Herzensangelegenheit Handwerk
Studiobesuch bei Mareike Lienau von Lyk Carpet
Frauen erobern die Teppichbranche. Eine davon ist Mareike Lienau, die 2009 das Label Lyk Carpet gegründet hat. Wir haben die Designerin in ihrem Berliner Studio getroffen – zwischen Teppichmustern, Mood Boards und Souvenirs.
Mareike Lienau öffnet die Tür zu ihrer dreistöckigen Altbauwohnung in einem Kreuzberger Hinterhof – eine Idylle mit Garten, Kaninchenstall und verwinkelten Räumen. Gleich neben dem Entree befindet sich ihr Atelier, das eigentlich nur aus einem Arbeitstisch, Bücherregalen und einem Apothekerschrank besteht. Auf dem Boden stapeln sich Teppiche aus der aktuellen Kollektion und Teppichproben. An die Wand sind Zeichnungen und Entwürfe gepinnt, im Regal Souvenirs wie Muscheln und Steine aufgereiht.
Selbst ist die Frau
Zwölf Jahre ist es her, dass Lienau mit Lyk Carpet in der Teppichszene auftauchte. Die Mittvierzigerin hat an der Universität der Künste in Berlin Produkt- und Prozessgestaltung studiert und sich gleich nach dem Studium selbständig gemacht. Allerdings nicht als Teppichgestalterin, sondern als Grafikdesignerin. Dieses Know-how kommt ihr auch jetzt noch zugute: So hat sie neben dem verschlungenen Lyk-Logo auch die schlichte Karton-Verpackung für die Wandteppich-Kollektion Textile Poster, Bauhaus-Frauen (2017) entworfen. Von Beginn an arbeitet Mareike Lienau allein – sie ist Designerin aller Kollektionen und kümmert sich gleichzeitig um die Herstellung der Teppiche, den Vertrieb und die Buchhaltung. Nichts habe sie auf das Berufsleben vorbereitet und so habe es eine Weile gedauert, bis sie ihren Weg gefunden hätte, erzählt sie bei einem Kaffee.
Allzweckwaffe Teppich
Lienau verkauft zwar auch einige ihrer Entwürfe in spezialisierten Teppichläden. Doch eigentlich arbeitet sie fast ausschließlich projektbezogen, was bedeutet, dass ihre Teppiche jeweils maßgefertigt sind. Ihre Kunden sind vor allem Architekten, Innenarchitekten und Privatleute, die durch Magazine, Instagram oder Pinterest auf ihre Arbeiten aufmerksam werden. Oft würden mit den Teppichen gestalterische Akzente gesetzt oder komplexe Raumsituationen gelöst, erzählt Lienau. Und: „Wenn meine Kunden hören, dass man meine Teppiche individuell gestalten und fertigen kann, sind sie Feuer und Flamme.“ Und doch wünscht sie sich, dass mehr (Innen-)Architekten die Qualität ihrer handgearbeiteten Teppiche und den Mehrwert des Kunsthandwerks erkennen und nicht ausschließlich auf Industrieware setzen würden. Oft scheitere es am vermeintlich zu hohen Preis, der sich jedoch aus der Wertschöpfungskette und spürbaren Qualität der Teppiche erkläre, sagt die Designerin. „Ich möchte so ressourcenschonend, ökologisch, sozial und fair wie möglich arbeiten“, ergänzt sie.
Es liegt in der Familie
Mareike Lienau entwirft Teppiche für Wand und Boden, die in Nepal handgeknüpft und manchmal auch gewebt werden. Seit einiger Zeit entstehen auch Objekte wie Poufs und Sitzbänke, wobei auch hier die Teppichkunst im Vordergrund steht. Manchmal kombiniert die Gestalterin verschiedene Materialien und Handwerkstechniken, so beispielsweise bei der dreiteiligen Sitzbank Come As You Are – einem Zusammenspiel von Teppichen und handgefertigten Fliesen der Marke Golem, in deren Brandenburger Manufaktur Lienau einige Zeit verbrachte. „Mich hat das Kunstwerk immer interessiert“, sagt Lienau, „aber mir geht es auch darum, alte Handwerkstechniken neu zu interpretieren“. Schon in ihrem Elternhaus ist sie mit Teppichen in Berührung gekommen, wobei ihre Oma ein echter Teppich-Freak gewesen sei, erzählt sie.
Fairer Handel & pflanzliche Farben
Sämtliche Teppiche von Lyk Carpet werden von Exil-Tibetern in einer kleinen Manufaktur in Kathmandu gefertigt, dem Zentrum der nepalesischen Teppichindustrie. „Mir ist es wichtig in einem Land zu produzieren, in dem ich als Frau ernstgenommen werde und mich frei bewegen kann“, so Lienau. Seit der Gründung ihres Teppichlabels lässt sich die Designerin über den gesamten Entwicklungsprozess vom Schweizer Fairtrade-Label STEP begleiten, wobei Nachhaltigkeit und die Erhaltung der Wertschöpfungskette vor Ort im Fokus stehen. So werden die Scherer*innen, Wäscher*innen, Spinner*innen, Färber*innen, Knüpfer*innen und Weber*innen fair bezahlt und behandelt – und zugleich Handwerkstraditionen erhalten und Ausbildungsplätze geschaffen. Lyk Carpet arbeitet mit handgesponnener, tibetanischer Hochland-Schurwolle, die nicht gebleicht wird und ausschließlich mit pflanzlichen Farben gefärbt wird. Allein die Farbentwicklung habe zwei Jahre gedauert, erzählt Lienau. Entstanden sind insgesamt 120 Nuancen – allesamt keine traditionellen Farben und weniger knallig.
Design, Kunst & Handwerk
Als Gründerin brauchte Lienau einen langen Atem. Allein fünf Jahre lang arbeitete sie parallel als Grafikdesignerin, ehe sich Lyk Carpet finanziell trug. Von anderen Teppichlabels unterscheidet sie sich durch die freie Form ihrer Teppiche und die Kombination verschiedener, eigens entwickelter Techniken. Hinzu kommt die Verwendung handgesponnener Wolle und pflanzlicher Farben. Seit einiger Zeit beobachtet Lienau, dass immer mehr Labels einen ähnlichen Ansatz verfolgen, wobei der Markt für Designerteppiche in den letzten Jahren geradezu explodiert ist.
Als Unternehmerin ist die Designerin eher vorsichtig: Ihr ist es wichtig, dass zwischen dem Teppich, dem Ort und dem Nutzer eine Beziehung entsteht – was eine Massenproduktion von handgefertigten Teppichen von vornherein ausschließt. „Ich bin nicht der Typ, der huntert Teppiche produziert und sich damit auf eine Messe stellt“, sagt sie. Ihre Auftraggeber sind breit gefächert, was zwei ihrer aktuellen Projekte zeigen: Lienau stattet ein vom Düsseldorfer Innenarchitekturbüro Raumkontor entworfenes Bürogebäude für Adesso am Moritzplatz in Kreuzberg mit einer Lounge aus. Und sie arbeitet gleichzeitig mit einer Manufaktur in Thüringen zusammen, die Posamente und Kordeln herstellt. Architektur, Interiordesign, Kunst und Handwerk – das sind die Pole, zwischen denen sich Lienau bewegt. Was sie am meisten an ihrer Arbeit fasziniert: die Geschichte, die hinter jedem Teppich steckt.