Menschen

Shubhankar Ray

Ein Gespräch über die emotionale Kraft der Objekte in einer analogen Kultur.

von Jörg Zimmermann, 27.10.2014

Mode ist bunt, lässig, kühn, streng, frech, aufregend, verschwenderisch – und vor allem schnelllebig. Üblicherweise schmeißen die internationalen Labels im Jahreslauf eine Handvoll Kollektionen mit neuen Styles und Schnitten auf den Markt. Immer anders, immer frisch rauscht die Ware in die Luxus-Boutiquen, Flagship-Stores und Warenhäuser. Auch die Möbelindustrie scheint den Verlockungen des schnellen Produktwechsels nicht abgeneigt. Seit einigen Jahren schon beschleunigen die Hersteller das Neuheiten-Karussell, vermeintliche Umsatzturbos werden im Halbjahrestakt medial inszeniert.

Und nun treffen sich Fashion und Furniture zum Crossover. G-Star kooperiert zum zweiten Mal mit der Möbelmarke Vitra. Als Prouvé RAW Office Edition haucht das Denim-Label dem alt-ehrwürdigem Industriedesign von Jean Prouvé Frische ein. Ein Modeunternehmen und ein Möbelhersteller werfen gemeinsam den Blick zurück nach vorne. Sorgen nun die Geschwindigkeit und die Mechanismen der Fashionindustrie endgültig für eine Beschleunigung der Möbelbranche? Ein Gespräch mit Shubhankar Ray, Brand Director von G-Star.

Wie ist die Zusammenarbeit mit Vitra entstanden?
Mit dem anhaltenden Wachstum hat G-Star Showrooms in den wichtigen Städten der Welt eingerichtet. Uns war es dabei wichtig, die Showrooms mit guten Möbeln auszustatten. G-Star ist in seiner DNA mehr beeinflusst vom modernen Industriedesign als vom Fashiondesign. Viele Menschen bei G-Star sind Sammler von Vintage-Prouvé-Möbeln. Es gab für uns zwei Möglichkeiten: unsere eigenen Möbel zu entwerfen oder die Ausstattung der Showrooms mit Möbeln von Prouvé zu machen. Doch Vintage-Möbel von Prouvé sind recht teuer.

Aus dieser Situation ist dann die erste Kollektion Prouvé Raw entstanden?
Wir sind zunächst an Vitra herangetreten mit der Anfrage, 2000 Exemplare von Prouvés Fauteuil Direction in der G-Star-Farbe Dove Grey neu aufzulegen. Darüber sind wir in einen Dialog gekommen. Wir haben festgestellt, dass wir einige Gemeinsamkeiten mit Vitra haben. Unsere Mentalität, unser Denken ist sehr ähnlich. Dieser Austausch mit Vitra und auch der Familie Prouvé führte dann zur ersten Kollektion. Es sind 17 Produkte entstanden, zehn davon für den Verkauf.

Wo liegen die Gemeinsamkeiten von G-Star und Vitra?
Beide Unternehmen möchten Produkte entwickeln, die hoch funktional sind, ästhetisch und mit einer hohen Lebenserwartung. Gute Möbel verhalten sich ähnlich wie Denim: Mit zunehmenden Alter werden sie besser.

Sie sprechen bei dem Projekt von Crossover.
Das ist ziemlich typisch für die zeigenössische Kultur. Diese Kultur ist eine Kultur der Verbindungen. Dafür gibt es viele Beispiele. Neue Produkte werden mit und aus alten Produkten gemacht. Und alte Dinge werden in interessanter Weise rekontextualisiert. Dieses Prinzip beobachte ich an vielen Stellen in der Kultur. Es gibt da diese „Bindestrichworte“. Zum Beispiel ist Erziehung heute „Edu-tainment“. Ohne Entertainment wollen die Kids doch gar nicht mehr lernen. Weil ihre Gehirne ganz anders verdrahtet sind. Die Nachrichten heute sind „Info-tainment“. Nachrichten werden als Unterhaltung präsentiert, sonst schauen die Leute nicht mehr hin. Ich glaube, es gibt eine kulturelle Verschiebung, basierend auf dieser Verkoppelung.

Gilt das auch für die Modeindustrie?
Im Bekleidungsbusiness kennen wir das häufig. Es gibt eine Menge Läden mit Vintage-Kleidung. Die Bekleidungsindustrie nimmt oft Vintage-Entwürfe als Referenz, fügt neue technische und Styling-Details hinzu, um das Ganze upzudaten. Das ist hier ein ganz normaler Mechanismus. Für uns in der Bekleidungsindustrie ist es also völlig normal und logisch, zurückzublicken und uns von Dingen inspirieren zu lassen, die wir von früher lieben.

Ein Modeunternehmen und ein Möbelhersteller arbeiten zusammen. Müssen wir nun in Zukunft – wie bei der Mode – alle sechs Monate die Möbel wechseln?
Nein, ich bin der Meinung, wir sind gar nicht in der schnelllebigen Fashion-Industrie unterwegs. Wir sind im Industrial Production Business. Wir machen industrielle Kleidungsstücke. Inspiriert von bestimmten Arbeitsweisen, mit Details und Techniken für ein modernes Zeitalter. Unsere Herangehensweise ist wirklich anders als die des konventionellen Modebusiness. Wir sind nicht im gleichen Spiel. Wir agieren im gleichen Markt, aber spielen ein anderes Spiel. Denim ist ein industrielles Produkt, ein demokratischer Stoff. Das meint, es ist im Original nie von Designern gestaltet worden. Es wurde gestaltet von Technikern und Ingenieuren und ist wie Möbel ein Industrieprodukt. Denim ist zeitlos. Durch besondere Behandlung und Techniken ist es eigentlich wie gute Möbel. Es wird besser mit der Zeit. Man muss beides nicht alle sechs Monate wechseln.

Wie ist die zweite Kollektion von Prouvé Raw entstanden?
G-Star hat ein neues Headquarter bekommen, entworfen von Rem Kohlhaas. Dort wollten wir ein Bürosystem von Vitra einsetzen, darunter Möbel von Prouvé, die dieser ja für französische Industrieunternehmen wie Peugeot entworfen hatte. Wir haben dann die Elemente ausgewählt, die uns besonders gefallen haben. Herausgekommen ist ein Projekt mit 90 Prozent Prouvé – die Formen, die Struktur, das Design –, 5 Prozent Vitra, das für die Anpassung an moderne Normen und Anforderungen verantwortlich ist, und 5 Prozent G-Star für die Artdirektion. Wichtig ist, dass es einen funktionalen Bedarf gab.

Die Möbel werden in einem besonderen Grün produziert.
Uns gefällt diese grüne Farbe, die eine Industriefarbe aus Textilfabriken ist. Man kann auch von einer „analogen“ (Industrie-)Farbe sprechen. Aufgrund der besonderen Pigmentierung verändert die Farbe sich nicht unter UV-Einfluss. Wir haben also diese Farbe in das Möbelsystem aufgenommen. Und ein bisschen Tuning gemacht. Leder als Bezug und besondere Stoffe.

Passt eigentlich der Rückgriff auf ältere Entwürfe für aktuelle Arbeitssituationen?
Dazu gibt es zwei Dinge zu sagen: Normalerweise schauen Büromöbelsysteme nur nach vorne. Dabei ist es doch viel interessanter, zurück zu blicken. Der Blick nach vorne zielt auf eine Anpassung an die digitale Kultur, der Blick zurück sucht den Bezug zur analogen Kultur. Die Farbe ist zum Beispiel eine starke Referenz, weil sie aus der analogen Zeit kommt und industriell ist. In der analogen Kultur haben die Objekte eine viel größere emotionale Kraft. Sie schaffen es, dass Menschen in eine bestimmte Richtung fühlen. Es ist also sehr interessant, zurückzugehen und Dinge wiederzuentdecken, mit einigen kleinen Veränderungen und Verbesserungen zu versehen. Es ist ein Unterschied, ob wir über Zuhause oder das Büro sprechen. Wenn ich beispielsweise für Zuhause einen Tisch suche, suche ich möglicherweise drei Jahre in Vintage-Shops und versuche einen Originaltisch von Prouvé oder einen dänischen Tisch aus den 40er oder 50er Jahren zu finden. Für ein Büro würde niemand so vorgehen. Fast jeder würde bei einem neuen Büro auch neue Produkte nehmen.
Was macht es für G-Star so interessant, Möbel von Jean Prouvé zu verwenden?
Was passiert: Die Leute arbeiten in einer sehr angenehmen Umgebung mit Objekten, die eine emotionale Kraft ausstrahlen. Sofort wird dadurch die DNA von G-Star verständlich, auch und besonders für neue Mitarbeiter, die zu uns kommen. Zum Beispiel unsere Finanzabteilung, die eigentlich physikalisch weiter weg ist von unseren Produkten. Für neue Mitarbeiter dort ist es nicht einfach, unsere DNA zu verstehen. Wenn wir aber nun ein Möbelsystem haben, dass unsere DNA spiegelt, wird es sehr viel einfacher, dieses Verständnis aufzubauen. Die Veränderung entsteht durch die emotionale Kraft der Objekte – der Tische, der Stühle, der Lampen, der Farben und Materialien.

Vielen Dank für das Gespräch!

In der zweiten Crossover-Kollektion finden sich Möbel und Leuchten, die Jean Prouvé in den 1940er Jahren für die Büros französischer Industrieunternehmen entworfen hat. In Zusammenarbeit mit der Familie Prouvé hat Vitra die Produkte an heutige Anforderungen und Normen in Büros angepasst. Catherine Prouvé dazu: „Mein Vater hätte seine Freude an der Energie gehabt, die diese Kooperation seinen Designs verleiht. Ihm war es stets wichtig, dass die Dinge in alter Frische daherkommen.“ Die zehn Produkte der Prouvé RAW Office Edition werden als limitierte Special-Edition von Anfang 2015 bis Ende 2016 bei Vitra aufgelegt.

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