Stefan Gates
Er ist das beste Rezept für alle, die bei Lafer, Kleeberg und Mälzer nicht auf den Geschmack kommen: Stefan Gates. Der britische Comedy-Produzent-turned-Fernsehkoch kommuniziert und verwirrt gerne durch das Essen, sei es mit seinem Bum Sandwich – hier wird man aufgefordert, sich eine Stunde lang auf ein Käse-Schinken-Sandwich zu setzen, um es optimal verschmelzen zu lassen – oder durch seine BBC-Dokumentationsreihe Kochen am Krisenherd, in der er die Welt durch den Kochtopf kennen lernt. Wir trafen ihn in seinem Haus im Londoner Stadtteil Islington und sprachen mit ihm über die koreanische Hundeindustrie, was Essen mit Politik zu tun hat und wie wir uns auf unserer nächsten Reise verhalten sollten.
Sie sind Autor verschiedener Bücher wie zum Beispiel Gastronaut, auf dem auch eine Fernsehreihe für Kinder basiert. Erzählen Sie uns davon.
Es sind Versuche, sich in Abenteuer zu stürzen. Natürlich geht es dabei auch um gutes Essen, aber im Mittelpunkt steht die Reise, die wir mit dem Essen begehen können. Ich rüttele gerne Menschen wach und dränge sie dazu, Emotionen zu erleben, die sie nie mit Essen assoziieren würden. Das hat mit Angst und Schuld zu tun. Wenn das ins Essen getan wird, stiftet es Verwirrung. Nehmen wir Hoden als Beispiel. Die haben vermutlich wenige Westeuropäer probiert.
Hoden? Da geben sich Ihre Gäste wohl gerne als Vegetarier aus?
Ja, die erste Reaktion ist Angst, und das ist großartig. So kann man durch einfaches Essen eine emotionale Reaktion erzielen. Die meisten überwinden diese Angst und essen nicht viel davon, aber sie probieren es und das wird ihnen in Erinnerung bleiben: Der Tag, an dem sie Hoden gegessen haben.
Es geht um das Loslassen von alltäglichen Gewohnheiten und den Mut, sich auf etwas neues einzulassen. Vielleicht lernt man dabei etwas Besonderes kennen, hat mehr Spaß am Essprozess, lebt gesünder oder kann sogar die Welt verändern. Wer weiß, wer die nächste Kartoffel finden wird?
Ihr letztes Buch The Extraordinary Cookbook: Make Meals you Friends will never forget handelt davon, mit Essen zu spielen.
Ja, es handelt sich darum, die Menschen daran teilnehmen zu lassen. Das kann sehr einfach sein, zum Beispiel beim Pizzabacken. Anstatt sie zu machen und direkt in den Ofen zu schieben, kann man eine große Schüssel mit Teig auf den Tisch stellen und jeder, auch die Kinder, macht seine eigene. Vielleicht mit den seltsamsten Zutaten. Insbesondere Kinder verstehen so den Prozess viel mehr und werden interessiert. Das Essen wird zu Teil eines Spiels und jedes Gericht bekommt eine kleine Geschichte. Das kann auch gut für Essenseinladungen sein, da die Menschen viel leichter ins Gespräch kommen. So kann das Essen wie ein Katalysator wirken.
Spielen und Kommunikation als Schlüsselwörter?
Das Konzept, mit Essen zu spielen, war immer negativ. Eltern sagen zu ihren Kindern: „Spiel nicht mit dem Essen.“ Als meine Tochter etwas älter als ein Jahr war, fand ich mich in der gleichen Situation wieder. Ich ermahnte sie, als sie ihren Joghurt über ihr Gesicht schmierte – und fragte mich dann, was daran eigentlich so schlimm ist. Warum solltest du nicht mit Essen spielen können? Es gehört zu den zentralen Teilen unseres Lebens; etwa 16 Prozent unseres Lebens verbringen wir mit der Nahrungsaufnahme.
Ich habe mich also hingesetzt und darüber nachgedacht. Natürlich liegt das daran, dass wir kein Essen verschwenden wollen. Aber was versteht eine Eineinhalbjährige schon davon? Vielleicht haben wir auch angefangen, damit zu übertreiben? Vielleicht liegt es daran, dass sich Kinder heutzutage nicht sonderlich für Essen interessieren? Es gibt eine richtige Krise mit Kindern, besonders in Großbritannien, die nichts über Essen und Ernährungsweisen wissen und keine Beziehung dazu haben. Sie wachsen auf mit Fertiggerichten und verstehen nicht, dass es ungesund ist, den ganzen Tag nur Chips zu essen. Diese Gedanken waren der Anfangspunkt zu dem Buch: Menschen in den Essensprozess einzubinden und sie mit dem Essen interagieren zu lassen.
Sie haben eine Dokumentationsreihe für die BBC zusammengestellt, für die Sie sehr viel herumgereist sind und die in über 25 Ländern ausgestrahlt worden ist. Worum geht es darin?
Die Dokumentationsreihe dreht sich darum, die Welt durch das Essen zu entdecken und Dinge kennenzulernen, die normalerweise in keiner Koch-TV-Show vorkommen: Politik, Kultur und Gesellschaft.
Wo waren Sie überall?
Wir waren in Uganda, um uns vor Ort das große Flüchtlingsproblem anzusehen. Danach fuhren wir nach Korea, wo es eine große Hundeindustrie gibt. Koreaner essen an die eineinhalb Millionen Hunde im Jahr.
Korea als Gefahrenzone?
Das war zwar kein gefährlicher Ort, aber es ist eine kontroverse Geschichte – gefährlich ist es nur, wenn du ein Hund bist. Es ist ein brisantes Thema. Wir fahren grundsätzlich in Länder, in denen es eine Krise gibt, die irgendwie mit Essen zusammenhängt. Die koreanische Hundefleischindustrie ist sehr umstritten, selbst in Korea. Auf der einen Seite stehen Menschen, die verzweifelt versuchen, dagegen anzugehen, und auf der anderen Seite gibt es die Koreaner, die daran festhalten wollen, weil sie es als Teil ihres nationalen Selbstverständnisses sehen. Hinzu gibt es die Auffassung: „Warum soll uns der Westen vorschreiben, was wir zu tun oder zu lassen haben?“
Und Sie sind nach Korea gefahren, um Hundefleisch zu essen?
Das war meine Einstellung bei Reiseantritt: Ich wollte Hundefleisch essen. Hier hängen wir sehr an Hunden und sind ihnen gegenüber ganz anders eingestellt als beispielsweise Schweinen.
Also haben Sie es wirklich probiert?
Das wird nicht verraten (lacht). In der Reihe geht es darum, Mythen zu hinterfragen und unvoreingenommen vor Ort zu recherchieren, um die andere Kultur besser zu verstehen. Über die Hundeindustrie ist immer nur auf eine negative Art berichtet worden. Meistens mit dem gleichen Bild, das über 40 Jahre alt ist und einen aufgehängten Hund zeigt.
Man kann auch durch das gemeinsame Essen mit fremden Menschen viel über andere Kulturen lernen. In Afghanistan zum Beispiel sind wir zu einer Art Polospiel gegangen, bei dem mit einem toten Ziegenkörper gespielt wurde. Es ist ein total chaotisches und wahnsinniges Spiel. Dort wurden wir vom lokalen Regenten zum Essen eingeladen. Durch das Zusammensitzen und gemeinsame Essen versteht man die Gesellschaft viel besser. Er ist der lokale Anführer, jeder hört auf ihn und niemanden interessiert, was die Nationalregierung zu sagen hat. Die Politik scheint während des Essens zu passieren mit strikter Sitz-Hierarchie. Es ist ein Mikrokosmos von Afghanistan.
Haben Sie Reisetipps für uns?
Wirklich interessant ist, dass, wenn man wegen des Essens reist, dich jeder füttern will. Besonders an Orten, wo es besondere Ehrensysteme gibt, wie in Afghanistan. Die Verköstigung gehört dort zum fundamentalen Bestandteil. Sie haben die Regel, dass sie sich um dich kümmern müssen, auch wenn sie dich nicht mögen. Es ist ein wenig beängstigend, weil es ein so starkes System ist. Aber auch in anderen Ländern wie Thailand kann das passieren. Ich kann mich noch an Orte erinnern, an denen ständig Menschen auf mich zukamen und mich zum Essen aufforderten. Wir Westeuropäer sind etwas schüchtern und sagen dann lieber: „Nein danke. Ich werde in ein Restaurant gehen.“ Aber die Leute lieben es, dich zum Essen einzuladen und dich in ihre Welt einzuweihen. In China sagten sie wortwörtlich zu mir: „Komm her, ich lade dich zu einer Tasse Tee und ein paar Dumplings ein.“
Lag das vielleicht an Ihrem Fernsehteam?
Nein, ganz im Gegenteil. In China hatten wir eher Probleme deswegen. Natürlich weiß ich, dass wir Westeuropäer bei so etwas meistens Gefahr wittern, aber wenn du dich erst einmal darauf einlässt und in die fremde Essenskultur involviert wirst, lernst du so viel mehr über die anderen als wenn du dir nur ihre Touristenattraktionen ansiehst. Auf den Fidschi Inseln wurden wir zum Beispiel in ein Haus eingeladen und uns wurde ein trübes Gebräu serviert. Es heißt Cava und ist im Grunde genommen ein narkotisierendes Getränk, das auch hier in Großbritannien völlig legal ist. Wir haben es probiert: Es ist nicht alkoholisch, man fühlt sich nicht schlecht und wird davon nicht dick. Wir hatten eine wilde Zeit und tanzten gemeinsam um die Häuser des kleinen Dorfes. Ich weiß, dass es sich ein wenig nach gutbürgerlichem Tourismus anhört, aber wenn man nicht in die Welt hinausgeht, um diese besser zu verstehen, ist man ein viel ärmerer Mensch. Und wenn wir später auf unser Leben zurückblicken, wird es Erfahrungen geben, an die wir uns entweder erinnern werden oder die wir vergessen haben. Ich finde es großartig, dass es diese Momente gegeben hat, die so intensiv waren, dass wir uns immer an sie erinnern werden.
Können Sie uns einen ultimativen Rat auf unsere nächste Reise mitgeben?
Sich ein wenig gehen zu lassen, dem Neuen gegenüber offen zu sein und mit den Menschen zu sprechen. Ich bin auch oft schüchtern, aber wenn man erst mit den Leuten auf dem Markt ins Gespräch kommt und sie fragt, wie etwas gekocht wird, öffnen sie sich blitzartig.
Gibt es eine Schlüsselfrage?
„Was kann ich damit kochen? Wie wird es zubereitet?“ Selbst hier in Großbritannien klären dich Menschen gerne auf. Mein lokaler Fleischer war immer steif, bis ich ihn einmal fragte: „Ich möchte etwas kochen, das ich bisher noch nie gemacht habe. Können Sie mir etwas empfehlen?“ Und plötzlich öffnet sich der andere, weil er stolz ist, dir sein Wissen anzuvertrauen und dich in seine Kultur einzuweihen. Die Menschen werden unheimlich herzlich, weil du versuchst, ihre Kultur zu verstehen und eine Beziehung zu dieser aufzubauen. Du willst sie dir nicht nur ansehen, du willst sie ausprobieren, um sie zu verstehen. Das ist der Schlüssel und er kann so einfach sein. Wichtig ist, immer wieder etwas Neues entdecken zu wollen. Wer weiß, auf was wir stoßen werden und wie wichtig dieses sein wird?
Herr Gates, vielen Dank für das Gespräch.
Buchtipp
Stefan Gates:
The Extraordinary Cookbook: Make Meals Your Friends Will Never Forget
London 2010, Kyle Cathie
ISBN: 978-1856269216