Sitzen mit Matisse
Ein Gespräch über kreative Produktinszenierung beim Möbellabel more

Partner: more
Was passiert, wenn eine Grafikerin Designobjekte interpretiert? Das zeigt das Hamburger Möbellabel more im aktuellen Katalog. Gründer Bernhard Müller und Illustratorin Marie Doerfler sprechen im Interview über ihre Zusammenarbeit, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer Disziplinen und das Verhältnis von Kunst und Architektur.
Mailand im Juni 2022: Auf dem Salone del Mobile fällt der Stand von more sofort ins Auge. Großformatige Bilder im fast märchenhaft anmutenden Stil von Marie Doerfler kontrastieren die geradlinigen Entwürfe und zitieren sie zugleich in räumlichen Szenen mit Menschen und Pflanzen. Sie wirken einladend und beruhigend, wohl auch, weil sich Marie Doerfler auf bekannte Künstler*innen wie Henri Matisse bezieht. Die 1993 in Regensburg geborene Illustratorin und Kommunikationsdesignerin arbeitet für Magazine, Kinderbuchverlage und Marken wie Dr. Hauschka. Im Interview sprechen die Künstlerin und der Architekt Bernhard Müller, geschäftsführender Gesellschafter und Gründer von more, über ihre Zusammenarbeit.
Herr Müller, wie sind Sie auf die Arbeit von Frau Doerfler aufmerksam geworden?
Bernhard Müller: Das kam über einen Kontakt aus unserem Studio zustande. Zu der Zeit hatte ich ein Interview gelesen mit jemandem, der für die Vogue in den Siebzigerjahren komplett von Fotos auf Illustrationen umgestiegen ist. Nach zahlreichen Gesprächen mit Grafikern und Illustratoren haben wir zum Glück Marie kennengelernt. Ihre Art, wie sie malt und Dinge interpretiert, war genau das, was wir uns vorgestellt hatten.
Was waren die ersten Schritte in der Zusammenarbeit?
Marie Doerfler: Für den Katalog 2021 lag der Fokus darauf, die Möbel mit Figur, Raum und Pflanze zu verbinden. Mir wurden die ersten Entwürfe der Kollektion zugesandt, sodass ich mich bereits im Zweidimensionalen mit der Form auseinandersetzen konnte. Im Showroom in Hamburg habe ich mir dann alles vor Ort ansehen dürfen. Mir wurden auch verschiedene Materialien mitgegeben mit ihrer verschiedenartigen Haptik und Struktur. Gerade die unterschiedlichen Schleifgrade beim Holz fand ich sehr beeindruckend. Aber auch die Textilien waren für mich wichtig, um einen Eindruck von der Farbgebung der Kollektion zu gewinnen.
Wie sahen Ihre Kataloge vorher aus, Herr Müller?
Bernhard Müller: Bis dahin hatten wir fast immer Still-Life-Fotografie im Katalog. Der Titel war eine Architekturaufnahme. Wir inszenieren unsere Produkte „on location“ in einem bis drei Shootings pro Jahr. Die Illustrationen einmal durch den Katalog zu spinnen, hatte auch den Effekt, einen ganz anderen Blick auf unsere Produkte zu gewinnen. Unsere Kunden haben viel mit Kunst und Architektur im Sinn. Anfangs wollten wir es abstrakter, bis wir uns entschieden, die Bilder eher gegenständlich zu gestalten und sie mit Leben zu füllen, ob nun durch Figuren oder Pflanzen.
Frau Doerfler, woher nehmen Sie die Inspirationen für Ihre Figuren?
Marie Doerfler: Für die Bildkompositionen mit Figur im Raum und die leicht verschobenen Perspektiven mit diesen grafischen Elementen dienten mir die Werke von Henri Matisse als Inspiration. Auch Rosie McGuinness hat sehr spannende Modeillustrationen und Tuschezeichnungen mit angeschnittenen Körpern gemacht. Wie oft in der Illustration, sind auch meine Arbeiten für more eine Wiederholung des Gezeigten aus einer anderen Perspektive.
Wie arbeiten Sie?
Marie Doerfler: Bei mir ist es eine Mischung aus analogen und digitalen Techniken. Ich sammle Ideen im Skizzenbuch, dann scanne ich sie ein und mache anschließend eine Reinzeichnung auf meinem iPad in ProCreate. Die drucke ich aus, lege sie auf den Leuchttisch, arbeite dann wieder analog mit der Bleistiftlinie und beginne, mit Tuschen, Acrylfarben und Kreiden in gedeckten Farben die Grundkomposition anzudeuten. In ProCreate stelle ich das Bild dann fertig und koloriere es. So kann ich auch immer wieder Änderungen und Abstimmungen vornehmen.
Herr Müller, sehen Sie dabei Parallelen zum Designprozess?
Bernhard Müller: Je nach Designer ist der Prozess sehr unterschiedlich. Ich arbeite immer noch gerne analog. Ich muss die Dinge in die Hand nehmen, drehen und anfassen können. Manchmal entsteht ein neues Produkt nur auf Basis einer Handskizze oder eines Modells. Ausgangspunkt sind oft kleine Details. Gerade haben wir einen Stuhl von Gil Coste in Arbeit. Der Entwurf ging von einem 1:10-Modell aus. Dieses haben wir digitalisiert und es dann aus Schaum, Pappe und Lehm 1:1 gebaut. Dann wurde dieses Modell erneut digitalisiert und noch einmal bearbeitet.
Kunst und Architektur ergänzen sich mitunter recht gut. Was können die Disziplinen voneinander lernen, wo bleiben Unterschiede?
Bernhard Müller: Ich finde es schade, dass es immer weniger Kunst im öffentlichen Raum gibt, denn Kunst ist ja auch ein Abbild der Gesellschaft. Generell denke ich, man sollte in seiner Disziplin bleiben und schauen: Wie kann sich das gegenseitig befruchten?
Marie Doerfler: Für mich unterscheiden sich Architektur und Kunst dadurch, dass Architektur begreifbar ist, wenn ich mich durch den Raum bewege. In der Kunst gibt es die Möglichkeit, durch einen Standpunkt mehrere Perspektiven wahrzunehmen und darzustellen. Den Austausch zwischen den zwei Disziplinen finde ich unglaublich wichtig und bereichernd, da durch die das gemeinsame Wirken, Räume mit unterschiedlichen Atmosphären bespielt werden können.
Herr Müller, an welchen Orten schauen Sie sich gerne Kunst an?
Bernhard Müller: In Madrid gibt es meiner Ansicht nach die besten Museen der Welt. Im Museo del Prado bin ich gerne bei den dunklen Goyas. Ich finde es erstaunlich, auf diesen großen Gemälden der alten Meister immer wieder etwas Neues zu entdecken. Die Neue Nationalgalerie in Berlin ist eines meiner Lieblingsgebäude, aber auch griechische und ägyptische Kunst faszinieren mich.
Wie wird der nächste Katalog von more aussehen?
Bernhard Müller: Im nächsten Jahr feiern wir unser 30-jähriges Jubiläum und werden den Katalog dafür mit freier Fotografie gestalten. Geplant ist ein Einleger, damit die Bilder nicht mit unseren Produktfotos in Konkurrenz treten. Auch unser Messestand ist bereits fertig und wird ganz anders aussehen als im Jahr 2022. Das Spannende an unserer Firma ist ja die Veränderung.
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