Manege frei
Menschen, Tiere, Sensationen: dem Zirkus-Dreiklang begegnete man oft während der Mailänder Möbelwoche.
Menschen, Tiere, Sensationen – der oft zitierte Zirkus-Dreiklang lässt sich wunderbar auch bei anderen Gelegenheiten beobachten – auf dem Salone del Mobile und dem Fuorisalone zum Beispiel. Wenn Möbelhersteller, Einrichtungsexperten, Lifestyle-Fetischisten und Designliebhaber in die Mailänder Manege strömen, ist eine unterhaltsame Mischung aus bunten Präsentationen und geheimnisvollen Auftritten garantiert.
Schlange stehen für die Show
Egal wie präzise die Vorbereitungen sind, Schlange stehen gehört bei einer guten Show dazu. Das fordert von den Besuchern selbstverständlich viel Geduld, erhöht aber vor allem die Spannung. Warten vor dem Messetor und an den Ständen, Schlangen vor den Showrooms und Off-Locations, vor den Party-Spots und Geheimtipp-Locations. Der Einlass ist überall begehrt, fast olympisch wird um das Dabeisein gekämpft. Einige der Standriesen auf dem Salone haben wohl deshalb Check-in-Counter wie am Flughafen eingerichtet. Erst Anstehen zum Registrieren, dann Anstehen zum Einlass. Beim Warten fehlt Popcorn, doch dann das erste Farbfeuerwerk bei Cassina: lustig-bunte Gesellen im Rampenlicht. Der Rietveld-Sessel Utrecht hat sich ein clowneskes Boxblocks-Gewand übergezogen, auch sonst hat Creative Director Patricia Urquiola die Buntheit fest im Griff. Die Spots streifen die Farbdarsteller in der abgedunkelten Manege, und die sorgen für gute Laune. Verzücktes Grinsen bei den Besucherscharen.
In der Manege geht’s rund
Üblicherweise geht vieles im Zirkus im Kreis herum. Auch in Mailand sind die Bewegungsmuster kreisförmig, die Aufführungen mal hier, mal dort. Meist wechseln die Zuschauer zu den verschiedenen Locations, es geht aber auch andersherum. Wie Clowns in der Manege rennen beziehungsweise fahren Designer und Marken dem Publikum hinterher. In einen weißen Transporter hat der britische Designer Lee Broom seine Produkte gepackt. Ein Ersatz für eine echte Pferdenummer mit stolzen Schimmeln ist das nicht, aber die Haltepunkte der Promo-Tour sind mit Spazzio Orlandi oder der Bar Basso clever gewählt. Applaus der Fans.
Beasts in the Jungle
Richtigen Nervenkitzel gibt es, wenn die großen, wilden Tiere in das Zirkusrund schleichen. Dann werden die Hände feucht wie sonst nur im Dschungel. Wildes Grün und allerlei Pflanzen gibt es auf vielen Ständen, mehr als einen Hauch von Freiheit und Wildnis findet sich im Jungalow von Dedon. Eine Nummer mit aufregend viel Grün um wunderbare Entspannungsutensilien drapiert, dort passen auch die Monkeys, die die Standgespräche und anschließend die Social-Media-Kanäle beleben. Zanotta probt am Dschungel-Suchbild und lässt die Produkte (fast) in der grünen Hölle verschwinden. Ein paar Meter weiter hat ein Hilfsmagier einen Dinosaurier auf Sofamaß geschrumpft. Bei Moooi leuchten die Papageien vor Grün und Ruinenkulissen und der Deko-Affe thront auf dem Tisch. Zeit für eine Pause.
Nach dem ersten Spannungsbogen im Programm und in der warmen Mailänder Frühlingssonne wächst der Wunsch nach Erfrischung. Abstecher zum Onlinelabel Hem, das auf den direkten Kontakt zu den Kunden doch nicht verzichten mag und mit Icecream lockt. Vorzugsweise Stracciatella, weil die Sorte mit den Schokostückchen den visuellen Bogen zum neuen Hocker von Max Lamb schlägt. Leicht ist der, so leicht, dass der Designer selbst den Auftritt als Jongleur wagt. Statt eiskalten Kalorien gibt es bei Hay in der Pelota-Halle heiße Preise im Pop-up-Store. Schlange stehen für goldene Kugelschreiber und Schlüsselanhänger mit Sprüchen. Erinnerungsstücke zu einer tollen Inszenierung mit doppeltem Boden. Wer mit Geduld gesegnet ist, nutzt die Wartezeit bis zum nächsten Highlight in der Casa Vitra. Dort, im temporären Nagelstudio, tragen wohl uniformierte Mitarbeiterinnen die neusten Farben keinesfalls zu dick auf. Mutig, von allen Beteiligten.
Buntes Feuerwerk und eine Zaubershow
Im Grunde sind wir ja froh, wenn zwischendurch mal jemand Ordnung macht. Pantone schickt jedes Jahr neue Farbfavoriten ins Rennen, nun hat Artdirektorin Hella Jongerius die Farben für Vitra passend durchsortiert. Es bleibt ein buntes Feuerwerk. Wer visuelle Entspannung finden möchte, schließt einfach die Augen oder gönnt sich die Aufführung im Toyo-Ito-Showroom von Kinnasand. Boingboing heißt die Installation von Jo Nagasaka. Ein bisschen auf und ab, so wird der Kopf wieder leicht und frisch. Denn der Zauberer Oki Sato wartet schon vor schwarzer Kulisse. 50 Manga Chairs, harte Kontraste, 50 Stuhlvariationen auf weißem Split. Glänzende Stahl-Silhouetten, poliert von den Experten, die einst schon den Ur-iPod auf Hochglanz brachten. Kein Design, das ist Kunst, nicht nur weil die New Yorker Galerie Friedman Benda für die anschließende Vermarktung sorgt.
Partytime
Ein Tusch und weiter im Programm. Partytime. Partys sind manchmal wie eine Zeitmaschine. In Mailand während des Salone ist das eher die Regel als die Ausnahme. Je nach Veranstalter-Motivation und persönlicher Einstellung fühlt man sich in die Vergangenheit versetzt oder rasant an einer möglichen Zukunft vorbei katapultiert. Laute Mucke und nach kurzer Zeit das Ende der Drinks rufen Erinnerungen an die 1990er wach, in Berlin beispielsweise. Doch wir schreiben das Jahr 2016 und was den Unterschied macht, scheint nicht sonderlich zu interessieren. Wie ein bekannter deutscher Designkritiker formulierte: „Alle warten nur, das etwas passiert.“ Das Statement gilt für Partygeschehen und Branchenentwicklung gleichermaßen. Warten auf den Höhepunkt ist an vielen Orten möglich: im schmucken Palazzo oder in der schicken Stadtvilla, im Showroom, auf der Hotelterrasse oder einfach auf der Straße. Wer weiß schon vorab, ob der Gesprächspartner mit dem Fettes Brot-Zitat „... biste eingeladen, auf das beste aller Feste auf der Gästeliste eingetragen“ richtig liegt.
Paraden-Glitzer
Zur Erinnerung: Wir sind immer noch im Unterhaltungsprogramm des internationalen Designzirkus. Kritische Stimmen bitte an der Kasse abgeben, für einen Aufstand des Publikums reichen die Programmschwächen (noch) nicht. Deshalb gibt es statt einer stattlichen Demo in diesem Jahr eine glitzernde Parade. Design Pride klingt stolz, auf was bleibt unklar. Bescheidene Anleihen beim rheinischen Karneval, eine Spur frühes Love Parade-Feeling – ein Anfang des Protests scheint gemacht. Oder wird Kommerz hier nur anders dargeboten? Die Pop-Art-Pieces von Gufram sind dabei, das textlose Kunstmagazin Toiletpaper gibt sich die Ehre und Mitveranstalter Seletti schickt den ausgestreckten Mittelfinger von Maurizio Cattelan vorneweg. Subversiv sieht anders aus. Geht aber auch nicht, denn Zirkus ist Familienprogramm. Die Tickets für die Premieren-Shows im kommenden Jahr gehen schon bald in den Vorverkauf.
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Special: Salone del Mobile 2016
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