Same, same, but different
Die 10. Berlin Biennale hat ihre Türen geöffnet und kann im besten Fall noch weitere aufschließen.

Again, noch einmal. Zwanzig Jahre nachdem die Berlin Biennale zum ersten Mal organisiert wurde, damals von Klaus Biesenbach, Hans Ulrich Obrist und Nancy Spector, schlägt sie seit Juni erneut zum großen Kunstspektakel auf. Zum zehnten Mal.
Drei Monate lang verteilt sich die Ausstellung über die so unterschiedlichen Standorte, vorbereitet und begleitet von einem Rahmenprogramm und Nebenprojekten. Informationen zu den Veranstaltungen, zur Ausstellung an sich, sind nicht schwer zu finden. Und doch ist es spontan nicht ganz greifbar, nicht sofort verständlich, worum es geht. Der Titel We don’t need another hero (von Tina Turner geliehen und neu interpretiert) könnte doch so vieles bedeuten.
Again, eine Biennale, wieder eine Schau zeitgenössischer Kunst. Nothing has changed? Und doch ist etwas anders als letztes Mal, als vorige Male, als anderswo. Vielleicht hat sich doch etwas getan, oder: Es tut sich etwas.
Die südafrikanische Kuratorin und Künstlerin Gabi Ngcobo ist weder vor schwierigen Themen noch belasteten Wörtern zurückgeschreckt. Sie und ihr internationales Team wollen auf die „kollektive Psychose“ eingehen, sich Ängsten und Sorgen unserer Zeit widmen, gängige Hierarchien und Strukturen hinterfragen, „komplexe Subjektivitäten“ nicht länger missachten. Es geht um Kapitalismus, Globalisierung, Kolonialismus, Unterdrückung, Macht.
Themen und Begriffe, die sofort Assoziationen wecken und Erwartungen bilden. Diese wollen die Kuratoren bewusst unterlaufen. Ngcobo hat erstmals Aufmerksamkeit bekommen durch ihre Arbeit mit dem Johannesburger Center for Historical Reenactments. Geschichtliches sowie Geschichten bekommen auch auf dieser Biennale viel Raum. Lokale Bezüge treffen globale Perspektiven. Subjektive Interpretationen des aktuellen Zustands dieser Welt, symbolisiert durch Chaos oder auf eine Pointe reduziert. Die Pointen haben Substanz, sind nicht aggressiv belehrend, aber suggestiv informativ. Die Art der Herangehensweise erinnert an die Documenta letzten Jahres. Insgesamt wirkt es ernst, ruhig, manchmal anstrengend.
46 Künstlerpositionen sind auf dieser relativ kleinen, aber dichten Biennale vertreten. Viele von ihnen weniger bekannt, zumindest hierzulande. Die meisten sind zeitgenössische Künstler, nur wenige Werke werden retrospektiv ausgestellt – viele davon sind sogar speziell für diese Biennale beauftragt worden und entstanden. Die Arbeiten sind mehrheitlich visuell, insgesamt bildet sich ein Potpourri verschiedener Medien und Methoden: Video, Fotografie, Gemälde, Installation, Perfomance. Von üblichen Ausstellungsformaten und Kunstformen löst sich diese umdenkende Exposition dann doch nicht.
Die Sache mit dem Erklärungsbedarf: Da man sich oft reinlesen, reindenken muss, erfordern viele der Werke Zeit und gedanklichen Raum, auch räumlich wäre noch mehr Platz durchaus wünschenswert gewesen. Manche gehen unter, während andere ihre Kraft nicht optimal entfalten können. Aber auch wenn nicht alle Werke gleichermaßen ansprechen, mitreißen, berühren, begeistern, kann sich doch jeder irgendwo wiedererkennen oder Bekanntes in Fremdem finden. Es geht eben nicht nur um das uns Fremde, sondern auch um das in dem man sich wiedererkennt.
„Nothing has changed“, bemerkt eine Frau in der Videoinstallation mit dem Titel Again/Noch einmal. In der Ecke sammeln sich die Besucher, sie bleiben lange davor stehen. Das Werk von Mario Pfeifer, einem der wenigen Deutschen, der wenigen Weißen. Ein Video, das keinen unberührt lässt.
Diese Biennale steht nicht für eine homogene Grundaussage, sondern lässt verschiedene Sicht- und Lebensweisen laut werden. Stimmen, die zeigen, dass Kunst auch politisch sein kann, und lehrreich. Wenn man sich darauf einlässt, wird es interessant und abwechslungsreich – es erinnert daran, wieder und wieder über den eigenen Tellerrand zu schauen und auch in sich selbst hinein. Die zehnte Berlin Biennale ist mehr als – again – eine Zusammenstellung weißer, angesagter Künstlerpositionen, unveränderter Perspektiven. So wie diese Ausstellung braucht Veränderung eben auch Zeit, der Weg ist noch lang. Die zehnte Berlin Biennale hat ihre Türen geöffnet und kann im besten Fall noch weitere aufschließen.
10. Berlin Biennale: We don’t need another hero
9. Juni bis 9. September 2018 / Akademie der Künste, KW, ZK/U, HAU und Volksbühnen Pavillon
www.berlinbiennale.deMehr Stories
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