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„Wir geben Bäumen ein zweites Leben“

Baumspezialist Jakob Röthlisberger von Girsberger im Interview

Seit 13 Jahren kauft Jakob Röthlisberger für den Schweizer Möbelhersteller und Massivholzspezialisten Girsberger in ganz Europa Holz ein. Wie sich angespannte Märkte und der Klimawandel auf sein Geschäft auswirken und welche Eigenschaften gutes Holz mitbringen muss, erklärt er im Interview.

von Judith Jenner, 12.01.2022

Der Schweizer Hersteller Girsberger hat sich neben seiner Eigenschaft als Büromöbelhersteller und Stuhlexperte mit Möbeln aus Massivholz einen Namen gemacht. Das Unternehmen produziert neben dem großen Angebot an Sitzmöbeln für Büro und Essbereich auch die dazugehörenden Tische. Neben den praktischen Besprechungstischen fürs Office erkennt und erlebt man den Ausdruck der Natur besonders in den Tischmodellen fürs Dining.  Er beliefert aber auch andere Unternehmen mit erstklassigem Holz für Einbauten, Möbel, Treppen, Türen oder Objekte. Die neue Website des Girsberger Massivholzhandels gibt einen Überblick über das Angebot.

Um diese hochwertigen Hölzer aufzutreiben, ist Jakob Röthlisberger seit mehr als 20 Jahren in ganz Europa unterwegs. Wie nur wenige andere Spezialisten findet er auch in Zeiten von Holzknappheit, Trockenheit und Borkenkäfern noch richtig gutes Holz. Dafür begleitet er die Bäume das ganze Jahr über. Doch der Winter ist für Jakob Röthlisberger die arbeitsreichste Zeit, denn dann wird gefällt. Unterwegs auf Holzeinkauf in Frankreich, hat der gelernte Zimmermeister für das Interview ein Fleckchen mit gutem Empfang gefunden und berichtet von der Suche nach Wertholz und seiner persönlichen Beziehung zum Wald.

Wegen der Trockenheit mussten viele Bäume gefällt werden. Trotzdem herrscht auf dem Weltmarkt Holzknappheit. Wie ist dieses Paradox zu erklären und wie gehen Sie damit um?
Aufgrund des hohen Holzbedarfs Chinas in Verbindung mit hohen Preisen, die mit staatlicher Subventionierung bezahlt werden, wird momentan viel Holz aus Europa dorthin verschickt. Als kleines Unternehmen auf dem Holzmarkt sind wir aber flexibler als andere. Ich halte mich an die privaten Verkäufer, zu denen ich seit Jahrzehnten ein enges Verhältnis pflege. Etwas Douglasie und etwas Eiche habe ich bereits bekommen. Für weitere Bäume habe ich feste Zusagen. Momentan sind mit Eiche und Schwarznuss eher teure Hölzer gefragt. Das ist in Krisenzeiten nicht ungewöhnlich. Aber Krise hin oder her: Im Holzhandel muss man Demut lernen. Es ist nicht immer alles möglich und verfügbar.

Inwiefern beeinflusst der Klimawandel die Holzqualität?
Die Trockenheit reduziert die Qualität des Holzes, das mit der Zeit Faulstellen entwickelt oder von Insekten befallen wird. Für den Wertholzhandel ist es daher nicht geeignet. Wenn man aus gestresstem Holz eine Tür fertigt, wird sie ihr Leben lang klemmen. Bei den Buchen ergeben sich aufgrund der Trockenheit unschöne Verfärbungen im Holz. Die möchte auch keiner haben. Das Holz der notgefällten Bäume geht fast vollständig in die Energieversorgung.

Welche neuen, hitzeresistenten Arten werden wir in Zukunft in Europa verstärkt sehen?
Wir hoffen, dass es uns gelingt, den Wald an den Klimawandel anzupassen. Nicht immer wurde das ausreichend berücksichtigt. Momentan werden zum Beispiel junge Fichten geschlagen und stattdessen Douglasien gepflanzt. Aber alte Buchenbestände lassen sich nicht einfach wegräumen. Dort, wo sich die Buche selbst fortgepflanzt hat, wird sie trotz ihrer Empfindlichkeit weiterbestehen. Probleme gibt es in Eichenwäldern, wo die Buche das Wachstum der Eiche regulieren soll.

Wie unterscheiden sich die Holzarten je nach Provenienz?
Für uns ist die gleichbleibend hohe Qualität wichtig. Dafür entscheidend ist, auf welchem Untergrund ein Baum gewachsen ist. Hier in Frankreich geben Sandböden dem Eichenholz zum Beispiel eine eher helle und lehmhaltige Böden eine dunkle Farbe. Vom Ost-Balkan bis in die Ukraine findet man Eichen mit einer regelmäßigen Färbung. Deshalb kaufen wir gerne in diesen Regionen, in denen die Bedingungen für das Laubholz ideal sind. Die slawonische Eiche aus Ost-Kroatien zum Beispiel hat eine erstklassige Qualität. Für gutes Nadelholz müssen wir keine weiten Wege zurücklegen. In der Schweiz haben wir sehr schöne Tannen.

Welche Eigenschaften muss das Holz mitbringen, das Sie für Massivholzmöbel von Girsberger verwenden?
Wer sich ein Massivholzmöbel von Girsberger leistet, möchte etwas Gescheites haben, ein Objekt, in dem er die Natur sehen kann. Wir achten darauf, dass wir nicht nur ein Material bieten, das nach Eiche ausschaut, sondern einen Werkstoff, den man gestalten will. Das Möbel sollte dem Rechnung tragen, wie der Baum gestanden hat und gewachsen ist. Nie würden wir in einem Möbelstück zwei Bäume mischen. Die Kunst besteht darin, sich in der Fertigung zurückzunehmen und dem Baum die Bühne zu überlassen. Das gibt den Produkten Wert. Wir zollen dem Baum Respekt und geben ihm ein zweites Leben.

Wie können Sie die Qualität des Holzes „von außen“ beurteilen?
Dafür muss ich die Umgebung kennen. Man sieht dem Baum und der Rinde zum Beispiel den Einfluss des Windes an. Wenn die Rinde engmaschig und gleichmäßig aufgebaut wird, ist das auch ein Hinweis auf gesundes Holz. Auch der Boden und die Wurzeln können Aufschluss über die Qualität des Holzes geben. Klar: Sie kaufen mit Rundholz immer ein wenig die Katze im Sack. Aber wenn Sie immer wieder am gleichen Ort Holz kaufen, sammeln Sie Erfahrungen.

Wie funktioniert das Bewertungssystem von Girsberger?
Ich vergebe Punkte von 1 bis 6, wobei 6 für die höchste Qualität steht. Damit beurteile ich den Wuchs, die Zahl der Äste und die Farbe. Bei Holzarten wie Kirsche, Elsbeere oder Nussbaum ist die Färbung sehr wichtig. So beurteile ich jeden Stamm. Die Länge, die Anzahl der Bretter und die Brettstärke lege ich ebenso fest.

Welche Stationen durchläuft ein Baumstamm, nachdem er gefällt wurde?
Zum Teil beurteile ich das Holz noch stehend. Wenn der Baum gefällt ist, wird er vermessen und der Preis ab Waldweg festgelegt. Ein LKW mit Greifkran fährt das Holz ins Sägewerk. Um die Transportwege kurz zu halten, arbeiten wir meist mit Sägewerken vor Ort zusammen. Dort wird der Stamm entrindet, gesägt und gestapelt. So fällt bereits etwas Gewicht weg für die lange Strecke in unsere Außenlager in Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Je nach Holzart trocknet es dort etwa zwei Jahre lang an der Luft. Dieser natürliche Trockenprozess entspannt das Holz und erhöht seine Qualität. Erst zum Schluss geben wir das Holz in eine Trockenkammer.

Der Begriff Nachhaltigkeit stammt ja aus der Forstwirtschaft. Was genau ist nachhaltige Forstwirtschaft und warum ist sie wichtig?
Man muss keine Angst haben, dem Wald zu schaden, wenn man ihn nutzt. Der Wald war immer ein treuer Begleiter des Menschen. Dennoch sollte der Mensch nicht nur seine eigenen Bedürfnisse befriedigen, sondern auch die der Tiere oder Pilze berücksichtigen. Nachhaltigkeit heißt, dass man im Wald Bäume schlägt, die am Ende ihrer natürlichen Lebensdauer sind. Ein Zeichen dafür ist, dass der Baum sehr viele Früchte abwirft. Dann dauert es nicht mehr lange, bis die Äste abfallen, der Baum beginnt mit dem Zersetzungsprozess, und das gespeicherte CO 2 entweicht ungenutzt in die Atmosphäre. Diesen Zeitpunkt gilt es zu erkennen, um den großen Baum herauszunehmen, damit die anderen Platz bekommen zum Wachsen. Diese Einzelstammnutzung ist mir persönlich sehr wichtig und ein Teil nachhaltiger Forstwirtschaft. Wir fällen grundsätzlich im Winter, da sonst die Gefahr besteht, umstehende Bäume zu verletzen. Meist schlagen wir im abnehmenden Mond, damit weniger Wasser im Baum ist und er leichter ist.

Wie haben Sie sich Ihr Wissen über Holz angeeignet?
Na ja, durch Zuhören (lacht) – ich bin seit 22 Jahren in der Branche. Die Leute aus den Forsten haben ein sehr großes Wissen über das Holz und die Bäume. Aber es liegt mir wohl auch in den Genen. Schon mein Vater und Großvater waren Zimmerer.

Empfinden Sie einen Waldspaziergang noch als Freizeitvergnügen – oder denken Sie dabei immer an den Job?
Ich wohne nah am Wald und genieße es, am Wochenende durch den Wald zu gehen. Dann begegne ich den Bäumen entspannt. Eichen gehören zu meinen Lieblingsbäumen, aber auch Nussbäume im Wandel der Jahreszeiten finde ich faszinierend. Ich hatte schon so schöne Erlebnisse im Wald. Einmal habe ich einen Luchs gesehen, ein anderes Mal ein Reh mit seinem Kitz. Sie lagen ganz ruhig da und ließen sich trotz Augenkontakt mit mir und einer kurzen Entfernung von vier Metern nicht in ihrer Ruhe stören. Dieser Friede im Moment war für mich ein magischer Augenblick.

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Die Schweizer Unternehmensgruppe wurde im Jahr 1889 als Drechslerei gegründet und entwickelte sich bald zu einem namhaften Sitzmöbelhersteller. Schwerpunkt des Angebots sind heute qualitativ hochwertige und innovative Möbellösungen für den Büro-, Objekt- und Wohnbereich sowie eine besondere Verarbeitungskompetenz im Segment Massivholz.

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