Umkola – Designfahrräder aus Tschechien
Diese Berliner Ausstellung offenbart die Ästhetik technischer Details am Fahrrad.

An diesen weißen Wänden hängen normalerweise Gemälde oder Grafiken. Doch seit gestern seilen sich von der Decke Designfahrräder aus Tschechien ab. Das passt auch deshalb, weil das extravagante Design der Velos gut mit der brutalistischen Architektur des Ausstellungsorts aus den Siebzigern korrespondiert. Umkola – Designfahrräder aus Tschechien heißt die Schau, die bis zum 6. Juni im Tschechischen Zentrum in Berlin zu sehen ist.
Das Gebäude in der Wilhelm- Ecke Mohrenstraße in Berlin-Mitte ist auffällig. Brutalistisch, genauer gesagt. Mitte der siebziger Jahre nach einem Entwurf des tschechischen Architektenpaars Věra und Vladimír Machonin entstanden, befindet sich hier heute die Botschaft der Tschechischen Republik und auch das Tschechische Zentrum. An den großen Fenstern im Erdgeschoss steht in weißen Lettern geschrieben: Umkola – Designfahrräder aus Tschechien. Umkola ist übrigens eine Wortschöpfung, die mit den Begriffen kolo (tschechisch für Fahrrad) und um (tschechisch für Geschick) spielt.
Velo-Boom
Seit der Samtenen Revolution Ende der achtziger Jahre entstanden in der Tschechischen Republik meist kleine Unternehmen, die sich auf die Herstellung gut gestalteter Fahrräder in Kleinserie spezialisiert haben. Seit nunmehr fünfzehn Jahren gibt es dort einen regelrechten Velo-Boom, und das Interesse am Fahrrad als Fortbewegungsmittel kreist nun auch um Fragen wie Umweltschutz, Gesundheit und Mobilität in Städten.
Draußen vor dem Tschechischen Zentrum wird am Abend der Ausstellungseröffnung noch gewerkelt und aufgebaut: Bänke und Hocker aus gelben Metall mit Holzsitzflächen vom tschechischen Hersteller MM Cité werden aufgestellt und auch ein modularer Pavillon, den Studenten der Akademie für Kunst, Architektur und Design Prag (VŠUP) zusammen mit Michal Froněk entwickelt haben. Sechs Monate hat der Designprofessor – Gründer des Prager Architektur- und Designbüros Olgoj Chorchoj und Art Director von tschechischen Herstellern wie Ton und Bomma – mit seinen Studenten an einem Fahrrad-Projekt gearbeitet. Die Studenten haben die Fahrräder entworfen und auch selbst gebaut. Michal Froněk war erstaunt über die handwerklichen Fertigkeiten seiner Studenten, erzählt er. Adam Šimeček beispielsweise hat für seine Diplomarbeit an der Prager Akademie IQC 275 entwickelt – die Studie eines Mountainbikes aus Karbon für Räder mit einem Raddurchmesser von 27,5 Zoll und einer integrierten Teleskop-Sattelstange. Erstaunlich ist auch die Idee von Mikuláš Novotný: Folder ist ein Klapprad für die Stadt in der Standardgröße eines Mountainbikes. Zusammengeklappt lässt es sich praktischerweise wie ein kleiner Wagen schieben.
Profis am Werk
Neben den Studentenarbeiten werden in der Ausstellung auch Fahrräder von tschechischen (Klein-)Herstellern präsentiert. Wenig erstaunlich, dass die Gründer oftmals professionell im Radsport unterwegs sind. Mountainbike-Legende František Mrázek beispielsweise fertigt Rahmen aus der Stahllegierung CrMo an, die extrem haltbar sind. Oder aber Petr Švec. Der ehemalige Rennfahrer gründete 2010 mit Junior ein Unternehmen, das sich auf die Herstellung hochwertiger Fahrräder für Kinder spezialisiert hat. Robert Šterba indes, in den Achtzigern einer der besten Bahnrennfahrer der Welt, hat in Zusammenarbeit mit Künstlern und Grafikdesignern die Bahnradserie Iconic entwickelt, aus der ein rotes Rennrad mit goldenen Speichen hervorsticht.
Vom Weltraum aufs Fahrrad
Was auffällt in der Ausstellung: Aus der Weltraumforschung und der Automobilindustrie gelangen neue Materialien und Konstruktionsverfahren in den Fahrradbau. Ondřej Tobola beispielsweise hat für den französischen Hersteller Koxx ein geländetaugliches Trialbike entworfen – unter Verwendung von Verbundwerkstoffen, insbesondere Kohlenstoff, Kevlar und eines Federkerns. Dadurch ist zwar der Rahmen leichter und überaus langlebig, doch der finanzielle Aufwand der Herstellung war so groß, dass das Projekt nicht in die Serienproduktion ging. Auch Jerry Koza hat experimentiert, wobei er eher auf Low-Tech setzt. Sein Eingangrad TonDa, in der Fahrrad-Fachsprache werden solche Räder Fixies oder Single Speed genannt, ist minimalistisch gestaltet – was vor allem der Abwesenheit aller unnötigen Komponenten und des Leerlaufs zu verdanken ist: Die Kurbel dreht sich vor- und rückwärts, gebremst wird also gegen die Kraft des Vortriebs. Ästhetisches Highlight des Prototyps ist der Lenker aus Buchenrundholz, der von Ton – einem tschechischen Hersteller für Möbel mit Bugtechnik – gefertigt wird.
Es sind zwar insgesamt nur neun Fahrräder und Fahrradrahmen im Tschechischen Zentrum ausgestellt, doch wird eine große Bandbreite des Designanspruchs sichtbar. Schön anzusehen, auch für Fahrradlaien, sind vor allem die technischen Details, die eine ungeahnte Ästhetik entfalten: Das kann ein eleganter Weißwandreifen, feine goldene Speichen oder einfach nur eine perfekte Schweißnaht sein.
FOTOGRAFIE Tomáš Polák
Tomáš Polák
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