Vom Kohlenpott zur Kulturhauptstadt
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5,3 Millionen Menschen auf fast 4500 Quadratkilometern, verteilt auf 53 Städte und Gemeinden, die nahezu nahtlos ineinander übergehen – wäre das Ruhrgebiet eine Stadt, wäre sie die größte Deutschlands. Nachdem die meisten Zechen geschlossen und die ehemaligen Industrieanlagen zu Freizeitparks geworden sind, wachsen auch die Städte im drittgrößten Ballungsraum Europas immer mehr zusammen: Es entsteht nach und nach die „Metropole Ruhr“. Vom verrußten Kohlenpott zur pulsierenden Dienstleistungshochburg, von autonomen Städten zur großen Metropole - Wandel lautet das Stichwort in der Region, auch hinsichtlich der Kulturhauptstadt 2010, für die Essen für das Ruhrgebiet von der Europäischen Union ausgewählt wurde. Mit dem Wandel des Ruhrgebiets beschäftigt sich nun auch die Ausstellung „Projektion Ruhr“, die seit vergangener Woche in Paris zu sehen ist. Initiiert vom M:AI, Museum für Architektur und Ingenieurkunst NRW, in Kooperation mit dem nordrhein-westfälischen Lichtkünstler Mischa Kuball, macht die ungewöhnliche Lichtinstallation die Metamorphosen des Ruhrgebiets sinnlich erfahrbar.
Rußige Hochöfen, Kohlebergbau und staubige Luft – dieses Bild verbindet man im Allgemeinen mit dem Ruhrgebiet. Wie sich die Region vom öden Industriestandort zur europäischen Kulturhauptstadt 2010 wandelte, ist eine lange Geschichte. Heute sind viele Hochöfen mittlerweile außer Betrieb, Industriestandorte wurden zu kunstvoll illuminierten Freizeitparks umgewandelt, sodass die Hochöfen vielerorts nur noch als Aussichtplattformen für Touristen oder als Klettergarten für Adrenalinsüchtige dienen. 2010 ist das Jahr, in dem sich die neue Metropole der europäischen Öffentlichkeit vor allem in kultureller Hinsicht präsentiert, als Kulturhauptstadt 2010.
Einen wichtigen Anfang im Bereich von Kunst und Baukultur stellte die Internationale Bauausstellung Emscher Park (IBA) dar, die sich von 1989 bis1999 zum Ziel setzte, mehr Lebens- und Wohnqualität, architektonische, städtebauliche, soziale und ökologische Maßnahmen als Grundlage für den wirtschaftlichen Wandel in einer alten Industrieregion zu schaffen. Mit einer Gesamtinvestitionssumme von rund vier Milliarden Euro wurden 120 Projekte realisiert, darunter die Sanierung von Wohnungen, der Bau von 17 Technologiezentren und eine groß angelegte Grünflächenplanung für das Ruhrgebiet.
Modell-Metropole Ruhrgebiet
Diese Prozesse, die die IBA Emscher Park in der Region angestoßen hat und die bis heute anhalten, sind nun in Form von einer großen Bild- und Lichtinstallation in Paris zu sehen. „Projektion Ruhr“ ist eine Ausstellung des M:AI in Kooperation mit dem Lichtkünstler Mischa Kuball, die aktuell im Rahmen von „Artention“, einem Kulturprogramm zum Frankreich-Nordrhein-Westfalen-Jahr 2008/2009 in der Cité de l’architecture et du patrimoine in Paris zu sehen ist. Thematischer Gegenstand der Installation ist die Transformation des Ruhrgebiets, was zurzeit besonders für die französische Hauptstadt von Interesse ist. So hat die Ausstellung „Projektion Ruhr“ ihren Standort in Paris gefunden, da hier aktuell über den zukünftigen Planungsraum und städtebauliche Strategien eines „Groß-Paris“, also das Zentrum und dessen angrenzende Regionen, nachgedacht wird. Die IBA Emscher Park und das Ruhrgebiet dienen somit als Modell für den Umgang mit dezentral gelagerten Planungsräumen.
Industriekultur als Lichtteppich
Der künstlerische Ansatz von Mischa Kuball schafft einen emotionalen, ja fast sinnlichen Zugang zum Thema Wandel. Dazu projiziert Kuball auf den Boden des schmalen und leicht gekrümmten Ausstellungsraumes in der Cité eine Art „Teppich“ aus Lichtkegeln, sodass Bilder, Bildausschnitte und Filmsequenzen zu sehen sind, die die Transformationsgeschichte des Ruhrgebiets zeigen. Als Motiv reflektiert der Teppich die enorme Flächenausdehnung des Planungsgebietes der IBA Emscher Park mit über 1000 Quadratkilometern, wobei sechs Leitmotive die thematischen Schwerpunkte der Installation bilden: Ruhrgebiet, Baukultur, Industriekultur, Industrienatur, Kunst und Planungskultur. In fünf Nebenräumen werden diese Themen zusätzlich durch an die Wand projizierte Statements von Architekten vertieft. Auditiv unterstützt wird die Installation zudem durch eine eigens komponierte Klanginstallation von Thomas Klein, die von den Geräuschwelten der Region inspiriert und als themenbezogene Geräuschkulisse entlang der Projektionsfläche zu hören ist.
Irritation erwünscht
Die Besucher sind nun aufgefordert, die Ausstellung regelrecht zu erfahren und sich selbst mit einzubringen, indem sie sich auf dem Bildteppich und damit in den Themenwelten bewegen. Dabei sollen die Bewegungen der Bilder und gezielt gelenkte Geräusche den Blick des Besuchers und seine Fortbewegung innerhalb des Bilderstroms beeinflussen. Für den Besucher ergeben sich schließlich diffuse Eindrücke, die nicht genau erfasst werden können, da die vielfarbigen Projektionen der Lichtkegel durch Verzerrung und Überschneidungen bewusst verfremdet sind. Diese Irritationen sind in der Tat Teil des Konzepts, da die Besucher dazu angeregt werden, sich einzulassen auf eine in erster Linie sinnliche Erfahrung. Um die Besucher jedoch nicht völlig uninformiert zu lassen, werden sie während der Ausstellung von sogenannten „Kommunikatoren“ begleitet, Personen, die Fragen beantworten und Informationen zur IBA Emscher Park und dem Ruhrgebiet geben. So soll die gezielte Irritation auch genutzt werden, um mit miteinander ins Gespräch zu kommen und den Dialog anzuregen. Weitere Informationen erhalten die Besucher über verschiedene Medien direkt in der Cité oder auf der eigens erstellten Internetseite.
Bewegliche Projektoren und Lautsprecher
Die Realisation der Lichtinszenierung „Projektion Ruhr“ durch die Kölner 235 Media GmbH stellte vor allem auch in technischer Hinsicht eine Herausforderung dar. So musste für die künstlerische Inszenierung die gebogene Bodenfläche von und 45 mal vier Metern mit 12 beweglichen Projektoren ausgestattet werden, die einerseits die unterschiedlichen Themenbereiche darstellen müssen, andererseits aber auch für eine übergreifende Gesamtchoreographie eingesetzt werden sollen. Die einzelnen Themenbereiche werden nun von jeweils drei beweglichen Videoprojektoren bespielt, die sowohl Fotos in hoher Auflösung als auch Videos darstellen können. Der Ton der Videos erklingt aus vier Richtlautsprechern, die auf beweglichen Beamern montiert sind und damit den Bewegungen der Projektoren folgen. Als zusätzliche akustische Akzente sind zwei extrem gerichtete Lautsprechersystem, sogenannte „Audiospotlights“ installiert, die vom Besucher nur wahrgenommen werden können, wenn er sich genau im Fokus der Schallwellen bewegt.
Die Ausstellung Projektion Ruhr ist noch bis 8. Februar 2009 in Paris zu sehen und zu erfahren. Ob sie im nächsten Jahr auch in Deutschland, womöglich gar im Ruhrgebiet zu sehen, ist offen. Schließlich bezieht sich das Ausstellungskonzept stark auf den außergewöhnlichen Ausstellungsraum in Paris und auch die Bildauswahl hat in einem direkten Bezug auf Besucher in Paris und ihr Wissen oder Nichtwissen zur Region Ruhrgebiet stattgefunden. Diskutiert wird zurzeit die Überlegung, eine modifizierte „Projektion Ruhr“ mit dem Schwerpunkt auf die Zeit nach der IBA, auch im Ruhrgebiet zu zeigen – vielleicht sogar schon im Jahr der Kulturhauptstadt 2010.
FOTOGRAFIE 235 Media, Köln
235 Media, Köln
Links
Projektion Ruhr
www.projektion-ruhr.comM:AI, Museum für Architektur und Ingenieurkunst NRW
www.mai.nrw.deMischa Kuball
www.mischakuball.com235 Media
www.235media.deMehr Stories
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