße zu laufen.

So kann das Wissen über die Farbwahrnehmung bestimmter Tiere durchaus im positiven Sinn genutzt werden. Doch selbst, wenn diese Erkenntnisse uns Menschen keinen direkten Vorteil verschaffen, so ist es doch interessant zu wissen, dass die Welt, wie wir sie sehen, auch in einem ganz anderen Licht erscheinen kann.
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