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Lösung zur Auflösung

Zurück in die Workstatt: Die Kulissen der neuen Büros bedienen sich an den alten.

von Tanja Pabelick, 27.10.2014

Die auskragenden Wandleuchten ziehen an langen Metallarmen über dem Arbeitstisch ihre Halbkreise. In ihrem von einem Glühfaden erzeugten Licht stehen Globen, Polaroid-Kameras und industrielle Ventilatoren. Wir könnten in einer Hinterhofwerkstatt sein, sind aber tatsächlich mitten in der Zukunft der Arbeitswelt. Auf der diesjährigen Orgatec 2014 präsentierte sich das Büro mancherorts wie eine Kulisse aus der Serie Mad Men. Was nur wollte uns die internationale Leitmesse für Office und Objekt damit sagen?

Beim italienischen Hersteller Alea klemmen Post-its in Schreibmaschinen. Bei SA Möbler stehen an Werkbänke erinnernde Tische mit Barstuhl-hohen Drehschemeln, Hay und Moroso zeigen Kleinmöbel aus Streckmetall, Nabers Concept Office-Regale erinnern an Lagersysteme und hinter nahezu jedem Tisch lauern Werkstatt-Stühle mit Rohrgestell. Die Arbeitsorganisation der Zukunft bedient sich 2014 an der Vergangenheit. Im Dekorativen schon allein aus der Not. Denn bei der ganz im Zeitgenössischen agierenden Konkurrenz steht da der immer gleiche Laptop oder kullert ganz auf sich gestellt ein einsamer Stift in der Wüste großflächiger Arbeitslandschaften. Da sieht ein anachronistischer Schreibmaschinen-Klotz neben einem Tischkalender doch gleich viel produktiver aus.

Generisch ungenerisch
Vitra hingegen zeigt in Köln eine neue Kollektion, deren Rezept sich aus folgenden Zutaten zusammensetzt: 90 Prozent Prouvé, 5 Prozent Vitra und 5 Prozent G-Star. Man könnte auch sagen: 100 Prozent Geschichte. G-Star macht sonst Jeans. Mit neuen alten Möbeln, die Jean Prouvé einst für Industrieunternehmen entworfen hat, widmet sich der niederländische Modehersteller weiteren Ikonen aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Die insgesamt zehn Produkte des Industrial Workshop möblieren auch das von Rem Koolhaas entworfene Headquarter in Amsterdam und sind Ausdruck des eigenen Designverständnisses. „Wir haben uns bewusst entschieden, zurück zu schauen, statt nach vorne. So verhindern wir ein generisch aussehendes Büro“, sagte G-Stars Projektleiter Shubhankar Ray beim Standrundgang.

Flucht in die Sicherheits-Zone
Die Büroarbeit löst sich auf wie die Katze aus Alice im Wunderland, nimmt das Büro als physischen Ort mit und lässt statt des Grinsens die Arbeit zurück. Mit diesem gesichtslosen Zustand des Fabeltiers namens Office aber ist schwer etwas anzufangen. Das Wo, Wann und Wie der Arbeit obliegt plötzlich vielen Arbeitnehmern selbst. Mit dem Laptop arbeiten sie auf dem Sofa, an Stehtischen, auf Hockern, in der Bahn und im Park, auf schaukelnden, wippenden oder bewegungsdynamischen Stühlen. Den starren Strukturen eines ebenso starr organisierten Alltags ist ein Strauß an Optionen gefolgt, aus dessen Bausteinen sich jeder sein individuelles Büro zusammenpuzzeln kann. Vertraute Gemütlichkeit ist eine der Zutaten, die als Heilmittel gegen Orientierungslosigkeit herangezogen wird. Ein Gegenangriff übrigens, der sich gerade erst in unseren Wohnzimmern beobachten ließ. Die flexible, mobile und dynamische Welt vor unseren Fenstern erzeugt die Sehnsucht nach beruhigten Sicherheits-Zonen mit Kuckuck, handbestickten Kissen und geschreinerten Möbeln dahinter.

Symptome von Historismus
Das neue traditionelle Büro ist eine Reminiszenz an Zeiten, in denen Arbeit das Ergebnis eines im Raum sichtbar werdenden Prozesses war, mit Plänen, Aktenstößen, Karteischränken und von Papierknäueln überlaufenden Abfalleimern. Weil der Arbeitsraum aber seinen funktionalen Verpflichtungen enthoben ist, zitiert er seine funktionale Vergangenheit lediglich. Die nicht mehr sichtbar werdende Kopfarbeit verursacht nach Emsigkeit aussehende Arbeitskulissen. Dieser Historismus ließe sich jetzt ganz einfach verteufeln. Vorher sollte aber noch schnell ein Blick auf die Alternativen geworfen werden; die übergroßen Schreibtischwüsten, Lounge-Landschaften oder ultra-multifunktionalen Assistenzmöbel. Vielleicht lautet das Resümee dann doch: Früher war nicht alles schlecht. Solange die Dosis stimmt.

Mehr Beiträge aus unserem Special Büro 3000 lesen Sie hier.

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Special: Büro 3000

Alles rund um das Büro von heute und das Arbeiten von morgen. Plus: Trends und Neuheiten von der Orgatec 2014.

www.designlines.de

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