Menschen

Architekturen für den Wohnraum

more-Gründer Bernhard Müller im Jubiläumsinterview

Geradlinige Möbelkollektionen sind das Markenzeichen von more. In diesem Jahr feiert das Hamburger Unternehmen sein 30-jähriges Bestehen. Der Gründer und Designer Bernhard Müller spricht im Interview über seine Leidenschaft für Kunst und Architektur und ihre Bedeutung für seine Entwürfe.

von Judith Jenner, 14.03.2023

Eine neue Möbelmarke zu etablieren und rentabel zu machen, ist eine ganz schöne Leistung. Darauf ist Bernhard Müller, Gründer und Designer von more, stolz. Die Erfolgsgeschichte begann Anfang der Neunzigerjahre in einem Hamburger Industrieviertel auf 60 Quadratmetern. Inzwischen verkauft das Unternehmen seine Möbel in die ganze Welt.

Das Interview zum Firmenjubiläum führt Bernhard Müller von seinem Haus in Italien aus. Zwischen Arbeit und Freizeit gibt es seit Beginn seines Berufslebens einen fließenden Übergang. Er kennt es nicht anders.

30 Jahre more: Wie feiern Sie?
Wir lassen es richtig krachen mit einem großen Fest in Hamburg, mit Disco und Tanzen. Außerdem gibt es eine limitierte Jubiläumsedition mit jeweils 30 Exemplaren von unseren Hauptdesignern – von Peter Fehrentz, Gil Coste und mir. Wir haben in dieser Edition vorhandene Stücke überarbeitet. Bei Peter Fehrentz ist es ein Beistelltisch mit einem speziellen grünen Stein. Gil hat aus dem Design des Esstischs Varan zwei außergewöhnliche Couchtische entwickelt, die sich perfekt für große Sofalandschaften eignen. Ich habe unsere Beistelltische in Leder eingepackt, und zwar ganz bunt. Eigentlich genau das Gegenteil von dem, was wir sonst im Sortiment haben.

Auch Ihr Messestand in Mailand wird im Jubiläumsjahr besonders aussehen.
Genau. Wir haben ihn als ein klassisches Gebäude entworfen mit Wasserbecken, Glasflächen und riesigen Rückwänden, vor denen das Gebäude steht. Es übersteigt alles, was wir je auf einer Messe gezeigt haben, und wird ein richtiger Hingucker sein. Für den Katalog planen wir einen Einleger mit freier Fotografie. Wir werden diese Bilder auf den Messestand projizieren. So bekommt er eine Art Museumscharakter.

Sie haben schon zu Schulzeiten Möbel entworfen. Warum haben Sie dennoch Architektur und nicht Produktdesign studiert?
Ich fand Architektur immer spannender. Das geht mir bis heute so. Die klassischen Meister haben ja alles gemacht. Natürlich war der Beginn der Moderne auch eine spezielle Zeit, als die ganzen Materialien entwickelt wurden. Die Trennung kam ja erst relativ spät, Ende der Sechzigerjahre. Mit den Produktdesignern in Italien fing es an. Mir gefiel der Gesamtblick, weil ich das Innen und Außen nie ganz trennen kann, auch nicht das Möbel von dem Haus, in dem es steht. Für mich sind unsere Möbel kleine Architekturen, vor allem die Tische und Betten. Das macht gerade auch den Reiz aus, ein Produkt für eine Architektur zu entwerfen.

Wie beeinflusst diese Sichtweise Ihre Art zu entwerfen?
Wenn ich selbst etwas gestalte, sehe ich das Produkt in dem Raum, in den es gehört. So war es auch schon mit 17 Jahren. Ich war mit meinem Vater oft in Kunstausstellungen und habe mich für die klassische Moderne interessiert. Das war ein Stück weit auch eine Gegenreaktion auf den Geschmack meiner Eltern. Da hing alles voll mit alten Meistern, Petersburger Hängung überall, dazu alte Bauernschränke und Barockmöbel. Ich hingegen fühlte mich sehr hingezogen zu etwas Nüchternem und Rationalem.

Welche Werte vermitteln Ihre Möbel?
Durch ihre klassische Nüchternheit haben sie eine zeitlose Wertigkeit. Zudem arbeite ich gerne mit reinen Materialien. Dass Material und Produktidee eine Beständigkeit haben, war mir von Anfang an wichtig. 2009/2010 war ein entscheidender Einschnitt für more. Da habe ich noch einmal das ganze Unternehmen und den Markt analysiert und mich von der Idee verabschiedet, dass nur das einzelne Produkt zählt. Es entwickelte sich dann zu: Wir produzieren Gesamtbilder für unsere Kunden und Innenarchitekten. Seitdem ist die Firma extrem gewachsen.

Denken Sie stärker in Kollektionen?
Das ging Hand in Hand. Sobald man stärker szenisch denkt, möchte man weniger Fremdprodukte im Bild haben. Ich würde mir zwar nicht unbedingt fünf Produkte einer Linie hinstellen, aber im Bild sehen zwei oder drei davon sehr gut aus. So wird das auch oft von den Kunden umgesetzt. Sie kaufen sich einen Tisch, sehen dann den passenden Sekretär dazu und nehmen ihn auch.

Wer sind Ihre Kundinnen und Kunden?
Sie kommen aus der ganzen Welt. Viele sind Einrichtungshäuser oder Innenarchitekten, die zu uns in den Showroom in Hamburg kommen, manchmal auch Privatpersonen. 95 Prozent unserer Produkte gehen in private Wohnungen. Ab und zu kommt ein Projekt, zum Beispiel ein kleines Hotel. In einem haben wir die Bar, den Aufenthalts- und Frühstücksbereich ausgestattet. Darin sind wir sehr gut. Auch Konferenzanlagen gestalten wir häufig. Die Planung und Beratung bei solchen Projekten macht uns viel Spaß.

Wie wählen Sie die Designer*innen aus, mit denen Sie zusammenarbeiten?
Das geht eigentlich nur über Freundschaften. Gil habe ich auf meiner ersten Messe in Köln 1994 kennengelernt. Dann haben wir uns in Hamburg wiedergetroffen. Erst fing eine Freundschaft an und dann kam es zu den gemeinsamen Produkten. Bei Peter Fehrentz lief es ähnlich. Wir haben uns über das Styling und die Fotografie kennengelernt. Dazu gekommen ist Cagdas Sarikaya, der seit sechs, sieben Jahren bei uns als Designer arbeitet und jetzt auch eigene Produkte entwirft. Die Arbeit an den Möbeln dauert oft mehrere Jahre, deswegen ist ein gutes Verhältnis sehr wichtig. Es gibt keine Briefings, aber wir sprechen viel über Entwürfe und verbringen gerne Zeit miteinander. So hat mich Peter Fehrentz durch „sein“ Berlin geführt, mir interessante Geschäfte und Galerien gezeigt.

Kunst ist für Sie eine wichtige Inspirationsquelle?
Auf jeden Fall. Kürzlich habe ich die Bilder von HAP Grieshaber wiederentdeckt, der fast nur Holzschnitte gemacht hat und ein wahnsinnig spannender Typ war. Im Moment gibt es allerdings wenig Zeitgenössisches, das mich inspiriert.

Gibt es ein spezielles Material, mit dem Sie in Zukunft gerne arbeiten würden?
Ich würde gerne wieder freier arbeiten. Wir können es uns zum Glück leisten, dass unsere Kollektion etwas künstlerischer wird. Wieder mehr abseits der Kollektionen zu denken, ist auch ein Geschenk zum 30. Jubiläum. Privat würde ich gerne wieder mehr mit Ton arbeiten. Das war das Schönste an meinem Studium in Braunschweig: Es gab dort eine Fakultät im Wald, wo wir viel mit Ton machen konnten, einfach herrlich.

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