Stories

Kinder an die Macht

Das kleine 1x1 der Gestaltung: Die Ausstellung Toyssimi in der Mailänder Triennale

von Norman Kietzmann, 05.08.2015

Das kleine 1x1 der Gestaltung: Für die Ausstellung Toyssimi, die derzeit in der Mailänder Triennale zu sehen ist, haben 100 Designer mit 100 Kindern 100 Spielzeuge entworfen. Die Ergebnisse reichen von Puppen über Fahrzeuge bis hin zu abenteuerlichen Flugobjekten – und beflügeln kindliche Fantasien ebenso wie die der Erwachsenen.

Wenn nur jeder Auftrag so leicht von der Hand gehen würde: Anstatt sich mit sturen Herstellern über die Ausführung winziger Details zu raufen, gingen 100 italienische Designer einen anderen Weg. Sie taten sich mit 100 Kindern zusammen und entwarfen jeweils im Teamwork ein gemeinsames Spielzeug. Die gestalterischen Hosen hatten in diesem Falle zweifelsohne die Kleinen an, während die Designer in die Position der Entwickler schlüpften – und ihre Expertise im Umgang mit Form und Material zur Verfügung stellten. Doch ganz so eindeutig war die Rollenverteilung bei Toyssimi ohnehin nicht gedacht.

Freiheit des Moments
Die Initiative für das Projekt geht auf den Triennale-Kinderworkshop TDMEducation sowie den Mailänder Gestalter Alessandro Guerriero zurück. Letzterer ist in der Szene gewiss kein Unbekannter. Die Hierarchien des Designs neu zu mischen, gelang ihm bereits 1976 mit der Gründung des Studio Alchimia. Die Keimzelle des postmodernen Designs sorgte seinerzeit mit Entwürfen von Alessandro Mendini, Paola Navone, Michele De Lucchi oder Andrea Branzi für Aufsehen und nahm das Funktionalistisch-Rationale mit betont kindlichen Formen und Farben ins Visier. Sieben Jahre später gehörte Guerriero zu jener Gruppe von Gestaltern, die die Domus Academy in Mailand aus der Taufe hoben.

Formen aus Worten
Spiel und Bildung in Einklang zu bringen, war auch das Ziel von Toyssimi – wenngleich die Großen genauso von den Kleinen lernen sollten wie umgekehrt. Und so machten sich die Designer, die von Guerriero für das Projekt gewonnen wurden, auf den Weg zu Kindern in mehreren Mailänder Schulen, Krankenhäusern oder privaten Wohnungen. In einem Koffer oder einer Tasche nahmen sie eine Auswahl an Materialien und einfachen Werkzeugen mit, aus denen die Kleinen ein Spielzeug gestalten sollten. Wie bei den Projekten der Großen stand auch hier die Form eher selten an erster Stelle. Der Prozess begann mit Worten, aus denen sich einzelne Ideen herauskristallisierten, die schließlich physische Gestalt annahmen. 
Spielende Bewegung
Die Rollen wurden auf diesem Weg immer wieder neu getauscht. So verschwamm nicht nur der Umstand, wer gerade das Kind ist und wer der Designer, sondern ebenso die Frage, wer gerade wem etwas beibringt. „Toyssimi stellt die kleinen Meister des Designs in den Mittelpunkt“, formuliert Alessandro Guerriero das Ziel des Projekts. Die Bandbreite der Entwürfe ist indes weit gefächert und reicht von Stofftieren, Handpuppen und Holzfiguren bis hin zu Zeppelinen, Flugzeugen und Automobilen. Wenn es einen roten Faden gibt, dann den Aspekt der Bewegung, der teils ganz konkret auf vier Rädern oder teils allein in der Fantasie des Betrachters zum Tragen kommt. 

Auftritt im Walfischbauch
Eine passende Bühne finden die 100 Spielzeuge in einer mobilen Ausstellungsarchitektur, die der Mailänder Designer Riccardo Blumer mit seinem Büro Blumerandfriends im Erdgeschoss der Triennale errichtet hat. La Balena steht im Italienischen für Wal. Und genau nach dem Vorbild dessen Schlunds gestaltete er eine in Höhe und Breite mäandernde Struktur aus MDF-Bauteilen, die einen atmosphärischen Raum im Raum erzeugt. Auf ein weißes Kunststoffmodul, das in der Raummitte von der Decke herabhängt, werden Filme über den Entstehungsprozess der Spielzeuge projiziert und zeigen so die Gesichter hinter den Arbeiten.

Über die Zeit hinaus
Dass die Ausstellung tatsächlich den richtigen Nerv trifft, offenbaren die Reaktionen der jüngsten Besucher. Ihre erwachsenen Begleiter haben sichtlich Mühe, sie vor dem sofortigen Berühren und Ausprobieren der Spielzeuge zurückzuhalten. Dass die Entwürfe nicht auf Dauer im Musealen verbleiben werden, ist ebenfalls Teil des Konzepts. Am Ende der Ausstellung sollen die Spielzeuge zugunsten der Non-Profit-Organisation Amani versteigert werden, die Kinderhilfsprojekte in Kenia und Sambia unterstützt. Der gestalterische Rollentausch war somit nicht nur für die beteiligten Kinder und Designer eine Bereicherung. Er erfüllt zudem auch noch einen guten Zweck. 

Toyssimi – noch bis zum 11. September 2015
in La Balena, La Triennale di Milano

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Links

La Triennale di Milano

www.triennale.org

Toyssimi

www.toyssimi.org

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