Menschen

Helga Blocksdorf

Die junge Berliner Architektin im Gespräch.

von Jeanette Kunsmann, 31.08.2015

Wenn Helga Blocksdorf über ihre Arbeit spricht, geht es sofort um Details – „Auf Genauigkeit spielen“ nennt sie das. Gerade hat die junge Berliner Architektin das Dach eines Vorstadthauses in Niederschönhausen ausgebaut. Ein Gespräch über gute Bäder, Baustellen und Künstler als Bauherren.

Sie haben bei Volker Staab wie auch in Ihrem eigenen Büro viel im Bestand gearbeitet. Wie plant man einen guten Umbau?
Das wichtigste Medium als Werkzeug sind große Modelle im Maßstab 1:50 oder 1:25, da man im Bestand oft auf das Problem sehr enger Geometrien trifft. Um diese beherrschen zu können, benötigt man ein genaues Aufmaß und ein exaktes Modell: Erst dann kann man die Konstruktion des Altbaus verstehen und sich eine neue überlegen. Außerdem kann man so besser entscheiden, an welchen Stellen man auf Genauigkeit spielt und an welchen man dafür dann große Toleranzen einplanen muss, damit das gesamte Projekt überhaupt realisierbar ist. Man muss sehr genau zeichnen.  

Was sind denn „genaue Stellen“?
Es sind Details. Man muss sich darüber bewusst sein, dass es – auch wenn man jeden Tag auf der Baustelle ist – enorm viele Überraschungen geben kann, wenn man die Konstruktion des Altbaus öffnet. Um diese Funde in dem gegebenen Kostenrahmen handhaben zu können, muss man als Architekt entscheiden, welche Stellen präzise ausgearbeitet werden – und welche nicht.

Ihr aktuelles Projekt ist ein privater Dachausbau in der Uhlandstraße in Niederschönhausen. Welche Kriterien haben Sie bei dem Ausbau verfolgt?
Wir wollten die zwei Frontseiten des Hauses über ein einziges Format verbinden. Das Doppelquadrat sollte auf beiden Seiten realisierbar sein und frontal wie auch seitlich jeweils an der bestehenden Hauskante auf Null auslaufen. Bei fast allen anderen Dächern in Berlin hat man sonst einen Brandwand-Überstand von 30 Zentimetern. Auf diesen kann man nur mit einem guten Brandschutzkonzept, gezielter Ausführungsplanung und der permanenten Betreuung der Baustelle verzichten. Das Brandschutzkonzept und die Ausführungsplanung im Projekt Uhlandstraße wurde zusammen mit Daniel Verhülsdonk erarbeitet. Entwurflich ist für das Doppelquadrat im Süden eine Aufmauerung notwendig gewesen und im Norden die Verlegung der rahmenlosen Glasbrüstung nach innen, vor den Schiebeflügel, sowie beidseitig Rücksprünge in der Giebelwand zur Fassade hin. Das alles bedeutet natürlich einen erhöhten Aufwand, aber das meine ich mit „auf Genauigkeit spielen“. Das ist im Prinzip nichts Neues, nur dass ein großes Büro wie Staab beispielsweise beim Museum Albertinum mit sehr guten Bestandsanalysen agieren kann. Das ist im Vorfeld einer privaten Baustelle eher nicht im Budget enthalten.

War diese Neugestaltung der Fassade Wunsch der Bauherren?
Nein, solche Stellen sind immer Architektenwunsch. Für die Bauherren ist der Gesamteindruck entscheidend.

Von außen ist der Ausbau eher unauffällig, nur zu Straße hin öffnet sich ein großes Fenster. Wie kann man sich denn die Nachbarschaft vorstellen?
Die Umgebung weist Mehrfamilienhäuser und große Vorstadtvillen auf – die Körnigkeit in diesem Bereich ist aber divers: Der Wohnbau direkt nebenan wurde in den Achtzigern gebaut und ist ein ganzes Geschoss höher. Das andere Nachbarhaus ist diesem sehr ähnlich und hat einen dreieckigen Frontspieß, also eine erhöhte Giebelwand zur Gliederung der Fassade. Der Dachraum dahinter hatte bei unserem Haus eine Höhe von einem Meter – das ist jenseits jeder Stehhöhe. Um überhaupt eine bewohnbare Geschosshöhe zu erreichen, mussten wir den Frontspieß, in diesem Fall ein Bogen, entfernen – was die Bauherren ganz gelassen mitgemacht haben. Das Dach wurde vorher nur als Wäscheboden genutzt.

Steht das Haus denn unter Denkmalschutz?
Nein, steht es nicht – Auflagen waren die durch den Bauantrag verbindlichen. Dass wir mit den zwei Gauben so hoch rausgehen konnten, war eine Beteiligung der Stadtplanung, die den Teilabriss genehmigt hat. Für uns ist der Frontspieß des Nachbarn nicht überzeugend. Vielleicht ist es das, was man mit einem Umbau erreichen kann: eine gewisse Anspannung in einem Projekt, die ein verändertes, abstraktes Bild verfolgt.

Wenn man den Dachausbau und auch Ihre anderen Umbauten von innen betrachtet, fällt es nicht ganz leicht, die Projekte zu verorten – sie könnten auch in Skandinavien sein. Wie wählen Sie Farben und Materialien?
Wir wollten beim letzten Dachausbau in einem Graublau-Ton ein Himmelsbild zeichnen – das trifft ganz gut mit dem Boden zusammen: einem wolkigen Heizestrich, der farblos imprägniert ist. Die Farbe ist insgesamt dreidimensional eingesetzt und liegt wie ein Kreuz an den vier Endpunkten im Grundriss (Bäder, Treppe, Küche). Sie dehnt sich in die vier Himmelsrichtungen aus und markiert so die räumliche Erweiterung farblich-materiell. Die Bauherrin hatte sich gewünscht, dass die Küchenzeile nicht unbedingt eindeutig als diese erkennbar ist. Deshalb sollte der Wasserhahn zum Beispiel versenkbar sein, so dass die Fläche auch glatt blaugrau sein kann. Blau hat ein sehr enges Spektrum, man kann nicht so viele Untertöne produzieren wie bei anderen Farben. Das heißt: Auf den ersten Blick ist es immer hellblau. Aber die Küche und die Treppe sind graublau, das wirkt auf den Fotos eben ganz anders als auf dem Fächer. Man muss gerade bei Blau etwas experimentieren, so dass man es in einer großen Fläche erahnen kann. Bei anderen Farben wie Grün ist es einfacher, einen sehr guten Ton zu treffen.


Grün haben Sie in einem der vorigen Umbauten im Prenzlauer Berg angewendet.
Genau. Um außen und innen zu verbinden, haben wir in dem Dachausbau in der Pappelallee ein sehr lichtes Hellgrün gewählt. Das hat Catharina Förster damals per Hand angemischt.

Keine Wohnung ohne ein gutes Bad. Was beachten Sie bei der Planung Ihrer Bäder?
Die plane ich immer bewusst klein, so dass man sich gerade noch ganz gut bewegen kann. Ich glaube, dass man alle DIN-Normen in der Größe unterschreiten kann. Es gibt zum Beispiel diese Kompaktreihe von Duravit, die ein gestauchtes WC ermöglicht. So kann man das Bad minimieren, um diese Zentimeter für die anderen Räume zu gewinnen. Das Kompakt-WC ist aber sowieso viel schöner als ein normales WC – ich würde es auch in einem normal großen Bad einbauen. Außerdem sollte hier eine Bodendusche realisiert werden, was im Altbau mit der Verrohrung nicht einfach ist. Ein weiteres Ziel ist, so wenig wie möglich zu fliesen und bei fünf mal fünf Zentimeter großen Fliesen, dass man nicht schneidet. In Niederschönhausen habe ich einen Graublau-Ton aus Feinstein gewählt – „pale blue“ (Winckelmans) heißt der.

Mit welchem Trick fliest man ein Bad ohne Verschnitt?
Dadurch, dass man Trockenbauplatten aufdoppelt und vor Ort mehrfach mit dem Fliesenleger anzeichnet und diskutiert. Das funktioniert nicht immer, aber meistens. Und ich verwende auf keinen Fall Fliesenkanten oder Schlüterschienen, sondern saubere Fugen. Klingt alles einfach, sind aber Schwierigkeiten.

Ihr erstes eigenes Bauprojekt war der Atelierumbau von Jeppe Hein. Wie kam es dazu?
Über Catharina Förster – sie arbeitet bei Jeppe Hein, und wir haben das Projekt zusammen realisiert. Das Studio von Jeppe Hein ist 2012 von Kreuzberg in das letzte Drittel der ehemaligen Ausstellungshalle von Johann König in der Dessauer Straße gezogen. Das ging alles sehr schnell, der Umbau musste in drei Monaten fertig sein.

Sind Künstler denn gute Bauherren?
Wenn das Vertrauen da ist, ist das super, weil man über freiere Konzepte einfacher sprechen kann. Es gibt aber auch knallharte Bedürfnisse, zum Beispiel, dass alle Mitarbeiter einen Platz mit Ausblick haben – dadurch ist dieses quadratische Innenfenster entstanden. Es gibt große Oberlichter, Fenster und die innere Sonne. Diese hätten wir in einem privaten Bauvorhaben vermutlich nicht realisieren können. Wir haben die dunkelste Stelle im Raum gesucht und dort diese Sonne malen lassen. Generell lassen sich unkonventionelle Details vor Ort ohne lange Absprachen umsetzen: Der Trockenbau stößt nur mit einer kleinen grauen Fuge auf den Boden. Diskussionen um Fußleisten hat man mit Künstlern nicht.

Woran arbeiten Sie gerade? Was sind Ihre nächsten Projekte?
Für ein Ferienhaus in der Uckermark stellen wir zum Ende des Jahres den Bauantrag. Außerdem arbeiten wir an einem Wettbewerb sowie zwei größeren Studien zur Nachverdichtung Neuköllns.

Wird das Haus in der Uckermark Ihr erster Neubau?
Ja, unter eigenem Namen, und der erste Holzbau, in Strickbauweise.

Was ist ein Strickbau?
Strickbau heißt, dass man Bohlen von 94 Millimetern ineinander so verkeilt, dass sie eine Bindung ergeben ohne Nägel oder Leim.

Das erinnert an japanische Bautraditionen.
Den Strickbau haben die Schweizer sehr weit entwickelt (Caminada, Zumthor). Es gibt dabei bestimmte Spielregeln: zum Beispiel, dass sich alle Innenwände nach außen abzeichnen. Das wird meinen bisherigen Entwurf noch einmal anders prägen.


Helga Blocksdorf arbeitet seit drei Jahren als freischaffende Architektin, ihre ersten Projekte hatte sie 2012 zusammen mit Catharina Förster realisiert. Zur Berliner Gruppe après-nous gehört neben Blocksdorf und Förster die Schweizer Architektin Florence Girod. Das Trio erschafft temporäre Rauminstallationen. Helga Blocksdorf hat an der Bauhaus-Universität Weimar und an der UdK Berlin Architektur studiert und war als Bauleitung, Projektarchitektin und im Wettbewerbsteam für Staab Architekten in Berlin tätig. Von 2007–12 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Entwerfen und Baukonstruktion von Professorin Ute Frank an der TU Berlin und hat dort das Doktorandenkolloquium EKLAT – Entwerfen und Konstruieren in Lehre, Anwendung und Theorie mit aufgebaut.

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Helga Blocksdorf Architekten

www.helgablocksdorf.de

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