Stefanie Hering
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Stefanie Hering, 1967 in Stuttgart geboren, absolvierte eine Ausbildung zur Keramikerin, ehe sie sich nach der Meisterprüfung 1992 mit einer eigenen Werkstatt im Prenzlauer Berg selbständig machte. Das von ihr zusammen mit Wiebke Lehmann und Götz Esslinger 1999 gegründete Label Hering Berlin gehört inzwischen zu den international renommierten Porzellanherstellern und zeichnet sich durch eine traditionelle handwerkliche Fertigung aus. Markenzeichen der Manufaktur ist unglasiertes Biscuitporzellan, das durch seine sinnlich-matte Anmutung begeistert. Wir trafen Stefanie Hering in ihrem Atelier in Berlin und sprachen mit ihr über Durchhaltevermögen, Handwerkskunst und das Ausloten von Grenzen.
Seit der Gründung von Hering Berlin im Jahr 1999 haben Sie es geschafft, sich einen Namen zu machen innerhalb der Jahrhunderte alten, traditionsreichen Porzellanmanufakturen. Wie haben Sie das geschafft in so kurzer Zeit?
Wir sind sehr wendig und setzen immer auf die Pferde, die gerade laufen [lacht]. Wenn Sie mich damals gefragt hätten, hätte ich auch nicht gedacht, in welche Richtung es einmal gehen würde. Meine Partnerin Wiebke Lehmann und ich haben uns 1992 selbstständig gemacht und uns einen Raum geteilt. Neben dem Workshop hatten wir auch eine kleine Galerie, wobei jede von uns ihre ganz eigene Richtung verfolgt hat. Von Anfang an haben wir alles auf eine professionelle Ebene gebracht, das heißt, uns Kunden in aller Welt gesucht, den Vertrieb organisiert und auf Messen ausgestellt. Denn uns war bewusst, dass – wenn wir von dem Job leben wollten – wir uns nicht verstecken, nicht warten dürften, bis uns jemand entdecken würde. Es war wichtig, sich dem Markt zu stellen und zu sehen, ob man mit seiner Gestaltung ankommt. Und wir sind sehr froh darüber, dass man heute nicht nur Meissen kennt, sondern auch Hering. Das war unser Ziel und dass wir es in so kurzer Zeit erreicht haben, freut uns natürlich sehr.
Ist es nicht sehr schwierig, sich in dem sehr exklusiven Porzellanmarkt als unbekanntes kleines Unternehmen durchzusetzen?
Ja schon, aber wir fanden, dass die anderen geschlafen haben. Wir respektieren all diese Firmen und ziehen den Hut vor deren Leistung über die Jahrhunderte. Aber wir sind auch große Anhänger der Fertigungskunst. Diese Handwerkskunst ist ein Gut, das sich Deutschland erarbeitet hat und die deutschen Handwerker sind hervorragend. Aber wir haben uns ab einem gewissen Punkt als Kunde nicht mehr verstanden gefühlt. Wir wollten zwar die Qualität, waren aber der Meinung, dass wir so heutzutage nicht mehr speisen. Es scheiterte oft an den Umsetzungen in der Industrie und den Manufakturen, daran, dass die Leute nicht mutig genug waren, einen anderen Weg zu gehen. Das war für uns dann der Punkt, einen anderen Weg einzuschlagen, denn wir waren überzeugt, dass es die Kundschaft dafür gäbe.
Wie sieht dieser Weg aus?
Wir wollten alles selbst machen, denn wir haben die Kompetenz dazu: Wir können produzieren, wir können entwerfen. Und die Linie, die sich aus dieser Idee entwickelt hat, finden die Menschen toll. Das war am Anfang schwer, denn wir mussten die Leute an die Manufakturware heranführen, sie mit Qualität in Berührung bringen – sie dazu bringen, das Produkt zu lieben und zu benutzen. Das ist nichts Oberflächliches und ein knackiger Weg, aber wir waren schon immer Idealisten und haben ein gewisses Durchhaltevermögen [lacht].
Wie ging es dann weiter?
Wir haben, als wir schon zu acht waren, sehr viele Entwürfe für die Porzellanindustrie gemacht, beispielsweise für Rosenthal, Hutschenreuther und Bernardaud – da ging es um Masse. Auch die Entwicklung von Dekoren für Jasper Morrisons Service „Moon“ von Rosenthal gehörte dazu. Das Dekor „White on white“ war auch in Produktion, wurde aber eingestellt. Es ist schwierig, Dekore für Produkte zu gestalten, die von anderen Leuten entworfen wurden. Auch bei „Moon“ fand ich, dass Rosenthal Jasper Morrison nach einem Dekor hätte fragen sollen, denn er kennt seinen Entwurf und weiß genau, was er will. Viele unserer Entwürfe sind auch in der Schublade gelandet, weswegen wir uns irgendwann gesagt haben: „Jetzt reicht’s“.
Wie würden Sie die Ästhetik von Hering Berlin beschreiben?
Ich wusste immer, dass ich mit Porzellan und speziell mit Biscuit arbeiten wollte. Für mich steht die Form im Vordergrund, Dekor und Oberfläche kommen später hinzu. Porzellan ist so ein schönes und reines Material. Es zu dekorieren, voll zu glasieren – wie man es klassisch macht – da geht für mich die Schärfe der Form verloren. Deshalb wollte ich etwas Neues ausprobieren. Das hat damals Aufmerksamkeit erregt und daraufhin kamen Unternehmen auf mich zu und wollten eine Kollektion. Man sieht einem Stück an, ob es zu Ende gedacht ist. Ein guter Entwurf kostet sein Geld und braucht seine Zeit. Unser Porzellan muss außerdem für viele Kulturen funktionieren.
Sie sprechen von einer neuen Tischkultur. Wie genau sieht die aus?
[Lacht]. Für uns ist Tischkultur ein ganz wichtiges Thema. Sich besinnen auf das, was Freude macht, auf das, was man braucht, auf den bewussten Umgang damit – sich Zeit nehmen. Bei uns hat man einen riesigen Fundus an Produkten. Und wenn das Essen gut ist, muss auch der Tisch dementsprechend aussehen – das Gesamtergebnis zählt.
Das Prinzip Ihrer Kollektion besteht ja darin, dass man die Einzelteile untereinander kombinieren kann. Ist das einer der Unterschiede zu den großen Porzellanmanufakturen?
Ja, die anderen Manufakturen haben immer klassisch an das abgeschlossene Service gedacht. Wir haben diese Herangehensweise nicht, wir integrieren und ziehen Einzelteile zusammen über die Oberflächengestaltung. Es gibt bei uns aber auch Formensprachen, die man nicht unbedingt miteinander kombinieren würde.
Was wird am besten verkauft?
Die Oberflächen, für die Hering steht, sind „Velvet“, „Puls“ und „Cielo“ – die ganz glatten und die perforierten Teller. Bei den Formen ist es ganz unterschiedlich, teilweise auch unterschiedlich in den einzelnen Ländern. In Korea beispielsweise verkauft sich die Teeschale gut als Reisschale. Mich muss ein Stück durch den ganzen Tag begleiten und sich zurücknehmen. Es gibt Stücke in der Kollektion, die es seit 1992 gibt. Früher haben wir nur per Hand gedreht. Als wir uns 1999 zusammengetan haben, war jedoch klar, dass man das Drehen von Hand nicht auf dem Rücken einer einzelnen Frau machen kann, denn das hält man körperlich gar nicht aus. Da wir aber großen Wert auf eine perfekte Formgestaltung legen, haben wir überlegt, wie man trotzdem noch sieht, dass ein Mensch am Produkt gearbeitet hat. Wir drehen also unsere Teller mit Maschinen in Formen ein, womit wir die immer gleiche, perfekte Form erreichen. Dann wird jede Oberfläche von Hand gearbeitet und damit jedes Stück wieder zum Unikat. Durch das Drehen ist der Scherben verdichtet und physikalisch hart und robust – das hat gerade, was den Bruch anbelangt, enorm positive Konsequenzen. Wir haben aber auch einen funktionalen Anspruch, dass beispielsweise die Teller stapelbar sind und im Haushalt funktionieren müssen.
Sie produzieren Ihr Porzellan bei Reichenbach in Thüringen.
Ja. Als wir die Handdreherei aufgaben, wollten wir bezahlbare Produkte herstellen und es war klar, dass dies nur in Zusammenarbeit mit einer bestehenden Manufaktur mit laufendem Betrieb möglich ist. Die Thüringer waren sehr offen und haben es auch als eigene Chance begriffen, weil es für sie etwas ganz Neues war – sie haben die Zeichen der Zeit erkannt, auch in der Zusammenarbeit mit Paola Navone. Wir arbeiten dort mit einem Team, das auf die Herstellung unseres Porzellans und unserer Oberflächen spezialisiert ist. Ich glaube, heute suchen die Menschen etwas, womit sie sich identifizieren können. Das ist die Chance von Reichenbach und auch unsere – das wäre vor zwanzig Jahren noch nicht möglich gewesen, da war man viel traditionsverhafteter. Und bei inhabergeführten Unternehmen geht es ja immer an das eigene Geld, wenn man beispielweise einen Flop landet.
Ist Ihnen das schon mal passiert?
[Lacht]. Manchmal entwickelt man etwas Neues, kitzelt die Grenzen aus und kommt irgendwann an den Punkt, an dem man erkennt, dass es so nicht weiter geht und man das Ganze beenden muss. Auch wir haben Stücke, die das Sortiment der Vollständigkeit halber braucht, aber die keine Schlager sind.
Wie wichtig ist es für Ihr Unternehmen, dass Sterne-Köche Ihr Porzellan benutzen?
Das ist mehr aus Zufall passiert. Wir haben das Service eigentlich für den Privatgebrauch entwickelt, weil wir nicht gedacht hätten, dass jemand in der Gastronomie bereit wäre, so viel Geld auszugeben. So viel Geld ist eigentlich auch übertrieben gesagt, denn so viel kosten unsere Teller gar nicht. Es fängt bei 15 Euro an und nach oben gibt es keine Grenzen. Wir haben ja verschiedene Oberflächen und natürlich ist eine handbemalte Struktur teurer als simples Weiß. Wir hatten damals jemanden in der Firma, der für den Vertrieb zuständig war und der vorschlug, unser Porzellan der Sterne-Gastronomie zu zeigen. Wir sind da einfach reinmarschiert und haben gesagt, dass wir auch Teller machen. Da unterhalten sie sich mit Leuten, die auch Handwerker und Gestalter sind. Durch Gespräche mit den Köchen entwickeln wir dann auch neue Dinge. Dinge, die vielleicht vorher im Programm gefehlt haben. Wir legen großen Wert darauf, dass die Stücke auch in zwanzig, dreißig Jahren noch knacken. Das ist wie gute Architektur – das vergeht nicht. Wir werden also nicht jedes Jahr eine neue Porzellankollektion auf den Markt bringen, sondern wir erweitern das, was wir haben und nehmen die Leute mit.
Sie entwerfen seit kurzem auch Glas. Was ist der Unterschied zum Entwerfen von Porzellan?
Beim Glas bekommt man durch das Durchscheinende eine ganz andere Dimension hinzu. Man nähert sich dem Thema anhand von etlichen Vorläufern an. Wir haben aber früher schon Glas für Rosenthal entworfen. Vom Formalen her gibt es aber schon eine Verwandtschaft zum Porzellan. Wir haben uns mit der Glasserie „Domain“ den Römer vorgenommen und ins 21. Jahrhundert transportiert. Es sind Entwicklungsprozesse, die zu solch einem Produkt führen. Der klassische Römer hat ja einen grünen Fuß, aber das geht für uns heute gar nicht mehr und deshalb haben wir uns bei Theresienthal eine neue Farbe machen lassen. Wir wollten auch beim Glas eine neue Formgestaltung und nicht zum dreißigsten Mal das Standardglas neu entwerfen. Es geht natürlich auch um den Genuss des Weins, der muss in den Gläsern funktionieren. In den alten Römern schmeckt der Wein nicht mehr und man trinkt heute den Wein auch anders als im 18. Jahrhundert. Und deshalb haben wir uns die Oberteile vorgenommen und uns gefragt: Wie schmeckt Burgunder, was braucht ein Bordeaux, was ein Chianti, was ein Chardonnay, was ein Champagner? Wir hatten auch den einen oder anderen Sommelier dabei, der das Ganze dann getestet hat.
Mir kommt es so vor, als wäre es gerade eine Tendenz in der Porzellanverarbeitung, dass viel mit Edelmetallen gearbeitet wird.
Die Edelmetalle im Porzellan sind eigentlich immer ein Thema. Die Hauptlinie bei uns ist aber weiß. Bei uns gibt es aber auch Mattgold, das man in anderen Manufakturen so nicht kennt. Wir bringen es auf das Biscuitporzellan auf, was auf den Tellern am tollsten aussieht und sehr aufwändig herzustellen ist.
Sehen Sie sich als Künstlerin?
Ich bin alles. Wir sind Künstler, wir sind Produzenten, wir sind Unternehmer, wir sind Handwerker. Man muss universell einsetzbar sein.
Aber das Handwerk ist schon das, wodurch Sie sich von den anderen Manufakturen absetzen?
Ja, ich denke, dass wir Handwerk in Hochform zeigen und wir stehen auch dazu, dass wir unsere Produkte in Deutschland fertigen. Wir sind ein deutsches Unternehmen, haben einen guten Ruf – warum sollten wir dies aufgeben? In der Glashütte Theresienthal, wo unsere Gläser gefertigt werden, finden sie sensationelle Handwerker – es ist schön zu sehen, dass dort auch heute noch Handwerker ausgebildet werden. Ich finde, die Deutschen könnten stolzer auf das handwerkliche Können im eigenen Land sein. Aber natürlich überleben wir alle nur, wenn wir unsere Stücke auch verkaufen, eine Käuferschicht haben.
Frau Hering, vielen Dank für das Gespräch.
Links
Hering Berlin
www.hering-berlin.de300 Jahre Porzellan
www.designlines.deAmbiente 2010
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