Heiter bis wolkig
Drei Fotografen auf Deutschlandreise

Ausgebuchte Ferienhäuser, Staus auf allen Autobahnen: 2020 ist das Jahr des Heimaturlaubs. Ein Fotoband des Hatje Cantz-Verlages ist dadurch unerwartet gegenwärtig.
Als die Stiftung für Zukunftsfragen im Dezember 2019 die Deutschen interviewte, wohin sie im kommenden Jahr verreisen wollten, da nannten nur 25 Prozent das eigene Land. Spanien, Italien und Griechenland, das sind Länder mit Sonne und Gelato. Die Ostsee, der Harz, das Moseltal? Klingen nach Backfisch und Mettbrötchen. Aber: Derzeit müssen auch eigentliche Weltreisende zu Hause glücklich werden – und entdecken dabei die schönen Seiten ihres eigenen Landes. Das erklärt auch, warum das Fotobuch Heiter bis wolkig aus dem Hatje Cantz Verlag so den Zeitgeist trifft. Es ist ein Hommage an die Heimat. Aber gerade weil wir deutsch sind, ist der Blick kein romantischer, sondern einer der Tennissocken in Sandalen erspäht und Schrulligkeiten seziert.
Trotzdem ist da Platz für etwas Liebe, es ist eben die Art von Liebe, die man sich nicht aussucht. Eine beständige Zuneigung, keine lodernde Leidenschaft. „Hassliebe“ nennt es Sven Stolzenwald, einer der Fotografen des Bandes. Gemeinsam mit David Carreño Hansen und Christian Werner ging er auf die Suche nach der deutschen Seele, die er im Banalen findet. Husum, Hoyerswerda, Duisburg. Fertighäuser, Carports, Plastikstühle. Kaffeeklatsch, Schützenverein, Büdchenkultur. Deutschland, das Land der Sachlichkeit, der Strenge, der Zurückhaltung. Aber auch das Land des Saumagens und der Blasmusik, der Funktionskleidung und der Strandkörbe. Als ein „Na ja, muss ja“ fasst Sven Stolzenwald die Grundstimmung zusammen, die ihm auf seiner Deutschlandreise so begegnet ist. Die Dokumentation der drei jungen Fotografen ist quasi die Antithese zu Instagram, wo auch die Deutschen immer nur ihre Vorstellung vom idealen Leben zeigen, aber selten die nackte Realität, die auch mal trist und alltäglich ist.
Aber frei nach dem Titel ist es in Deutschland eben auch heiter. Die gutbürgerliche Gemütlichkeit ist durchaus gemütlich, in der selbsterrichteten Wind-Trutzburg aus Textilbahnen liest sich der Ostsee-Krimi strandsandfrei. Die Wahrheit ist doch auch: Wir kennen unser Deutschland eigentlich nicht, in der Regel geben wir uns mit der Idee aller Klischees zufrieden und glauben vom Hörensagen ganz genau zu wissen, wie es in der Eifel so zugeht. „Kind, lern doch erst das eigene Land kennen, bevor du die Welt eroberst“, pflegten unsere Großeltern zu raten und wir haben einen Monat Phuket gebucht. Jetzt haben wir die Welt erobert und müssen, dürfen und können in den eigenen Grenzen reisen. In unserem Dossier zum Reisen in Deutschland haben wir uns an den schönsten, wildesten und vernachlässigsten Ecken nach unseren Lieblingsorten umgesehen, von den Alpen bis zur Ostsee.
FOTOGRAFIE Sven Stolzenwald, David Carreño Hansen, Christian Werner
Sven Stolzenwald, David Carreño Hansen, Christian Werner
Mehr Stories
Made in Lebanon
Die Beiruter Kreativszene zwei Jahre nach der großen Explosion

Blick nach vorn
Neues von der Sammlermesse Design Miami 2022

Born in Beirut
Fünf Designpositionen aus dem Libanon

Alles im Fluß
Keramikfieber auf dem London Design Festival 2022

L'art de vivre en Provence
Architektur, Kunst & Lifestyle in Marseille und Umgebung

Orient! Express!
Reisen auf der Schiene wird mit Klasse neu belebt

Unknown Unknowns
Die XXIII. Internationale Ausstellung der Mailänder Triennale ist eröffnet

Best-of Pools
Vom Mini-Tauchbecken bis zum grenzenlosen Schwimmerlebnis

Schöne Tage in Antwerpen
Streifzüge durch die flämische Metropole

Motion. Autos, Art, Architecture
Norman Foster kuratiert Ausstellung im Guggenheim Bilbao

Planet Plastik
Neue Ausstellung im Vitra Design Museum

Skulpturen für den Alltag
Museum Ludwig widmet Isamu Noguchi eine Retrospektive

Alpine Sinnlichkeit
Entdeckungen auf der Sammlermesse Nomad St. Moritz

Wohnen als Gesamtkunstwerk
Ettore Sottsass’ Casa Lana in der Mailänder Triennale

Keramik, Pop und NFT
Neues von der Sammlermesse Design Miami 2021

Inspiration, Innovation, Interiordesign pur
Die imm cologne vom 17. - 23. Januar 2022 in Köln

Hyper, Hyper
Der Concorso d’Eleganza rehabilitiert die Autos der Neunzigerjahre

Revival im Raster
Quadratische Fliesen erobern die Interiorwelt

Zeitloser Funktionalismus
Mid-Century in der zeitgenössischen Innenarchitektur

Supersalone 2021
Die Highlights aus Mailand

Aufstieg der Superkisten
Spektakuläre Biwakarchitektur im Hochgebirge

Kontext statt White Cube
Designmesse Nomad im größten Engadiner Patrizierhaus

Maßstab Mensch
Rückblick auf unsere Veranstaltung zu Themen der Innenarchitektur

Roboter, Cyborgs, Urhütten
Die Architekturbiennale 2021 in Venedig

Tradition im Bruch
Marmor auf der Kykladeninsel Tinos

Best-of Salone del Mobile
Eine stille Retrospektive auf die Mailänder Möbelmesse

Die Höhlenhäuser von Hormus
Eine Touristensiedlung im Persischen Golf von ZAV Architects

Neustart in Mailand
Streifzug durch die Milano Design City 2020

German Design Graduates 2020
Award geht in die zweite Runde

Atmosphärische Zeiten
Hermann August Weizenegger im Kunstgewerbemuseum in Berlin
