New Tendency: Subtiler Humanismus
Ein Gespräch mit den Brüdern Manuel und Christoph Goller

Kottbusser Tor, mehr Kreuzberg geht nicht. In der Adalbertstraße 6, dem ersten Gewerbehof direkt hinter dem Zentrum Kreuzberg, sitzt in einem Loft in der zweiten Etage das Team von New Tendency. Der Name des Möbellabels ist Programm. Das Trio, bestehend aus Sebastian Schönheit und den Brüdern Christoph und Manuel Goller, arbeitet auf Hochtouren. Trotzdem haben sie Zeit für ein Gespräch über gute Gestaltung und die Möbelindustrie.
Wie viel Humanismus steckt in New Tendency? Manuel Goller: Oh, eine geisteswissenschaftliche Frage, das kann ich so auf die Schnelle gar nicht beantworten …
Christoph Goller: Wir sind kein konzeptuelles, vom Reißbrett geplantes Unternehmen, wir kommen aus der Ästhetik und der Funktion. Es steckt auf jeden Fall eine Portion Humanismus drin. Vielleicht müssen diese Frage eher unsere Kritiker oder Journalisten beantworten, die uns von außen beurteilen können.
MG: Gegenfrage: Auf was zielt die Frage ab?
Nun: Welche Rolle spielt der Mensch in eurer Gestaltung? MG: Wir stützten unsere Gestaltung nicht auf Marktforschung und analysieren menschliche Bedürfnisse, um nach diesen Erkenntnissen unsere Produkte zu gestalten. Aber ich denke schon, dass unsere Produkte kulturelle und ästhetische Bedürfnisse des Menschen befriedigen. Uns ist wichtig, Dinge zu gestalten, die das Lebensgefühl verbessern, und an denen man sich erfreuen kann. Es sind die Kleinigkeiten im Alltag – wir versuchen Produkte zu entwickeln, die eine Geschichte erzählen und einen Charakter haben. Unsere Kunden schätzen die Details und die den Produkten zu Grunde liegenden Geschichten. Insofern sind unsere Produkte schon humanistisch. Wenn auch auf subtile Art und Weise.
Also kein Dogma. MG: Nein! Überhaupt nicht!
Wie würdet ihr eure Zielgruppe definieren? MG: Querbeet: vom Studenten, der zwei Jahre lang spart, um sich ein Objekt zu kaufen, bis hin zur Vorsitzenden eines milliardenschweren DAX-Unternehmens.
Eure Erwartung an gutes Design? MG: Neben funktionalen und ästhetischen Aspekten muss ein Produkt eine Persönlichkeit haben und seinen eigenen Charakter entwickeln. Deshalb veröffentlichen wir auch nicht 50 neue Produkte im Jahr, sondern nur Produkte, von denen wir wirklich überzeugt sind. Wir sind sehr kritisch mit uns selbst. Der Markt ist riesig. Ein Produkt braucht das gewisse Extra. Christoph Goller: Diese Unabhängigkeit haben wir uns erarbeitet: Wir können selbst entscheiden können, welches Produkt uns überzeugt und welches nicht – was kommerziell gut passt oder eine Marktlücke füllt, ist zweitrangig.
Gibt es einen New-Tendency-Bestseller? MG: Glücklicherweise hält sich das die Waage. Im letzten Jahr waren wir sehr erfolgreich mit unseren MASA-Tischen. Da kann man schon fast von einem Bestseller sprechen, weil wir damit nicht nur Privatleute, sondern auch viele Firmenkunden erreichen. Hinzu kommt, dass es den Tisch nicht nur in einer Größe gibt, Architekten können mit einer Matrix aus vielen verschiedene Größen planen. Der Tisch ist aktuell in vielen Projekten im In- und Ausland eingeplant. Unter anderem im neuen Büro von Artsy in Berlin.
Ein anderes Thema, über das man eigentlich nicht spricht, sind die Honorare. Als Produktdesigner kann man von seinen Entwürfen kaum leben, die Royalty Fees orientieren sich noch an einem System aus den Fünfzigerjahren. Ihr habt euch ein eigenes Business-Modell aufgebaut. Erklärt mal! MG: Ja, haben wir, aber aus einem anderen Grund: Weil wir finden, dass die Gestaltung nicht beim Produkt aufhört. Mit dem fertigen Entwurf verabschiedet man sich als Designer von seinem Produkt, auch wenn man noch in den Produktionsprozess eingebunden ist. Unsere Strategie ist ganzheitlicher: Wir denken ein Produkt vom Entwurf bis zur Kommunikation und Vertrieb, arbeiten mit tollen Fotografen wie Jonas Lindstroem zusammen der sonst für Calvin Klein, Kenzo oder Fendi, fotografiert.
CG: Es hört eben nicht mit dem Entwurf auf, damit fängt es erst an!
Mit welchem Prozentsatz müssten Produktdesigner von den Herstellern aus eurer Sicht denn honoriert werden, damit es fair wird? CG: Als wir zwischenzeitlich selbst mit einigen wenigen externen Designern und Architekten zusammengearbeitet haben, hatten wir uns dabei immer für faire Beteiligungssätze entschieden. Dazu muss man aber sagen, dass auch wir als New Tendency nur Teil einer großen Kette sind: In dem Endpreis eines Produkts sind neben Designer und Hersteller auch der Händler mit teurer Ladenmiete in der Innenstadt, Marketing, PR, Handwerker, Lackierer und Logistik enthalten. Es sind also viele andere Player involviert. Insofern klingen die Prozentsätze für den Designer zunächst immer erschreckend niedrig, sind sie aber nicht unbedingt.
MG: Zu Beginn hatten wir deutlich höhere Beteiligungen gearbeitet, nach gründlicher Analyse jedoch gemerkt, dass diese einmalige Arbeit des Entwurfs – die schon zuvor honoriert worden ist – nur wenige Prozent des Preises beanspruchen kann wenn man wirtschaftlich arbeiten möchte. Die Hersteller müssen viele Kosten tragen – zum Beispiel die Messekosten: Da fallen bei den großen Unternehmen zum Teil sechsstellige Beträge für einwöchige Messeauftritte an. Man muss sich das genauer anschauen. Die Mischung aus einer einmaligen Bezahlung des Entwurfs und einer Royalty Fee ist meiner Meinung nach für alle fair. Das Honorar für den Entwurf bleibt letztlich eine Verhandlung zwischen Designer und Hersteller.
CG: Ich glaube, dass es auch schwer ist, den gesamten Prozess auf den ersten Blick zu verstehen. Man denkt, der Erfolg eines Produkts basiert nur auf dem Entwurf… stimmt aber nicht ganz: Es ist ein unglaublich komplexes System.
MG: Natürlich ist die Gestaltung essentiell, aber es gibt sehr viele, sehr gute Entwürfe, die wir nie sehen werden, weil sie niemals verkauft werden. Es ist eben wie in der Mode- oder der Musikindustrie: Wenn es der beste Künstler, der den tollsten Song schreibt, nicht auf die Bühne schafft, liegt es oft nicht an seinem fehlenden Talent, sondern auch an der fehlenden Arbeit, die man nach dem Songschreiben investieren muss.
Stichwort Mode: Empfindet ihr auch, dass die Möbelindustrie immer schneller wird? MG: Ich denke, das Tempo der Möbelindustrie ist weit von dem der Modebranche entfernt: Es gibt schließlich keine Woche, in der nicht irgendwo auf der Welt gerade eine Modewoche stattfindet.
CG: Im Accessoire-Bereich, der gerade Einzug in die Möbelbranche hält, sieht es natürlich anders aus – da kann man den Vergleich mit der Mode schon ziehen. Wir sehen das kritisch. Von New Tendency wird es so bald keine bedruckte Kaffeetasse geben. Ab und zu ist es aber auch mal schön, kleinere Produkte mit einer hochwertigen Gestaltung für den Alltag zu entwickeln.
2009 gegründet, nennt ihr euch seit fünf Jahren New Tendency. Denkt ihr manchmal noch an die Zeiten, als es hieß „My Bauhaus is better than yours“? Hat sich euer Studio durch den Namen verändert – seid ihr „erwachsen“ geworden? MG: Total! Der Name stammt ursprünglich von Daniel Burchard, einem Freund und Kommilitonen – „My Bauhaus is better than yours“ war unsere gemeinsame Diplomarbeit. Nach der Abmahnung vom Bauhaus Baumarkt ist er ausgestiegen um sich seiner Familie zu widmen: Er ist Vater geworden und hat zunächst für Mykita gearbeitet und jetzt für Nomos. „My Bauhaus is better than yours“ war, was es eben war: ein Diplomprojekt von Studenten. Die Ernsthaftigkeit von unserem Handeln haben wir erst mit der Abmahnung begriffen. Und auch die Reichweite: Offenbar waren wir Herr Baus und seinen Anwälten ein Dorn im Auge.
CG: Vorher war alles wesentlich verspielter. Und die Umbenennung in New Tendency war ein Schritt zum Erwachsenwerden. Wir standen vor der Entscheidung, ob wir das Projekt entweder beenden oder richtig loslegen.
MG: New Tendency war eine Entscheidung. Der Name hat Energie und ist Programm.
Ihr seid zu bescheiden! MG: Die kleinen Momente sind das Schönste: Wenn man viel Arbeit in eine Ausstellung investiert hat, und dann sieht, dass es den Leuten gefällt, sie inspiriert. Das genießen wir intensiv, aber freuen uns dann schon wieder auf die Arbeit am nächsten Projekt oder der nächsten Ausstellung.
Habt ihr ein Vision für New Tendency, oder lebt ihr im Moment? MG: Wir sind sehr viel im Jetzt, aber für uns ist es schon ein Ziel, ein größeres Unternehmen zu werden – nur nicht auf Teufel komm raus. Gerne würden wir unsere Produkte breiter aufstellen. Mykita – die direkt um die Ecke sitzen – sind ein wahnsinnig gutes Vorbild, wie es ihnen gelungen ist, sich international aufzustellen und trotzdem Standort und Produktion in Berlin bei zu behalten. Ob wir es auf so eine Größe schaffen, weiß ich nicht, aber es ist eine tolle Motivation.
CG: Mykita hat ein breites Produktspektrum, aber immer noch mit einer klaren Linie. Das Unternehmen kann also relativ zugespitzt bleiben, aber trotzdem einen breiteren Markt erreichen.
Das bleibt immer ein Spagat. MG: Genau das interessiert uns. Es ist immer noch ein Nischenprodukt, aber trotzdem tragen stilbewusste Hollywood-Stars auf der Fashion-Week eine Mykita-Brille. Wir wollen nicht Mainstream werden. Unser Ziel ist, die Nische, die wir gerade ansprechen, global zu erreichen.
CG: Meiner Meinung nach wächst diese Nische auch: Die Nachfrage steigt, weil das Bewusstsein für Qualität, Ästhetik und Form deutlich größer geworden ist. Heute kauft man sich keine Produkte mehr, die man nach ein paar Wochen wieder wegwirft.
MG: …oder nach dem nächsten Umzug!
CG: Es geht eher darum, dass wenn man sich heute etwas noch nicht leisten kann, viele lieber warten, und sich dann genau das kaufen, was sie haben möchten. Mehr Geld auszugeben für gute Dinge: Gute Lebensmittel, gute Möbel, das kommt uns natürlich entgegen.
MG: Es gibt zwei konträre Märkte, aber der nachhaltige Konsum spielt uns natürlich in die Karten. Gerade im Bürobereich investieren viele Firmen heute lieber in Tische, die mehr kosten, aber dafür besser und langfristiger funktionieren.
CG: Und sich besser anfühlen: Da geht es dann doch in Richtung Humanismus, weil, wenn man die Hand auflegt und das Material erlebt, geht es um Gefühl und Menschlichkeit. Das ist zwar subtil, spielt aber unheimlich wichtige Rolle.
MG: (lacht) Sehr gut, damit hast du meinen Patzer bei Frage eins gerettet!
FOTOGRAFIE Jonas Lindstroem
Jonas Lindstroem
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