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Wien-Design-Connection: das Altstadt Vienna

Eingecheckt: Hier schläft man wahlweise mit Matteo Thun, Adolf Krischanitz, Gregor Eichinger oder Lilli Hollein.

von Claudia Simone Hoff, 04.05.2017

Ein Hotelzimmer von der Stange? Nicht in Wien! Dort hatte Otto E. Wiesenthal vor 26 Jahren eine andere Idee: Jedes Zimmer seines Boutiquehotels sollte anders gestaltet sein. Wie praktisch, dass er ziemlich gut vernetzt ist in der Wiener Kulturszene, denn so schläft man im Altstadt Vienna wahlweise mit Matteo Thun, Adolf Krischanitz, Gregor Eichinger oder Lilli Hollein. Wir haben eingecheckt und einige der kreativen Köpfe getroffen.

Diese Geschichte ist fast zu schön, um wahr zu sein. 1991 verabschiedet sich Otto E. Wiesenthal von seinem Manager-Dasein und eröffnet ein Hotel, das Altstadt Vienna. Seine Idee: das Lebensgefühl der Stadt in veritable Räume umzusetzen – mit seiner Kunstsammlung im Mittelpunkt und schönen österreichischen Dingen von Thonet, Wittmann, Lobmeyr und Carl Auböck. Und individuellen, sehr charmanten Zimmern sowie öffentlichen Räumen wie ein Café und eine Bar, die auch die österreichische Bohème gern besucht. Dazu passt, dass sich das Hotel im 7. Bezirk befindet, wo es viele kleine Designläden, Werkstätten, Cafés, traditionelle Wiener Beisl und sogar einen Rotlichtbezirk gibt.

Und es wächst und wächst und wächst
Angefangen hat alles mit nur 24 Zimmern, doch immer, wenn in dem Gebäude aus der Jahrhundertwende eine Wohnung frei wird, greift Wiesenthal zu und wandelt sie in Gästezimmer um. Gerade hat er ein Budget von 500.000 Euro in die Hand genommen und das Hotel um vier neue Räume und Suiten erweitert – gestaltet von seinen Architekten- und Designerfreunden Gregor Eichinger, Adolf Krischanitz, Roland Nemetz und dem Designerehepaar Lilli Hollein und Markus Eiblmayr. Während sich Eichinger sein Zimmer aussuchen konnte, bekamen die anderen Gestalter „ihre“ Zimmer zugewiesen, mussten sich mit den teils schwierigen architektonischen Gegebenheiten auseinandersetzen und mit einem begrenzten Budget zurechtkommen. Doch was jeder einzelne damit machte, blieb ganz ihm selbst überlassen, Wiener Altbaucharme mit knarzendem Fischgrätparkett, meterhohen Wänden und Stuckaturen inklusive. Eine gestalterische Carte blanche – wann gibt es das schon mal, gerade im eng getakteten und stark kommerzialisierten Hotelbusiness?

Gekommen, um zu schlafen
Gregor Eichinger steht vor einer Leinwand, auf der The Big Lebowski läuft. Er fuchtelt mit den Armen und erklärt, was es mit seinem Film Noir-Zimmer auf sich hat. Nun könnte man meinen, dass ein Architekt, der gerade mit dem Umbau des Sofitel-Hotels von Jean Nouvel beschäftigt ist, bei einem vergleichbar kleinen Projekt nicht aufgeregt sein müsste. Doch für Eichinger ist die Gestaltung des Zimmers für das Altstadt Vienna eine echte Herzensangelegenheit. Er ist ganz begeistert von der Gelegenheit, abseits des Zimmer-Einerleis großer Hotelketten entwerfen zu können. Schließlich hat man als Architekt nicht aller Tage freie Hand.

Eichinger also hat sich ein Zimmer ausgedacht, bei der Filme im Mittelpunkt stehen, nebst besagter Riesenleinwand und einer vom Architekten kuratierten Filmauswahl. Im Zentrum des Raums steht ein ziemlich großes Bett, das von der Wand abgerückt ist. „Schließlich kommt man ins Hotel, um zu schlafen“, schmunzelt der Architekt. Und wahrlich: Das Bett mit im Kopfteil integrierter Sitzbank möchte man am liebsten sogleich erobern. Das liegt wahrscheinlich am haptisch sehr schönen Stoffbezug Basel von Kvadrat (ein Entwurf von Herzog & de Meuron), der auch für eine gute Akustik sorgt. Er taucht in anderer Farbstellung ebenfalls an den klappbaren Wandpaneelen in Wellenform auf. Dahinter verbergen sich Kleiderschrank, Regendusche und Waschbecken. Nichts also stört das subtile, farblich zurückgenommene Interior. Und surrt die Leinwand elektrisch nach oben, schaut man hinunter auf die pittoreske Kirchengasse. „Ich wollte, dass man im Bett mit der Stadt konfrontiert ist und nicht mit dem Zimmer“, sagt der Architekt. Paar-Power
Neben Eichingers Film Noir-Zimmer liegt der Raum, den Lilli Hollein und Markus Eiblmayr gestaltet haben. Das passt auch insofern gut, als dass Eichinger ihr Trauzeuge war, wie sie erzählen (in Wien kennt wirklich jeder jeden!). „Wir haben verschränkt gearbeitet“, sagt die studierte Industriedesignerin. Als Gründerin und Direktorin der Vienna Design Week ist sie hervorragend vernetzt in der (österreichischen) Designszene und hat einige ihrer Lieblingsstücke natürlich auch in ihrer Suite untergebracht. Sie nennt ihre Arbeit für das Altstadt Vienna einen Zitatemix, mit dem sie „ein authentisches Gefühl erzeugen will“.

Dazu gehören Leuchten von Carl Auböck, ein Abstelltisch aus naturbelassenen Holzstämmen von Sebastian Menschhorn, der an einen Kaminsims erinnert, eine Deckenleuchte von Chmara Rosinke, eine Wolkentapete von Cole & Son nach einem Motiv von Piero Fornasetti, auffällige Fliesen in schwarz-weißem Muster von Sebastian Rauch für Karak, gewagt-gestreifte Textilien von Raf Simons für Kvadrat, ein Sekretär von March Gut. „Wir sind viel unterwegs und wollten ein Hotelzimmer entwerfen, das uns selbst gefallen würde“, sagt Hollein. Ziemlich viel Platz wird geschickt vervielfacht durch Spiegel, eine Wohninsel mit einer Chaiselongue von Patrycja Domanska und einem eigens von Hollein und Eiblmayr entworfenen Teppich, der im Inkjet-Verfahren bedruckt wurde, lädt zum Loungen ein. Das Interior wirkt luftig und hell, gekonnt gesetzte Farbtupfer sorgen für gute Laune.

Alles nur Theater
Dekoratives liebt auch Roland Nemetz. Er ist Architekt und gleichzeitig Hotelier in Baden bei Wien – was ihn wie geschaffen für die Aufgabe macht, ein Hotelzimmer zu entwerfen. Sein Raum ist groß und hoch, was ihm ziemlich viele Freiheiten bei der Gestaltung ließ. Nur eines machte ihm anfangs zu schaffen: Er sollte fünf ziemlich große Pendelleuchten von Tom Dixon im Zimmer unterbringen. „Ich habe mich regelrecht vor ihnen gefürchtet“, gesteht er lachend. Nun, das sieht man dem Zimmer nicht an, die Leuchten wirken wie dafür gemacht, obwohl ihr Licht ziemlich schummrig ist.

In der Suite dreht sich alles um die Bühne. Denn schaut man durch das große Altbaufenster in den Innenhof, erblickt man ein Glasdach, unter dem sich ein Off-Theater befindet. Nemetz hatte also sein Thema gefunden und die Suite kurzerhand mit teils getrödelten Versatzstücken aus dem Theater ausgestattet – im Stil der Fünfziger- und Sechzigerjahre. So gibt es im Entree eine „Theater“-Garderobe, rote Samtvorhänge, im Badezimmer hängen Bilderrahmen mit Autogrammen von Wiener Schauspiellegenden, der Fernseher wird wie ein Schminkspiegel von Leuchten gerahmt. Der Raum ist extrem behaglich, was vor allen an den Möbeln liegt: Vintage-Unikate von Roland Rainer und Stühle aus dem Café Ritter. Lydia Nemetz, Hotelière und Ehefrau von Roland Nemetz, bringt die Gestaltung der Theater Suite auf den Punkt: „Keep it simple and stupid“. Soll heißen: Ein Hotelzimmer muss funktionieren, ohne dass man es erklären muss.

Der Architekt in mir
Das Gegenteil der dekoraffinen Architekten und Designer Nemetz, Hollein und Eiblmayr ist Adolf Krischanitz. Das sieht man auch seinem Zimmer an, das streng architektonisch, fast ein wenig unterkühlt wirkt, auch wenn viel Holz zum Einsatz kommt. Es ist neben Eichingers Zimmer wohl der Raum, der am schwersten einzurichten war. „Wir mussten uns an den Bedingungen des Altbaus orientieren“, sagt Stefan Just, Projektleiter des Büros Krischanitz. Konkret heißt das: Der mit 30 Quadratmetern relativ kleine Raum wird von einer meterdicken Wand mit Schornsteinen dominiert, die aus statischen und funktionellen Gründen bestehen bleiben musste. Deshalb ist das Badezimmer alles andere als konventionell: In einzelnen „Räumen“, einer Sequenz gleich, sind rechts und links vom Eingangsflur eine Dusche, das WC und ein Waschbecken untergebracht. Das macht die Morgentoilette zwar nicht unbedingt praktisch, sieht mit den hellen Mosaikfliesen und weißen Sanitärelementen aber ziemlich gut aus. Das eigentliche Zimmer ist streng mit Liebe zum (architektonischen) Detail gehalten. Ein maßgefertigtes Möbel – das Bar, Stauraum und TV-Konsole in einem ist –, von Krischanitz entworfene Holzverkleidungen für die Lüftungen, Möbel des Architekten (Stühle und ein Sofa von Wittmann) vervollständigen das Ensemble. Keiner der vier anderen Designer habe sich so mit dem Detail beschäftigt, ergänzt Hotelier Wiesenthal.

Heimkehr
Das Altstadt Vienna ist ziemlich oft ausgebucht und reichlich Bestätigung erhält der spät berufene Hotelier Wiesenthal auch von seinen Gästen, die um kreative Wortschöpfungen nicht verlegen sind: Hotelissimo (Rudi Stanzel), Kokett (Matteo Thun) Lebenszeitraum (Harald Krassnitzer), Hoch die Hände Wochenende (Sepp Schellhorn) – sind nur einige der Lobeshymnen. Einem Gast gefiel sein Zimmer von Matteo Thun übrigens so gut, dass er es sich zuhause maßstabsgetreu nachbauen lassen hat. Ganz „wia Daham“, würde der Wiener sagen.

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Links

Projekt

Boutiquehotel Altstadt Vienna

www.altstadt.at

Gregor Eichinger

Architekt/ Eichinger Offices

www.eichingeroffices.com

Lilli Hollein

Direktorin Vienna Design Week

www.viennadesignweek.at

Adolf Krischanitz

Architekt

krischanitz.at

Roland Nemetz

Architekt/ Plan B Architektur

www.planb-architektur.at

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