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Man Made Land

Das Berliner Landschaftsarchitekturbüro über seine deutsch-französisch-schwedische Kollaboration und den Kampf gegen den Öko-Sumpf.

von Tim Berge, 26.05.2016

Das 2010 in Berlin gegründete Büro Man Made Land hat sich innerhalb kürzester Zeit europaweit einen Namen im Bereich der Landschaftsarchitektur gemacht. Dabei war das Nest für die deutsch-französisch-schwedische Kooperation alles andere als hergerichtet. Ein aufsehenerregender erster Wettbewerbsgewinn in Kopenhagen, der eine Verbrennungsanlage mit einer Skipiste verbindet, brachte den ersehnten Schub für Anna Lundqvist, Alexandre Mellier und Christian Bohne. Wir trafen uns mit ihnen in ihrem Kreuzberger Studio und sprachen über den deutschen Öko-Sumpf, ihre grüne Strategie und die nationalen Unterschiede in der Landschaftsarchitektur.

Ihr seid ein deutsch-französisch-schwedisches Führungsteam: Wie kam es zu eurer Zusammensetzung?
Anna Lundqvist: Das ist ein bisschen Berlin zu verdanken und spiegelt die hiesige Architekturszene wider. Wir haben alle bei Topotek 1 gearbeitet, waren dort ein super Team und haben uns irgendwann gedacht: Warum nicht etwas Eigenes machen!?

Gab es denn so etwas wie ein Projekt, das euch bei der Entscheidung etwas Rückenwind gegeben hat?
Anna Lundqvist: Nein, wir haben bei Null angefangen. Und die ersten zwei, drei Jahre waren wirklich hart.

Alexandre Mellier: Ja, im Nachhinein kann man das nur als mutig bezeichnen.

Christian Bohne: Wir hatten aber auch Glück, dass wir gleich am Anfang unserer gemeinsamen Zusammenarbeit ein Projekt wie Amagerforbrænding machen konnten.

Hattet ihr von Anbeginn eine gemeinsame Idee, wie ihr wahrgenommen werden wollt?
Alexandre Mellier: Improvisation!

Anna Lundqvist: Wir waren vorkultiviert durch unsere gemeinsame Erfahrung bei Topotek 1.

Christian Bohne: Wir stehen uns kulturell sehr nah durch die geteilte Vergangenheit, wollten aber ganz bewusst kein Design-Manifest verfassen, weil wir erst am Anfang eines Weges stehen. Wir wollen uns die Dinge und unsere Entwicklung ein bisschen offen lassen.

Anna Lundqvist: Was wir versuchen, ist immer einen zusätzlichen Benefit zu schaffen und nicht nur sklavisch das geforderte Programm zu erfüllen: Eine Art „Grüne Strategie“! Bei Amagerforbrænding, eigentlich nur ein Fassadewettbewerb, war das die Hinzufügung einer öffentlichen Nutzung, die einen spannenden Mehrwert erzeugt. Oder in Malmö: Dort haben wir bei einem Wohnungsbauprojekt dafür gesorgt, das jedes Apartment einen eigenen Wintergarten bekommt, der bepflanzt werden kann. Jetzt müssen die Bewohner im Winter nicht mehr nach Thailand fliegen, sondern können einen schönen Urlaub zuhause verbringen. Wir versuchen, uns immer auf jedes Projekt neu einzulassen.

Wer beauftragt euch denn?
Christian Bohne: Das hält sich die Waage zwischen Kommunen und Architekten. Mit Architekten ist die Zusammenarbeit natürlich eine etwas intensivere, weil sie sich auch auf der Seite der Gestalter befinden. Kommunen interessieren sich oftmals nur um die Erfüllung von Zahlenwerken, was aber auch Freiheiten auf der kreativen Seite bedeutet. Wie es am Ende aussieht, ist für die Gemeinden oft zweitrangig.

Würdet ihr mit jedem Architekten zusammenarbeiten?
Christian Bohne: Das geht schon aus büroorganisatorischen Gründen nicht: Dann müssten wir 50 Angestellte haben.  Wir machen die Sachen gerne richtig – und nicht nur mit halber Kraft.

Anna Lundqvist: Erst mal muss man sagen, dass uns viele Architekten immer wieder mit ins Boot holen, gerade weil wir das Gespräch in der Zusammenarbeit mit ihnen suchen und auch eine Meinung zur Architektur haben.

Alexandre Mellier: Die Kooperation mit großen Büros bedeutet oft mehr Publikationen. Aber gebaut haben wir davon meist nichts. Bei kleineren Büros, zu denen wir ja auch noch zählen, ist die Arbeitsauffassung noch eine etwas andere: Viele sind bereit, noch etwas mehr zu geben oder ganz einfach noch ein paar Stunden länger am Tag an einem Projekt zu arbeiten. Wir müssen immer ein bisschen mehr kämpfen als die anderen!

Gibt es denn nationale Unterschiede in der Wahrnehmung von Landschaftsarchitektur?
Alexandre Mellier: Die Geschichte der Landschaftsgestaltung ist in Frankreich natürlich eine ganz andere als in Deutschland oder Schweden. Deswegen ist das Studium der Landschaftsarchitektur wesentlich elitärer, und Du kannst nur in dem Bereich arbeiten, wenn Du den dazugehörigen Titel hast. Ich glaube, dass es nur zwei Universitäten überhaupt gibt: Versailles und Bordeaux. Und wenn Du da raus kommst, lebst Du in einem sehr geschlossenen Kosmos, der sich nur um die französische Landschaftskultur bewegt.

Anna Lundqvist: In Schweden ist das das genaue Gegenteil: Wir sind der Spiegel der Umwelt und machen das, was alle anderen machen. Und diese Mainstream-Kultur verfeinern wir.

Wie sieht denn die Landschaftskultur in Deutschland zurzeit aus?
Alexandre Mellier: Aus meiner Sicht ist in Deutschland seid Lenné nicht viel passiert.

Anna Lundqvist: Nein, das stimmt nicht. Aber in Deutschland herrscht seit den 1970er Jahren eine Art Öko-Sumpf, aus dem es sich jetzt erst langsam befreit.

Alexandre Mellier: Ja, das startet jetzt langsam mit Projekten wie dem Gleisdreieck-Park in Berlin. Das könnte der Start einer modernen Phase für Deutschland sein. Aber grundsätzlich sehen die meisten Grünflächen immer noch aus wie der Görlitzer Park: eher ungepflegt und wenig repräsentativ.

Christian Bohne: Es gab aber schon eine spannende Nachkriegsmoderne in Deutschland. Aber die Planungskultur ist einfach eine ganz andere: Es gibt hier nicht diese Sorte von Prestigeprojekten, wie es sie in Frankreich gibt. Auch in der Architektur.

Anna Lundqvist: In Deutschland geht es viel weniger formal zu.

Christian Bohne: Es geht hier auf jeden Fall sehr anders zu, und das hat Vor- und Nachteile. Zu den Nachteilen gehört, dass wir uns tatsächlich immer noch in dem besagten Öko-Sumpf befinden, in den wir uns teilweise selber, teilweise auf Druck von außen, hineinbewegt haben. Und sich da raus zu winden, bedarf Selbstbewusstsein, und das ist gerade erst im Entstehen. Aber wir blicken einer großartigen Zukunft entgegen. (alle drei lachen)

Ihr macht kleine, feine und ihr macht große, kommerziellere Projekte: Ist diese Balance gewollt?
Anna Lundqvist: Die Wahrheit ist, dass wir uns das nicht selbst ausgesucht haben. Wir haben nur die Chance ergriffen, wenn etwas Interessantes wie das Flussbad Berlin auf uns zukam. Aber wir finden das selbstverständlich gut!

Christian Bohne: Ich mache da auch gar keinen Unterschied: Wir arbeiten zurzeit mit einem Investor an einem größeren Wohnbauvorhaben in Berlin zusammen und die Zusammenarbeit auf architektonischer und inhaltlicher Ebene ist hervorragend. Und dann gibt es kleinere Projekte, wo der Bauherr kaum an dem Ergebnis interessiert ist.

Gibt es gerade so etwas wie einen Trend zur Landschaftsarchitektur?
Christian Bohne: Es gibt eine Bewegung, die hat vor ein paar Jahren begonnen und wird tatsächlich immer stärker.

Anna Lundqvist: Das hat auch damit zu tun, das in immer mehr Architektur-Wettbewerben gefordert wird, einen Landschaftsarchitekten zu beteiligen.

Christian Bohne: Dahinter steckt aber auch noch ein anderer Aspekt: Die Bautätigkeit an sich wird immer komplexer und damit die technischen Anforderungen, auch an den Außenbereich. 60 Prozent unserer Tätigkeit haben mit der Lösung technischer Probleme zu tun, das Aussuchen schöner Pflanzen spielt leider nur noch eine untergeordnete Rolle. Wir werden schlichtweg beim Bauen gebraucht.

Stimmt denn die klischeehafte Vorstellung, dass ihr Landschaftsarchitekten Pflanzen und Blumen aussucht, überhaupt noch mit der Realität überein?
Christian Bohne: Das macht am meisten Spaß, dauert aber die wenigste Zeit.

Alexandre Mellier: Klar mögen wir das. Aber es ist keine leichte Aufgabe, weil in jedem Bauherrn auch ein kleiner Gärtner steckt. Und jeder hat seinen eigenen Geschmack: Der eine mag weiße Blumen, der andere blaue.

Christian Bohne: Ein schönes Pflanzkonzept beim Bauherrn durchzusetzen, ist leider keine einfache Aufgabe: insbesondere bei Städten und hier insbesondere in Berlin. Die Kommunen wollen keine pflegeaufwendigen Grünflächen haben – dabei ist es aus unserer Sicht natürlich gerade ein gutes Pflanzkonzept, was ein Projekt erlebbar macht. In Berlin-Reinickendorf, wo unser Projekt Fontane-Haus steht, gibt es beispielsweise kein reguläres Pflegebudget mehr für Grünflächen. Erst, wenn ausreichend Beschwerden eingegangen sind, wird eine Art Noteinsatz gestartet.

Was sind denn eure Lieblings-Draußen-Orte in Berlin?
Alexandre Mellier: Britzer Garten! Der Rasen ist perfekt, und es gibt keine Hundekacke. (lacht) Und Du siehst immer einen kleinen Mann, der ein paar Blätter einsammelt.

Anna Lundqvist: Ich mag den Park und die Spreepromenade am Präsidentendreieck im Moabiter Werder und den Tiergarten sehr gerne.

Christian Bohne: Ich finde die etwas urbaneren Räume interessant: den Kupfergraben und den Monbijou-Park.

Liebes Man Made Land-Team, vielen Dank für das Gespräch! 

Mehr aus dem großen Designlines-Themenspecial Draußen lesen Sie hier.

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www.manmadeland.de

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